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Warum man nicht "Neger" sagt

Von Stephanie Anko

Politik

Der Sprachwissenschafter Manfred Glauninger erklärt im Interview, ab wann ein Wort zum Schimpfwort wird.


In einem Legasthenie-Test an einem Wiener Gymnasium sollten die Schüler das Wort "Neger" gemeinsam mit dem Wort "enger" finden. Das Arbeitsblatt, das im heurigen Februar verwendet wurde, stammt aus dem Jahr 1972.
© Simon Inou/M-MEDIA

Wien. "Ein Neger ist ein Neger, da kann er nichts dafür. Da gibt’s hellere und dunklere . . . Ich kenne keine andere Bezeichnung dafür. Wie soll ich ihn sonst nennen?" oder "Das Wort Neger ist ein absolut legitimes deutsches Wort" - diese und andere Aussagen von FPÖ-Politikern geistern seit Andreas Mölzers "Negerkonglomerat"-Sager durch Österreichs Medien. Was den Begriff "Neger" zum Schimpfwort macht, ob es klüger ist, im Diskurs stattdessen "N-Wort" zu sagen, und wohin die Diskussionen rund um das Wort führen könnten, erklärt der Sprachwissenschaftler Manfred Glauninger im Interview der "Wiener Zeitung."

"Wiener Zeitung":Trauen Sie
der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung zu, zu wissen, dass "Neger" ein Schimpfwort ist?

Manfred Glauninger: Das müsste in Umfragen untersucht werden. Ein Indiz dafür, dass es der Mehrheit schon bewusst sein sollte, sind Wörterbucheinträge. Ich denke, viele haben schon einmal im Duden online nachgeschaut oder ein anderes aktuelles Wörterbuch benutzt. In den meisten steht jedenfalls, dass "Neger" ein herabwürdigendes Wort ist.

Spielt die Bildungsschicht hierbei eine Rolle?

Das Interesse an einer "politisch korrekten" Ausdrucksweise hängt meistens schon mit dem Bildungshintergrund zusammen.

Wissen ältere Menschen seltener, dass "Neger" ein herabwürdigendes Wort ist?

Das müsste ebenfalls untersucht werden, um stichfeste Aussagen darüber machen zu können. Es ist aber schon so, dass ältere Menschen als Kinder und Jugendliche in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der das noch kein Thema war. Besonders alte Menschen sind noch in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen, in der dieser Begriff bewusst abwertend verwendet wurde.

Seit wann gilt "Neger" in Österreich als Schimpfwort? Und warum?

Mehrere Vereine protestierten gegen die Aufführung von Jean Genets Stück "Die Neger" bei den Wiener Festwochen.
© Wiener Festwochen

Dieser Begriff hat bereits in Zeiten des Kolonialismus begonnen, negativ behaftet zu sein. Der Kontext des Sklavenhandels hat sich im 18. Jahrhundert mit der fragwürdigen Rassenlehre vermischt. Damals wurde gelehrt, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe "anders" sind. Spätestens im 19. Jahrhundert wurde "Neger" als Begriff abwertend verwendet. Es war ja gewissermaßen Lehrmeinung, dass Menschen dunkler Hautfarbe "anders" - oft im Sinne von zweitklassig - sind. Spätestens mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA und der Emanzipation der schwarzen Menschen war jedoch klar, dass es sich tatsächlich um ein Schimpfwort handelt und dass die überkommenen Rassentheorien nicht haltbar sind. Von da an hätte ein Umdenken passieren müssen. Das Wort "Neger" hat eine fragwürdige Geschichte. Für uns ist heute klar, dass man es nicht verwendet. Und mit "uns" meine ich informierte Menschen beziehungsweise Menschen mit einem Zugang zu diesen Informationen.

Was ist mit dem Begriff "Schwarzafrikaner"? Der ist ja aus ähnlichen Gründen negativ behaftet wie "Neger". Glauben Sie, dass das den Menschen hier in Österreich bewusst ist?

Ich glaube, das ist noch weniger Menschen bewusst. Es gibt sogar Personen, die glauben, das sei der politisch korrekte Begriff. Sie verwenden ihn also stellvertretend für "Neger".

Wer bestimmt, ab wann ein Wort ein Schimpfwort ist? Gibt es da Umfragen? Oder zählt es schon, wenn ein Teil einer Community sagt: "Wir wollen das nicht"?

Ein Wort ist selten für sich alleine als Schimpfwort erkennbar. Erst durch den Kontext und die Verwendung wird es zum Schimpfwort. Jedes Wort kann dadurch zum Schimpfwort werden. In der Regel sind nur vulgäre Ausdrücke sofort als Schimpfwörter erkennbar. Begriffe wie "Neger", aber auch "Zigeuner" oder "Tschusch", werden bereits durch den gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext als abwertend angesehen. Das ist oft so bei Bezeichnungen von bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppen.

Was ist bei dem Diskurs das Entscheidende? Geht es darum, den Menschen klarzumachen, dass "Neger" ein Schimpfwort ist? Oder geht es darum, ihnen klarzumachen, dass man schwarze Menschen nicht auf ihr Äußeres beschränken darf?

Es geht mehr um Zweiteres. Natürlich hat Sprache Auswirkungen auf die Realität. Sprachverwendung ist eine Handlung. Wer spricht und schreibt, handelt und hat damit Einfluss auf die Wirklichkeit. Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel auf der Uni Studentinnen, die geschlechtergerechte Sprache nicht interessiert. Der Grund dafür: Sie meinen, damit würden die Probleme für Frauen in der Realität nicht gelöst. Somit wäre es wichtiger, schwarze Menschen fair zu behandeln, als das Wort "Neger" zu streichen. Aber: Sprache baut die Realität eben mit auf. Ideal wäre es, wenn im Diskurs sowohl über den Begriff als auch über die aktuellen Probleme und die Ungleichbehandlung der betroffenen Menschen gesprochen würde. Sich nur über einzelne Begriffe den Kopf zu zerbrechen, wäre nicht von Vorteil.

Manche Leute argumentieren, dass sich Schwarze in den USA selbst "Nigger" nennen oder schwarze Österreicher "Neger" zu sich selbst sagen. Rechtfertigt das nicht, dass auch andere sie so nennen?

Es gibt hierzulande auch Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich selbst als "Tschuschen" bezeichnen. Das ist keine Seltenheit. Dennoch bedeutet das nicht, dass eine Person außerhalb dieser Gruppen das ebenfalls machen kann, ohne verletzend oder herabwürdigend zu sein.

Könnte ein Begriff wie "Neger" im Laufe der Zeit seine negative Bedeutung verlieren?

Wenn, dann ginge das nur über längere Zeiträume. Möglich ist es schon, dass dieses Wort einmal seine negative Bedeutung verliert und in nicht-herabsetzender Weise verwendet wird. So etwas Ähnliches ist zum Beispiel im Englischen mit dem Wort "gay" passiert. Ursprünglich hieß es so viel wie "fröhlich, heiter" oder "aufgeweckt". Dann wurde es in herabsetzender Weise für homosexuelle Personen verwendet. Mittlerweile hat es schon wieder einiges von seiner negativen Bedeutung verloren.

Glauben Sie, ein Wort könnte verschwinden, wenn man es abkürzt? Etwa, indem man im öffentlichen Diskurs "B-Wort" statt "Bitch" oder "N-Wort" statt "Neger" verwendet?

Auf der einen Seite könnte eine konsequente Vermeidung des Wortes tatsächlich zum Abbau führen. Auf der anderen Seite wirkt "N-Wort" tabuisierend und könnte das eigentliche Wort noch mehr ins Bewusstsein rufen. Es kann sein, dass einfach nur das "N" einmal zum Schimpfwort wird, etwa: "Du N!" Wie sich solche Abkürzungen auswirken, müsste auf einen längeren Zeitraum hin untersucht werden.

Wie könnte "Neger" dann als Schimpfwort am ehesten verschwinden? Ist es besser, wenn einfach nicht mehr öffentlich darüber diskutiert wird, oder braucht es im Gegenteil noch mehr Diskussionen darüber?

Persönlich denke ich, es ist sehr wichtig, das Problem öffentlich zu diskutieren. Alles, was stark tabuisiert oder reglementiert wird, hat einen gewissen Reiz. Den Sprachgebrauch vorzuschreiben, ist jedenfalls ein zweischneidiges Schwert. Sprache hat nämlich viel mit Individualität und Freiheit zu tun. Bereits sehr kleine Eingriffe können als starke Einschnitte gesehen werden. Darum finde ich entscheidend, dass der Diskurs nicht zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger geführt wird. Es steht außer Frage, wie wichtig die öffentliche Diskussion dieses Problems ist. Man sollte sich aber überlegen, wie man das macht.

Könnte der Begriff "Neger", wenn er nicht mehr öffentlich als Schimpfwort verwendet wird, insgesamt aus dem Sprachgebrauch verschwinden? Oder verhält es sich ähnlich wie mit vulgären Wörtern, die dann in bestimmten Umfeldern trotzdem verwendet werden?

Wenn ein Wort im öffentlichen Diskurs nicht mehr verwendet wird, kann das schon dazu führen, dass es abgebaut wird. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Die Sprache ist ein gesellschaftliches Phänomen, und wenn Teile der Gesellschaft - wie zum Beispiel Politiker oder andere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen - das Wort nicht verwenden, kann das schon etwas bewirken. Andererseits werden vulgäre Wörter öffentlich selten verwendet - sie sind und bleiben trotzdem fester Bestandteil des Wortschatzes.

Zur Person:
Manfred Glauninger
Der Sprachwissenschafter untersucht die Wechselwirkung von Sprache und Gesellschaft. Sein besonderes Interesse gilt der deutschen Sprache in Österreich. Er forscht am Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an den Germanistik-Instituten der Universitäten Wien, Graz (derzeit als Gastprofessor) und Salzburg.