
Wien. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Wohnung ohne Strom und Möbel, obwohl Sie ein Leben lang gearbeitet und nicht schlecht verdient haben. Sie haben sich sogar ein kleines Vermögen aufgebaut - allein, bestimmen dürfen Sie nicht mehr darüber. Alter und Demenz hatten dazu geführt, dass Ihnen ein Sachwalter zur Seite gestellt wurde. Und dieser hat weder Strom beantragt noch Möbel organisiert. Das ist kein fiktives Horrorszenario, sondern ist einem Mann aus Wien tatsächlich passiert. Und er ist nicht der Einzige.
Laut Albert Maresch vom Verein "VertretungsNetz", der Gerichten Sachwalter zur Verfügung stellt, häufen sich die Beschwerden "vor allem über Rechtsanwaltskanzleien oder Notariate, die nicht auf Sachwalterschaften spezialisiert sind". Notare und Rechtsanwälte stellen bereits 25 Prozent aller Sachwalter in Österreich, in Wien sind es sogar 48 Prozent. Das Problem dabei: Eine Kanzlei übernimmt mitunter mehrere 100 Klienten. Der persönliche Kontakt kommt dadurch häufig zu kurz, obwohl dieser laut Gesetz mindestens einmal im Monat erfolgen muss. "Besachwaltete, die sich beschweren wollen, können oft nicht einmal zum Notar vordringen", sagt Maresch zur "Wiener Zeitung". Einige hätten ihren Sachwalter noch nie gesehen. Das kann schnell zu einem entwürdigenden Umgang mit den Betroffenen führen. Nicht die erhoffte Unterstützung, sondern eine Bevormundung sei die Folge.
Eine Sachwalterschaft zu übernehmen ist freilich nicht einfach. Jährlich muss dem Gericht, das auch den Sachwalter bestimmt, eine Rechnung über die Vermögensverwaltung vorgelegt werden. Dafür steht aber jedem Sachwalter eine Aufwandsentschädigung zu. Diese richtet sich allerdings nach Einnahmen und Vermögen des Klienten, was zu einer Vernachlässigung führen kann: Denn je mehr Sachwalter davon zum Beispiel für Möbel für den Klienten ausgeben, desto geringer fällt die Entschädigung aus.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl der Personen mit Sachwalter steigt. Aktuell gibt es rund 59.000 - im Jahr 2002 waren es 35.000. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat offensichtlich die Dringlichkeit erkannt und einen Versuch gestartet, gegenzusteuern: Seit Anfang März läuft das Pilotprojekt "Unterstützung zur Selbstbestimmung", im Zuge dessen mithilfe von Clearingstellen die Selbstbestimmung älterer Menschen möglichst lange erhalten bleiben soll.