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Hauptsache Aufmerksamkeit

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

EU-Kandidat Martin Ehrenhauser campiert aus Protest vor dem Bundeskanzleramt. Aber was bringt politischer Aktionismus?


Wien. Und dann stand er auf und ging einfach.

Eigentlich hätte Martin Ehrenhauser am Sonntag mit den anderen Spitzenkandidaten der Kleinparteien über die EU-Wahl diskutieren sollen. Stattdessen hielt der Vertreter des Wahlbündnisses "Europa anders" gleich zu Beginn der ORF-"Pressestunde" einen - in seltener Einhelligkeit von sämtlichen Medien als "wirr" bezeichneten - Monolog über das Hypo-Desaster, stand dann auf und verließ das Fernsehstudio, um fortan vor dem Bundeskanzleramt protestierend zu campen.

Beim Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung" Montagvormittag am Ballhausplatz ist der EU-Mandatar noch da. Und mit ihm eine Handvoll Mitstreiter. Die Nacht habe er mit Schlafsack und Isomatte direkt vor dem Kanzleramt verbracht, sagt Ehrenhauser. Um halb sechs in der Früh habe sie dann ein Polizist geweckt und gebeten, den Eingang freizumachen, daraufhin wurde das Camp zum Volksgarten hin verlegt.

100 Leute seien sie am Sonntag gewesen, erzählt Spitzenkandidat Ehrenhauser, der seinerzeit auf der Liste Martin ins EU-Parlament einzog. Übernachtet haben vor dem Parlament aber nur fünf. Und auch jetzt ist die Menge ziemlich übersichtlich: Ehrenhauser, vier Mitstreiter (von denen einer noch immer schläft), ein paar Journalisten, die Wortmeldungen einholen, und ab und zu ein neugieriger Tourist.

Paul mit der Gitarre

Einer, der mit Ehrenhauser vor dem Kanzleramt protestiert, ist Paul Beneder, Paul mit der Gitarre. Er hat nicht hier übernachtet, weil er als Sozialpädagoge Nachtdienst hatte. Nun steht er am Ballhausplatz und singt gegen das Hypodesaster an.

Unweigerlich denkt man an den "Grotesksong" der Punkband "Die Ärzte": Ihr prangert an und ihr singt von Problemen. Ich bin sicher, dass sich alle schlechten Menschen jetzt schämen.

Paul wollte am Sonntag eigentlich die Pressestunde sehen, "aber ich war zu spät dran und als ich eingeschaltet habe, war Ehrenhauser schon weg". Als er schließlich in den Sozialen Medien gelesen habe, dass es vor dem Kanzleramt ein Protestcamp gibt, habe er gedacht: "Coole Aktion." Was Paul politisch zum Protest treibt, sind seine Kinder: "Die müssen ihr Leben lang dafür zahlen, was hier verbrochen wird."

Das Verbrechen Hypo

"Was hier verbrochen wird", ist die milliardenteure Abwicklung der Hypo. Zumindest aus Sicht von "Europa anders", einem Zusammenschluss von Kommunisten, Piratenpartei und der linken Partei "Der Wandel", an deren Spitze sich als Unabhängiger Ehrenhauser gestellt hat. Auch der Spitzenkandidat sagt: "Das große Verbrechen ist die Bankenrettung." Aber vor allem: "Die Austeritätspolitik, um die Banken zu retten, ist ein Riesenverbrechen." Um darauf aufmerksam zu machen, hätten er und seine Mitstreiter am Samstag beschlossen, "die Pressestunde zu nützen, um ein aktionistisches Zeichen zu setzen".

Damit hat Ehrenhauser zumindest bei Samuel Seitz Eindruck gemacht: "Eine coole Aktion", sagt auch er. Der 17-jährige Schüler aus St. Pölten war einer der wenigen, die mit dem Politiker die ganze Nacht über da waren. "Warm war’s nicht", sagt er mit etwas gequältem Lächeln. Zu allem Unglück ging am Montagnachmittag auch noch der Boiler ein, sodass es nur noch kaltes Wasser für die Protestcamper gibt. Aber Samuel will trotzdem bleiben. Dank Osterferien kein Problem, aber er hätte notfalls auch die Schule geschwänzt, "um ein Zeichen zu setzen". Schließlich werde immer nur diskutiert "und niemand tut etwas".

Ehrenhauser hatte offensichtlich keine Lust mehr zu diskutieren. Daher griff er zum Aktionismus. An diesem Montagvormittag wirkt er allerdings etwas ratlos. Was er mit der Aktion genau erreichen will, kann er nicht wirklich erklären. "Einen Teil zur Debatte beitragen" ist die eher unbefriedigende Antwort.

Zumindest warum man sich das Kanzleramt als Ort für das kleine Protestcamp ausgesucht hat, erklärt "Europa anders"-Aktivist Ronny Mitterhofer recht schlüssig: Am Dienstag ist Ministerrat - das bringt mediale Aufmerksamkeit und vielleicht auch das eine oder andere Gespräch mit Regierungsmitgliedern.

Gegen ein Gespräch mit Bundeskanzler Werner Faymann hätte Ehrenhauser nichts einzuwenden: "Da könnte er mir dann erklären, warum die Sozialdemokratie für die Austeritätspolitik, für Vorratsdatenspeicherung und TTIP gestimmt hat."

Die Politik will Ehrenhauser aber gar nicht unbedingt erreichen, denn an deren Reformfähigkeit glaubt er nicht mehr. Vielmehr setzt er seine Hoffnung in die Zivilgesellschaft. "Die hat schon vieles erreicht, etwa das Aus für Acta oder Vorratsdatenspeicherung."

Bleiben, trotz Wetter

Ob er die Zivilgesellschaft erreicht, ist offen. In den Sozialen Medien ist das Protestcamp jedenfalls durchaus ein Thema. Der Aktionismus bringt Ehrenhauser somit zumindest Aufmerksamkeit, "und die braucht er ganz, ganz dringend", sagt Politikberater Peter Hajek zur "Wiener Zeitung". Entscheidend für eine gelungene Aktion sei immer, ob man seine Zielgruppe erreiche, so Hajek.

Darauf setzen im aktuellen Wahlkampf auch die Neos, die zu Hausbesuchen luden, oder die Grünen. So geht etwa Werner Kogler (obwohl selbst kein EU-Kandidat) mit einem "Hypo-Krimi" auf Tour. Sogar für SPÖ und ÖVP wäre Polit-Aktionismus denkbar, sagt Hajek, allerdings nicht mit den Spitzenkandidaten und nur als "ein Teil des gesamten Kampagnen-Mosaiks".

Paul hat mittlerweile seinen Protestsong beendet. Er packt seine Gitarre zusammen und verabschiedet sich. Ehrenhauser will bleiben. Wie lange, weiß er nicht. Dass sich ein Wetterumschwung ankündigt - "angeblich sogar Schnee bis auf 400 Meter herunter" -, ist jedenfalls kein Grund, die noch nicht vorhandenen Zelte abzubrechen: "Vom Wetter lass ich mich nicht vertreiben."