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Mehr als Wuzzeln und X-Box-Spielen

Von Hannah Stadlober

Politik
Fairness und das Einhalten von Regeln lernen Jugendliche im Jugendtreff Penzing.
© fotolia/Ammentorp

Im Wiener Jugendtreff Penzing erwerben Jugendliche soziale Kompetenzen im Umgang miteinander - über die Grenzen sozialer, nationaler oder kultureller Zugehörigkeit hinweg.


Wien. Das Gebäude auf der Linzer Straße im 14. Bezirk ist grau, alt und unscheinbar. Der Verputz bröckelt ab. Wenig deutet darauf hin, dass sich im Inneren auf 300 Quadratmeter ein Freizeit-Paradies mit einem Tischtennis- und Tischfußballtisch, X-Box-Anlagen, einem Billardtisch und Internetplätzen erstreckt: Willkommen im Jugendtreff Penzing.

Ein knallbuntes Graffiti dominiert den Eingangsbereich, an der Wand hängen Mannschaftsfotos von vereinsinternen Fußballturnieren. Die Holzböden sind abgenützt, in fast jeder Ecke stehen Sofas oder Sessel. Hip-Hop dröhnt aus den Lautsprechern.

"Natürlich geht es uns auch um das Bereitstellen von Ressourcen zur Freizeitgestaltung für Jugendliche", sagt Einrichtungsleiter Timo Sadovnik zur "Wiener Zeitung". Der tatsächliche Arbeitsauftrag des Jugendtreffs geht aber weit darüber hinaus. "Wir wollen den Jugendlichen helfen, wichtige Handlungs- und Kommunikationskompetenzen zu erwerben und so ihre Lebenssituation nachhaltig verbessern", sagt Sadovnik.

So helfen die Jugend- und Sozialarbeiter etwa bei Bewerbungsschreiben, unterstützen die Jugendlichen in schulischen und familiären Angelegenheiten und bieten Beratungen zu den verschiedensten Themen an.

Sadovniks Team besteht aus fünf Mitarbeitern - ausgebildetes Fachpersonal - und zwei ehrenamtlichen Helfern, die von Mittwoch bis Samstagabend für je vier Stunden im Einsatz sind. Durchschnittlich kommen 35 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 20 Jahren, an Spitzentagen können es bis zu 80 sein. Seit 2006 gibt es den Jugendtreff Penzing, dessen Trägerverein "Rettet das Kind" eine private Non-Profit-Organisation ist, die auf Grundlage der UN-Konvention über die Rechte des Kindes arbeitet. Die laufenden Kosten des Jugendtreffs werden vom 14. Bezirk und der Stadt Wien aus Mitteln der MA 13 gedeckt.

Einhalten von Regelnspielend lernen

Einmal pro Monat findet in Penzing ein Turnier in den Disziplinen Tischfußball, Fifa auf der X-Box, Billard und Tischtennis statt - heute ist Billard dran. 23 Jugendliche haben sich zur Teilnahme angemeldet - schließlich geht es um die hart umkämpfte Führung in der Jahresgesamtwertung. Die Namen der Führenden prangen auf einer Tafel, der "Hall of Fame". Über solche Turniere soll den Jugendlichen Fairness, der Umgang mit Frustration und das Einhalten von Regeln vermittelt werden.

Der 15-jährige Christian (Name von der Redaktion geändert) ist heute Schriftführer - er nimmt seine Aufgabe ernst; stolziert mit der Teilnehmerliste unterm Arm herum und trägt die Ergebnisse gewissenhaft in den Spielraster ein. "Uns geht es auch darum, die Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Autonomie der Jugendlichen zu fördern" , sagt Sadovnik.

Der 32-Jährige ist seit Februar 2014 Einrichtungsleiter. Im Jugendtreff Penzing will er auch als Sprachrohr für die Jugendlichen fungieren. "Wenn es etwa um Veränderungen im öffentlichen Raum geht, helfen wir den Jugendlichen, ihre Interessen zu vertreten." Insofern verstehen sich die Jugend- und Sozialarbeiter auch als Vermittler zwischen verschiedenen Institutionen. "Oft denken sich Leute, die werden ja nur fürs Tischtennisspielen bezahlt - diese Außenwahrnehmung trifft aber überhaupt nicht zu", so Sadovnik. "Wir leisten viel Beziehungsarbeit, denn um die Bedürfnisse der Jugendlichen in Erfahrung zu bringen und sie zu fördern, müssen wir zuerst eine direkte Beziehung zu ihnen aufbauen." Ein Jugendlicher betritt den Jugendtreff, geht auf Sadovnik zu, gibt ihm die Hand - ein Zeichen der Wertschätzung.

In jedem Raum hängt dasselbe Schild an der Wand: "Respektvolles Miteinander, keine Gewalt, keine Drogen, keine Waffen, kein Alkohol, keine Beschimpfungen", ist darauf zu lesen. Wer sich nicht an diese Grundregeln hält, bekommt in letzter Konsequenz ein - zeitlich beschränktes - Hausverbot.

Jugendtreff als Bildungseinrichtung

"Aber natürlich versuchen wir zuerst, verstärkt mit diesen Jugendlichen zu arbeiten und herauszufinden, warum sie sich mit Regeln schwertun", sagt Sadovnik. "Das ist ja auch unser Arbeitsauftrag. Letztendlich ist der Jugendtreff auch eine Bildungseinrichtung."

Im Fifa-Spiel hat der animierte Spieler Neumayr gerade ein Tor geschossen - die Figur auf der Leinwand jubelt, die Jugendlichen am Sofa grölen. In der angrenzenden Küche bereitet einer der Mitarbeiter gemeinsam mit ein paar Jugendlichen eine Art spanische Langos zu. Während der 17-jährige Arber gewissenhaft den Teig für die zweite "Ladung" rührt, schiebt sich sein älterer Bruder Adem schon genüsslich ein Stück spanische Köstlichkeit in den Mund - ein Geruch von Öl und Knoblauch erfüllt den Raum.

Arber und Adem sind vor sechs Jahren vom Kosovo nach Österreich gezogen - genauso lange kommen sie schon in den Jugendtreff Penzing. Sie finden es "leiwand" hier.

Nebenan ist das Billardturnier schon voll im Gange - "Viel Glück, Boris!", rufen seine Freunde ihm zu. Dicht gedrängt stehen die Jugendlichen am Billardtisch und beraten, in welchem Winkel Boris die Kugel anstoßen muss, um die schwarze ins richtige Loch zu befördern. Er verfehlt, die Enttäuschung ist groß. "Inshalla!", ruft ein kleinerer Bub.

Man hört einen bunten Sprachenmix: Albanisch, Türkisch, Rumänisch, Serbisch, Arabisch - und Wiener Dialekt. Die Mehrzahl der Jugendlichen hier hat einen Migrationshintergrund, oft sind sie aber schon in der zweiten oder dritten Generation in Wien. Auch der soziale Hintergrund ist ganz unterschiedlich: "Wir haben nicht nur sogenannte Problemkinder", so Sadovnik. "Von der Grunddefinition unserer Arbeit her geht es also natürlich auch um Integration - im weitesten Sinne. Nämlich darum, gemeinsam zu lernen, die Interessen von verschiedensten Menschen und Gruppen zu respektieren."

Integration -im weitesten Sinne

"Alle haben hier Platz, egal woher sie kommen, welche Religion sie haben oder was ihre ethnische Abstammung ist", so eine der Sozialarbeiterinnen. "Ab und zu bewegen sich die Jugendlichen miteinander, ab und zu nebeneinander - und das ist auch völlig okay. Konflikte gibt es, aber nicht vordergründig wegen des sozialen oder ethnischen Hintergrunds."

Im Vorraum liefern sich einer der Mitarbeiter und Santosh ein erbittertes Tischtennis-Match. Der 16-Jährige ist erst vor ein paar Jahren aus einem kleinen Dorf in Nepal nach Österreich gekommen. Seit einem Jahr ist er fast jeden Freitag und Samstag im Jugendtreff Penzing anzutreffen - hauptsächlich wegen des Tischtennistisches. "Letztes Jahr habe ich das Tischtennisturnier hier gewonnen", sagt Santosh stolz.

Im großen Finale des Billard-Turniers kann sich schließlich Murat gegen Andreas (beide Namen wurden von der Redaktion geändert) durchsetzen. Überglücklich fallen sich die drei Erstplatzierten in die Arme und posieren für Siegerfotos - sie sind sichtlich stolz.

Um 21 Uhr schließt der Jugendtreff seine Pforten. Beim Verabschieden geben die Jugendlichen den Betreuern die Hand. Sie werden wiederkommen.