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Entmündigt

Von Petra Tempfer

Politik

Die Zahl der Personen mit Sachwalter steigt - und die Beschwerden der Betroffenen häufen sich.


Wien. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Wohnung ohne Strom und Möbel, obwohl Sie ein Leben lang gearbeitet und nicht schlecht verdient haben. Sie haben sich sogar ein kleines Vermögen aufgebaut - allein, bestimmen dürfen Sie nicht mehr darüber. Alter und Demenz hatten dazu geführt, dass Ihnen ein Sachwalter zur Seite gestellt wurde. Und dieser hat weder Strom beantragt noch Möbel organisiert. Das ist kein fiktives Horrorszenario, sondern ist einem Mann aus Wien tatsächlich passiert. Und er ist nicht der Einzige.

Laut Albert Maresch vom Verein "VertretungsNetz", der Gerichten Sachwalter zur Verfügung stellt, häufen sich die Beschwerden "vor allem über Rechtsanwaltskanzleien oder Notariate, die nicht auf Sachwalterschaften spezialisiert sind". Notare und Rechtsanwälte stellen bereits 25 Prozent aller Sachwalter in Österreich, in Wien sind es sogar 48 Prozent. Das Problem dabei: Eine Kanzlei übernimmt mitunter mehrere 100 Klienten. Der persönliche Kontakt kommt dadurch häufig zu kurz, obwohl dieser laut Gesetz mindestens einmal im Monat erfolgen muss. "Besachwaltete, die sich beschweren wollen, können oft nicht einmal zum Notar vordringen", sagt Maresch zur "Wiener Zeitung". Einige hätten ihren Sachwalter noch nie gesehen. Das kann schnell zu einem entwürdigenden Umgang mit den Betroffenen führen. Nicht die erhoffte Unterstützung, sondern eine Bevormundung sei die Folge.

Eine Sachwalterschaft zu übernehmen ist freilich nicht einfach. Jährlich muss dem Gericht, das auch den Sachwalter bestimmt, eine Rechnung über die Vermögensverwaltung vorgelegt werden. Dafür steht aber jedem Sachwalter eine Aufwandsentschädigung zu. Diese richtet sich allerdings nach Einnahmen und Vermögen des Klienten, was zu einer Vernachlässigung führen kann: Denn je mehr Sachwalter davon zum Beispiel für Möbel für den Klienten ausgeben, desto geringer fällt die Entschädigung aus.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl der Personen mit Sachwalter steigt. Aktuell gibt es rund 59.000 - im Jahr 2002 waren es 35.000. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat offensichtlich die Dringlichkeit erkannt und einen Versuch gestartet, gegenzusteuern: Seit Anfang März läuft das Pilotprojekt "Unterstützung zur Selbstbestimmung", im Zuge dessen mithilfe von Clearingstellen die Selbstbestimmung älterer Menschen möglichst lange erhalten bleiben soll.

Ministerium startete Projekt für mehr Selbstbestimmung

An vorerst 17 Standorten wurde damit eine Einrichtung von Hilfsorganisationen oder Sachwaltervereinen geschaffen, wohin sich die Betroffenen und deren Angehörige wenden können. Die geschulten Mitarbeiter der Clearingstelle versuchen dann, einen anderen Weg als die Sachwalterschaft zu finden. Mögliche Alternativen sind die Unterstützung durch Nachbarn, Familienmitglieder oder Betreuungseinrichtungen, wenn die Wohnung verwahrlost oder Arzttermine nicht eingehalten werden. Regelmäßige Überweisungen könnten über ein "betreutes Konto" durchgeführt werden, während ein "Coach" bei der Vermögensverwaltung oder Rechtsgeschäften hilft.

Es gehe darum, das "Fallbeil der Sachwalterschaft", wie Brandstetter es nennt, so lange wie möglich zu vermeiden. Bis 2016 will er einen Entwurf zu einer Reform des Sachwalterrechts vorlegen - mit dem Ziel, die Zahl der Sachwalterschaften zu verringern. Die Erfahrungen aus dem bis Herbst 2015 laufenden Projekt sollen darin einfließen.

Sowohl Maresch als auch Georg Psota, Obmann von "pro mente" Wien, Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit, begrüßen das Projekt. "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung", so Psota, "aber sicher nicht der einzige." Vor allem für die wachsende Gruppe der Demenzkranken sei eine "Unterstützung zur Selbstbestimmung" nicht immer zielführend, sie müssen oft tatsächlich besachwaltet werden. Um einem Missbrauch der Sachwalterschaften vorzubeugen, wäre laut Psota ein Kontrollgremium sinnvoll. Ziel sei, Betroffenen die größtmögliche Freiheit, aber auch Sicherheit zu gewähren.

Die Idee zum Pilotprojekt beruht auf einem Konzept des Vereins "VertretungsNetz". Seit Jahren bietet dieser Beratungsgespräche bei Gericht sowie kostenlose Schulungen für Angehörige an. Die Mitarbeiter sind vom Quellberuf her Sozialarbeiter, Psychologen oder Juristen.

Österreichweit gibt es vier Vereine dieser Art, die vom Justizministerium subventioniert werden. Der Großteil der Mitarbeiter ist angestellt, einige arbeiten ehrenamtlich. Die Vereine übernehmen laut Maresch rund 12 Prozent aller Sachwalterschaften. Also weniger als halb so viele Fälle, wie von Notaren und Rechtsanwälten abgewickelt werden. Der Rest wird von Angehörigen besachwaltet. "Die eigentliche Reihenfolge sollte sein: Angehörige, Vereine und dann Notare und Rechtsanwälte", sagt Maresch. Denn während eine Kanzlei - wie erwähnt - mehrere 100 Klienten übernimmt, betreut ein Sachwalter eines Vereins nur rund 25 Personen. Angehörige besachwalten für gewöhnlich ein Familienmitglied.

Wunsch für die

nächste Gesetzesnovelle

Mareschs Wunsch für die nächste Novelle: dass Massensachwalterschaften ein Riegel vorgeschoben wird, "weil durch diese die Sachwalterschaft in Verruf gerät". Mit der vorigen Novelle des Sachwalterschaftsrechts 2006 sei schon viel passiert. Seitdem gibt es die Möglichkeit der Vorsorgevollmacht, also einer Verfügung, mit der im Vorhinein der Sachwalter selbst ausgewählt werden kann. Auch eine Angehörigenvertretung als Alternative zur Sachwalterschaft ist seitdem möglich, zudem wurden die Beratungsgespräche bei Gericht eingeführt.