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Tanzen in Schubladen

Von Saskia Blatakes

Politik
Im Bestellen von Cocktails in Gebärdensprache üben sich Alkbottle-Sänger Roman Gregory und Russkaja-Frontmann Georgij Alexandrowitsch Makazaria.
© Blatakes

Minderheiten sollen auf einem Ball zeigen, wie eine vielfältige Gesellschaft aussehen könnte.


Wien. Wien, die Stadt der Bälle. Ob Zuckerbäcker, Unteroffiziere oder sogenannte Akademiker: Beinahe jede Berufsgruppe feiert ihr eigenes Fest. Und dann gibt es noch die Bälle für die verschiedenen von der Gesellschaft diskriminierten Minderheiten: Regenbogenball, Blindenball und natürlich der große Life-Ball.

Ein Ball, der mehrere Minderheiten vereinen soll, ist der Diversity-Ball, der am 17. Mai im noblen Kursalon Wien stattfindet. Der Ball findet heuer zum siebten Mal statt, eingeladen sind "alle Menschen, unabhängig von Religion, Hautfarbe und Herkunft, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht und Sprache". Das Trio Piller, die Tanzgruppe Ich bin O.K., die Band Russkaja und der Gebärdensprach-Rapper Okan Seese treten auf. Moderiert wird der Abend von der Inklusions-Expertin Dorothea Brozek und dem Alkbottle-Sänger Roman Gregory. Sogenannte Communication Angels sollen die Verständigung zwischen Gehörlosen und Hörenden erleichtern, PickUp-TänzerInnen sicherstellen, dass niemand vom Tanzen ausgeschlossen ist. Durch solche Anglizismen fühlt sich die eine oder der andere wahrscheinlich ausgeschlossen.

Auch Anti-Diskriminierung arbeitet mit Schubladen. Auf dem Plakat zur Veranstaltung überbieten sich die Klischees: Ein weißes, heterosexuelles Pärchen (die Norm), zwei Drag-Queens (Homosexuelle), ein Mann im Rollstuhl, der von einer Frau im Kopftuch (Migrantin) geschoben wird. Das diesjährige Motto lautet nicht minder pauschalurteilend "Herkunft", die Gäste sind eingeladen, sich in Tracht zu kleiden. Es wäre also zu erwarten, dass die Mehrheit den Minderheitenball in Lederhose oder Dirndl besucht.

Lallende Gebärden

Bei der Presseveranstaltung im Vorfeld des Balles zumindest trägt niemand Tracht, alle warten seit einer halben Stunde auf die Band Russkaja. "So vielfältig sind die Menschen halt", lacht die Veranstalterin und equalizent-Geschäftsführerin Monika Haider. Die Band gibt dann ein kurzes Unplugged-Konzert, das simultan in Gebärdensprache übersetzt wird. Ein Dolmetscher gebärdet nicht nur den Text des Songs, sondern auch Geigenspiel und Schlagzeugrhythmus. Es folgt ein Crash-Kurs, bei dem die anwesenden Journalisten die wichtigsten Gebärden lernen sollen.

Gelächter gibt es vor allem, als die gehörlose Trainerin Ingrid Weidner die Gebärde für Wodka erklärt: Mit dem Finger schnipst man seitlich unter das Kinn. Es ist die gleiche Geste, mit der man in Russland wortlos signalisiert, dass jemand betrunken ist, erklärt Russkaja-Sänger Georgij Alexandrowitsch Makazaria. Auch lallen könne man in Gebärdensprache, antwortet die Trainerin auf eine Frage von Roman Gregory. Dann nämlich, wenn die Gebärden undeutlich werden und verschwimmen. Genau das Gleiche also wie bei der gesprochenen Sprache.

Solidarisches Zweckbündnis

Dass ein Diversity-Ball stattfindet, ist eigentlich kein Grund zum Feiern, sondern vielmehr ein Symptom einer ausschließenden, diskriminierenden Gesellschaft. "Viele Menschen fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen nicht zugehörig", sagt Monika Haider. Mit dem Diversity-Ball möchte sie "alles, was am Rand steht, integrieren". Minderheiten in einen Topf zu schmeißen hat allerdings zwei Seiten: Einerseits kann ein solches solidarisches Zweckbündnis die einzelnen Gruppen sichtbarer machen und es so erleichtern, politische Forderungen - die sehr unterschiedlich sein können - durchzusetzen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, sich in genau jene Ecke zu begeben, die die Gesellschaft immer noch für gewisse Gruppen vorsieht.

Rentable Minderheiten

Der Begriff Diversity ist aus der Wirtschaft entlehnt: Diversity Management steht dafür, Minderheiten nicht nur zu schätzen, sondern sie vor allem auch für das Unternehmen rentabel zu machen. Das Konzept wird von Firmen auch als Feigenblatt-Strategie verwendet, ähnlich dem sogenannten Greenwashing, wenn es um ökologische Themen geht. Der Begriff erinnert gerade an jene Verwertungslogik, durch die sich viele Menschen mit Behinderungen ausgeschlossen fühlen.

"Wir sehen das Konzept aber positiv, es ist die Grundlage unserer Arbeit", betont Monika Haider. Ihr Bildungszentrum equalizent bietet Schulungen, um Gehörlosen den Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsplätzen zu ermöglichen. Das Ziel des Balles sei es, "Kontakt und Teilnahme zu ermöglichen" und ein Bild davon zu zeichnen, "wie eine vielfältige Gesellschaft aussehen könnte".

Der Eintrittspreis von mehr als 50 Euro könnte dagegen Gäste ausschließen, denn gerade Menschen mit Behinderungen hätten oft Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden, sagt eine Rollstuhlfahrerin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Eine Mitarbeiterin einer NGO, die sich für die Rechte von behinderten Menschen einsetzt, sagt, das eigentliche Ziel müsse ein "bunter Opernball" sein, bei dem es Gebärdensprach-Dolmetscher gibt, Auftritte von Gehörlosen und homosexuelle Debütanten.

Ein Ball für Minderheiten kann also nur eine Übergangslösung sein. Das Ziel bleibt, dass sich jede Minderheit auf jedem Ball willkommen fühlt. Auch auf einem (fiktiven) Ball der Brillenträger, Linkshänder und Leser von Qualitätszeitungen.