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Wasser frei

Von Iga Mazak

Politik
Ducken heißt es für viele Polen zu Ostern.
© Corbis

Warum Polen und andere Völker zu Ostern mit der Wasserpistole aufeinander losgehen.


Wien. Malgorzata rennt. Rennt durch die kleinen verwinkelten Straßen ihres Dörfchens, rennt als ginge es um ihr Leben. An der Straßenecke haben sie ihr aufgelauert - einen 15-Liter-Kanister voll mit Wasser haben ihre Landsleute dabei, das kann Malgorzata gerade noch erkennen, dann sprintet sie los. So schnell, dass die Absätze ihrer Sonntagsschuhe fast abbrechen. Ihre Verfolger sind ihr dicht auf den Fersen. Immer wieder fliegen Wasserbomben an ihren Ohren vorbei. Noch zwanzig Meter, dann hat sie es geschafft.

Jeden Ostermontag legt Malgorzata diesen Sprint zurück. Es ist ein besonderer Tag für die überwiegend katholischen Polen. Denn wer sich an diesem Tag auf die Straße traut, der muss damit rechnen, klatschnass heimzukehren. "Smigus dyngus" heißt der Osterbrauch, auf den sich polnische Kinder das ganze Jahr lang freuen. Dabei gilt es, sich gegenseitig mit Wasser zu bespritzen, was Glück und Gesundheit bringen soll. Was sich beim gesitteten Osterfrühstück auf kleine Gags mit ein paar Spritzern aus der Wasserpistole beschränkt, artet vor allem bei Jugendlichen zu wahren Straßenschlachten aus. Jung oder Alt, niemand wird an Polens Tag mit dem höchsten Wasserverbrauch verschont.

Die Polizei patrouilliert verstärkt und droht bei Eskalationen mit Verhaftungen. Dennoch: Mit Kübeln bewaffnet, lauert man Freunden und Familien vor dem Osterspaziergang auf und gießt, was das Zeug hält. Wer sich professionell wappnen möchte, besorgt sich eine Wasser-Bazooka. Denn vor Ostern locken Spielzeuggeschäfte mit Sonderangeboten bei Wasserpistolen. Wer den größeren Tank hat, gewinnt. Auch in Österreich praktiziert man den eigenwilligen Brauch, wenn auch nur im familiären Umfeld. Knapp 60.000 Polen leben hierzulande, die meisten, 40.000, in Wien.

Der geschütteteMontag der Heiden

Mehr als 90 Prozent der Polen glauben an Gott. Als praktizierende Katholiken bezeichnen sich immerhin weit über 50 Prozent - inklusive regelmäßiger Besuche des Gottesdienstes, der Beichte und täglichem Gebet. Und selbst wer es mit der Religion nicht (mehr) so genau nimmt - aus der kulturellen Prägung des Landes ist der Katholizismus nicht mehr wegzudenken. Und so wird "Smigus dyngus" (auch "Geschütteter Montag" genannt) auf die Zeit um 966 nach Christus zurückgeführt. Es ist das Jahr, in dem sich der polnische Herzog Mieszko taufen ließ und ganz Polen dadurch christianisiert wurde. Doch mit der Christianisierung hat das Wasserpistolen-Ritual nichts zu tun. Denn das kollektive Wasserbegießen war ursprünglich ein heidnischer Brauch.

Ursprünglich als zwei verschiedene Rituale praktiziert, wuchsen "Smigus" und "Dyngus" mit der Zeit zu einem Brauch zusammen. Mit in Wasser getauchten Ruten schlug man sich zur Frühlingszeit die Waden gegenseitig rosig ("Smigus"), was den Körper vom winterlichen Schmutz befreien und Gesundheit und Glück bringen sollte. "Dyngus" bezeichnet das Herumziehen in der Nachbarschaft im Frühjahr und erinnert an das heidnische Halloween. Besucher werden mit kleinen Speisen verköstigt - wer die Tür entgegen der Tradition nicht öffnet, auf den bricht das Unglück herein.

Ähnliche Bräuche praktiziert man auch in den Nachbarländern wie Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Dort wird der Brauch in etwas reduzierterer Form ausgeübt. Junge Frauen und Mädchen werden mit ein paar Spritzern Parfüm benetzt und zuvor in Form von aufgesagten Gedichten und Reimen um Erlaubnis gefragt.

Wiederauferstehungdes Lebens

Da sich Ostern als ein ursprünglich heidnisches Fest in der westlichen Kultur entwickelte, lassen sich viele Bräuche auf den sogenannten Paganismus zurückführen, der polytheistische Glaubensrichtungen im frühen Christen- und Judentum bezeichnet. Zahlreiche Riten können nicht exakt auf einen Ursprung zurückgeführt werden. Nach der Christianisierung wurden viele ursprünglich heidnische Bräuche einfach als christlich oder jüdisch erklärt, da sich die Menschen gegen die Verbote ihrer Ausübung zur Wehr setzten.

Charakteristisch für alle Bräuche ist der enge Bezug zur Natur und somit der Jahreszeit des Frühlings, der Wiederauferstehung des Lebens nach dem Winter. Auch das in der mittlerweile christlichen Tradition - vor allem in ländlichen Gegenden - praktizierte Osterfeuer lässt sich anfänglich auf das heidnische Urfeuer zurückleiten. Das Feuer, das alles Leben nimmt und schenkt und für den Neuanfang sowie den Kreislauf des Lebens steht. Durch das Entfachen des Feuers auf der Erde versuchte man die im Winter so schmerzlich vermisste Sonne auf die Erde zu bringen. Die Entzündung der Osterkerze, die sich in ähnlicher Form allen Weltreligionen wiederfindet, ist ebenfalls heidnischen Ursprungs.

Auch Eier gelten schon seit Jahrtausenden als heidnisches Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens - und so findet der Brauch der Ostereiersuche seinen Beginn im germanischen Götterkult. Eine Überlieferung besagt, dass Eier - die Boten des Frühlings - als Glücksbringer und Symbolträger in der Frühlingszeit zu Ehren der germanischen Göttin "Ostara" verschenkt wurden.

Mit der Christianisierung mussten viele heidnische Bräuche den religiösen Riten weichen. Um sich die Tradition des Eier-Schenkens zu erhalten, wurden die Eier kurzerhand versteckt, bevorzugt am Feld oder in den noch leicht bewachsenen Gebüschen in der Umgebung. Fand man eines der begehrten und gut versteckten Eier, brachte das doppelt Glück.