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"Versprechen reicht nicht"

Von Brigitte Pechar

Politik

IHS-Direktor Keuschnigg fordert vor Entlastungsankündigungen konkrete Sparpläne von der Politik.


"Wiener Zeitung":Herr Professor, wir haben derzeit eine heftige Debatte auch innerhalb der Regierung, wann wir uns eine Steuerreform leisten können. Die SPÖ drängt auf einen frühen Zeitpunkt und will Vermögenssteuern als Gegenfinanzierung, die ÖVP will erst Spielräume schaffen und dann entlasten. Brauchen wir eine Steuerreform? Und wie soll diese aussehen, braucht es andere Tarifstufen?Christian Keuschnigg: Im Laufe der Jahre sind viele Bevölkerungsgruppen über die kalte Progression in die Spitzenbelastung hineingewachsen, für die diese Steuerbelastung gar nicht gedacht war. Da muss man sich dann schon fragen, ob die Verteilung der Steuerlasten auf die Bevölkerungsgruppen dem Prinzip der Leistungsfähigkeit noch entspricht. Daher muss hier korrigiert werden. Deshalb plädiere ich dafür, die Tarifgrenzen anzupassen, also um die Inflationsrate zu erhöhen.

Sind Sie für eine automatische Inflationsanpassung?

Die Indexierung der Tarifgrenzen ist eine Möglichkeit, die permanente Steuererhöhung, die politisch ja nicht beschlossen ist, zu verhindern. Wenn man eine Steuererhöhung braucht, muss man sie beschließen, aber sie darf nicht automatisch zuwachsen.

Eine solche Abschaffung der kalten Progression bringt aber noch keine Steuererleichterung.

Das wäre die Zukunft. Aber im ersten Schritt geht es darum, die vergangenen Erhöhungen auszugleichen. Und dann muss man darüber nachdenken, den Eingangssteuersatz zu senken und die Stufen bis zum Spitzensteuersatz so anzupassen, dass eine vernünftige Verteilung der Steuerlasten rauskommt.

Beim Ziel Senkung des Eingangssteuersatzes sind sich SPÖ und ÖVP einig: Künftig 25 Prozent anstelle der 36,5 Prozent, die derzeit für Jahreseinkommen von 11.000 bis 25.000 gelten. Aber ist nicht auch der Spitzensteuersatz von 50 Prozent ab 60.000 Euro zu hoch?

Wir setzen im internationalen Vergleich den Spitzensteuersatz zu früh an. Damit gehen wir weit in den Mittelstand hinein. In anderen Ländern greift das erst bei sehr viel höheren Einkommen. Damit verfolgt man Verteilungszielsetzungen. Das ist eine politische Entscheidung. Ich kann mehr oder weniger umverteilen. Die Einkommensteuer ist dazu ein wesentliches Element. Und dann kommt es darauf an, wie viel Steueraufkommen man braucht. In Österreich greift man sehr stark zu, daher müssen alle auch schon die ersten Einkommensteile hoch versteuern.

Muss zuerst gespart werden, bevor die kalte Progression abgegolten werden kann?

Das hängt davon ab, ob die Steuerreform aufkommensneutral gestaltet werden kann, etwa indem Begünstigungen gestrichen werden, dann könnten wir niedrigere Steuersätze haben. Der Rechnungshof hat hier viele Möglichkeiten aufgezählt, die wichtigste Begünstigung ist jene des 13. und 14. Monatsgehalts.

In der Vergangenheit ist jede politische Debatte darüber gescheitert, obwohl ja eigentlich die Begünstigung des 13. und 14. Gehalts höhere Einkommen bevorzugt.

Ich habe nie verstanden, was die Begründung für diese steuerliche Behandlung ist. Es ist ja eine Nullrechnung, man würde den Steuerzahlern nichts wegnehmen: Sie haben zwar keine begünstigte Behandlung des 13. und 14. mehr, aber dafür zahlen sie niedrigere Steuersätze, sodass am Ende die Belastung gleich bleibt. Der Vorteil ist, dass der Steuertarif transparenter wird. So kann man feststellen, ob man das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit effizient verfolgt.

Finanzminister Michael Spindelegger hat berechnet, dass eine Senkung des Eingangssteuersatzes von 36,5 auf 25 Prozent etwa 4,5 Milliarden kostet. Geht das ohne Gegenfinanzierung?

Wenn man die Menschen entlasten und die Steuerquote senken will, muss gespart werden. Man kann natürlich Steuern erhöhen, dann hat man zwar auf der einen Seite entlastet, aber auf der anderen Seite erhöht. Das wäre eine Umverteilung, die aber an der hohen Steuerquote nichts ändert. Wenn man die Steuerquote reduzieren und die Lohnsteuer senken will, dann muss man auf etwas verzichten.

Der Finanzminister beauftragt jetzt eine Strukturreformkommission, die Einsparungen vorschlagen soll, damit wir uns eine Steuerreform auch leisten können. Hat er recht?

Eine aufkommensneutrale Steuerreform kann man sehr schnell machen, wenn man aber die Steuern senken will, muss man sich diesen Spielraum erkämpfen. Wenn man eine Entlastung verspricht, muss man vorher sagen, wo man einspart. Dieses Programm ist aber noch nicht gemacht. Solange das nicht erledigt ist, ist das Versprechen einer Entlastung nicht glaubwürdig.

Die SPÖ sagt, wo das Geld dafür herkommen soll, nämlich von der Millionärssteuer.

Das ist ein legitimes Verteilungsziel, aber die Steuerquote hat sie damit noch nicht gesenkt.

Es ist ja kein ursächliches Interesse der SPÖ, eine möglichst niedrige Steuerquote zu haben.

Aber man muss berücksichtigen, was man mit einer Steuerreform erreichen will. Wenn man die wachstumshemmenden Wirkungen zurückschrauben will, dann geht das nur, indem man die Belastung netto absenkt. Wenn man es aufkommensneutral macht, verteilt man um, aber eine große Wachstumsbelebung wird man damit nicht erzielen.

Mit einer aufkommensneutralen Steuerreform erzielt man keine Ankurbelung des Wachstums?

Die Entlastung der Arbeitseinkommen kommt der Standortattraktivität zugute, wenn es tatsächlich gelingt, Lohn- und Abgabenbelastung zu reduzieren. Kommt nun auf der anderen Seite eine Millionärssteuer, die auch die Leistungsträger trifft, werden etliche abwandern, wie das Beispiel Frankreich gezeigt hat. Das schlägt sich wiederum negativ auf das Wachstum nieder. Mit einer Vermögenssteuer wird man sicherlich kurzfristig Einnahmen erzielen. Längerfristig wird die Vermögenssteuer, das sie aus den Kapitalerträgen erwirtschaftet werden muss, Ersparnisse und Investitionen bremsen.

Mehr Wachstum geht also nur mit einer niedrigeren Steuerquote?

Genau. Die Abgabenquote liegt mit 45,5 Prozent deutlich über dem OECD- und EU-Durchschnitt, das ist eine schwere Belastung. Einsparungen auf der Ausgabenseite bedeuten nicht automatisch, dass die Bürger verzichten müssen. Weniger Steuern heißt mehr verfügbares Einkommen.

Haben wir in Österreich zu viele Transferleistungen?

Dazu gibt es keine objektive Bewertung, das ist eine Frage der Weltanschauung. Was man sagen kann, ist, dass wir das in sehr großem Umfang tun und dafür sehr hohe Kosten in Kauf nehmen. Aber der Steuerwiderstand und die Kosten der Besteuerung steigen progressiv an: Unternehmen wandern ab, die Haushalte gehen früher in Ruhestand, ein Teil der Wirtschaft wandert in den Pfusch und die Schattenwirtschaft ab, es wird weniger investiert und gespart. Es gibt viele Auswirkungen hoher Besteuerung. Zu hohe Steuern haben wachstumshemmende Wirkung.

Haben Sie eine Idee, wo der Staat Ausgaben senken könnte?

Ich will hier nichts herauspicken, alle sollen angemessen auf etwas verzichten. Aber klar ist, dass die öffentlichen Haushalte noch Jahrzehnte belastet werden durch die fortschreitende Alterung. Zwei Drittel der Steuer- und Abgabenbelastung entfallen auf Sozialversicherungsabgaben, nur ein Drittel auf Lohnsteuer. Dass in Österreich die Belastung so hoch ist, hat etwas zu tun mit den hohen Zuschusszahlungen zur Pensionsversicherung. Die Versicherung ist nicht selbstdeckend. Man verschleiert so die Kosten der Alterssicherung.

Unser Pensionssystem war immer auch als Zuschusssystem geplant. Deshalb ist es auch ein Garant gegen Altersarmut.

Wenn man Umverteilung transparent macht, heißt das noch nicht, dass man sie abschafft. Es geht darum, dass die Leute die Information haben, welcher Teil von anderen Gruppen oder von den nachfolgenden Generationen bezahlt werden muss. Das gilt auch für die Politik, damit sie nachher die Umverteilung zielgenauer vornehmen kann. Es geht nicht um das Abschaffen der Umverteilung, es geht um Transparenz.

Zur Person

Christian Keuschnigg

(55) ist seit Juni 2012 Direktor des Instituts für höhere Studien, das zum Beispiel gemeinsam mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut die Wachstumsprognosen verfasst. Der Volkswirtschafter ist Professor für Nationalökonomie, insbesondere öffentliche Finanzen, an der Universität St. Gallen.