Zum Hauptinhalt springen

All-in - und verloren

Von Clemens Neuhold, Sophia Freynschlag und Brigitte Pechar

Politik
Kurz vor Einigung auf den 12-Stunden-Tag scheint das Verhandlungspaket geplatzt.
© Coloures-Pic - Fotolia.com

Sozialpartnerschaft in Nöten: Bei All-in-Verträgen, 12-Stunden-Tag und der 6. Urlaubswoche schaffte es die Schattenregierung nicht über den eigenen Schatten.


Wien. "Entweder die Regierung zieht das Paket durch und bewegt sich, oder sie macht weiterhin nix." So kündigte ein Gewerkschafter Anfang April an, der Regierung zu zeigen, wo der Bartl den Most holt. Die Regierung stolperte vom Budgetloch in die Hypokrise. Also schickten sich die Sozialpartner an, das Ruder zu übernehmen und einen wichtigen Punkt im ersten Kapitel des Regierungsprogramms zügig umzusetzen: das Arbeitsrechtspaket.

Mehr Urlaub gegen flexiblere Arbeitszeiten

Das Paket umfasst für Arbeitnehmer und Firmen essenzielle Neuerungen wie eine 6. Urlaubswoche, einen 12-Stunden-Tag bei Gleitzeit oder eine Eindämmung der All-in-Verträge. Am Schluss hätten sowohl Firmen wie auch Arbeiter und Angestellte vom Paket profitieren sollen und Österreich hätte sich ein Stück weitergedreht. Doch ganz im Muster der Regierung schaffte es auch die "Schattenregierung" nicht, über den eigenen Schatten zu springen.

Wie die "Wiener Zeitung" von mehreren Verhandlern auf beiden Seiten erfuhr, ist das Paket "ruhend", "auf Eis", auf "den Sankt Nimmerleinstag verschoben". Zunächst sollen die Verhandlungen intensiv gewesen sein, doch seit vier Wochen wird gar nicht mehr verhandelt. Auch eine Chefrunde zwischen dem Präsidenten der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl und dem Chef des Gewerkschaftsbundes, Erich Foglar, kam nie zustande.

Gewerkschaft spielt "alles oder nichts"

Ein Grund: Der Wirtschaft ist die 6. Urlaubswoche zu teuer. "Die Suppe ist teurer als das Fleisch, dann wird man Suppe nicht mehr essen wollen", heißt es von Seiten der Arbeitgeber. Die Gewerkschaft wiederum sieht die 6. Urlaubswoche als Bedingung für alle anderen Verhandlungspunkte. "An einer Paketlösung führt kein Weg vorbei, weder jetzt, noch in drei Jahren", sagt Karl Proyer von der Gewerkschaft der Privatangestellten GPA-djp zur "Wiener Zeitung". Nachsatz zu den Verhandlungen: "Besonders euphorisch und optimistisch waren wir nie."

Nun ist die Zeit abgelaufen, denn alle Kraft wird längst auf die Steuerreformgruppe verwendet, in der die Sozialpartner sitzen.

Übernimmt die Regierung beim Arbeitsrechtspaket wieder das Ruder von den Sozialpartnern? Das Wirtschaftsministerium winkt ab. "Das hängt auf Ebene der Sozialpartner. Solange es dort keine Bewegung gibt, können wir das nicht umsetzen", heißt es auf Nachfrage.

Die Gewerkschaft hat längst ihren Plan B aktiviert: "Wenn die Arbeitgeber glauben, dass Themen weg sind, irren sie sich", sagt Proyer. Beim Thema 6. Urlaubswoche kündigt er an, diese in allen 170 Kollektivverträgen, die von der GPA verhandelt werden, aufs Tapet zu bringen. Für ihn ist es ungerecht, wenn zum Beispiel Frauen im Supermarkt unterschiedlich behandelt werden, nur weil sie den Arbeitgeber oft gewechselt haben.

Teurer Urlaubsrucksack wie bei Abfertigung

Die Gewerkschaft will bekanntlich, dass so wie bei der Abfertigung neu der Anspruch auf die 6. Urlaubswoche im Rucksack von Job zu Job mitgenommen wird. Derzeit muss man 25 Jahre beim selben Arbeitgeber gewesen sein. "Als das in den 70er Jahren eingeführt wurde, rechnete man mit viel mehr Beziehern", sagt Proyer. Durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt sei es nicht so gekommen. Die Firmen hätten sich Kosten erspart.

Doch Gerechtigkeit kostet und die Betriebe wollen nicht akzeptieren, dass jetzt der Zahltag für früher sein soll. Denn sie stehen im Standortwettbewerb und leiden unter dem gestiegenen Kostendruck. Der Gewinn aus dem 12-Stunden-Tag - das Gegengeschäft zur 6. Urlaubswoche - hätte für sie größer sein müssen. Doch das verhindert ein Konstruktionsfehler in dem Paket:

"Von einer Ausdehnung der Arbeitszeit auf 12 Stunden wären nur Arbeitnehmer in einem Gleitzeitmodell betroffen gewesen. Das sind in Österreich rund 20 Prozent der Arbeitnehmer. Und das nur, wenn es dazu eine Betriebsvereinbarung beziehungsweise eine Vereinbarung auf Kollektivvertrags-Ebene gegeben hätte. Arbeiter arbeiten üblicherweise nicht in Gleitzeit - meist sind es Angestellte, aber kaum im Handel", teilt ein Sprecher von Sozialminister Hundstorfer mit.

Tatsächlich haben vor allem Industrievertreter zuletzt vehement auf eine Höchstarbeitszeit von 12 Stunden gepocht und vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gewarnt. Von der diskutierten Regelung nur für Gleitzeit-Beschäftigte profitieren allerdings nicht die Produktionsbetriebe, die sich ursprünglich eine Abfederung von Auftragsspitzen durch flexiblere Arbeitszeiten wünschen. Vielfach werden solche Schwankungen ohnehin bereits mit Schichtdiensten oder durch Betriebsvereinbarungen ausgeglichen. Derzeit ist es aber durch Betriebsvereinbarung nur möglich, zusätzliche Überstunden bis zu einer Tagesarbeitszeit von 12 Stunden vorübergehend in außergewöhnlichen Fällen zuzulassen. Ein dauerhaftes flexibles Arbeitszeitmodell mit 12 Stunden Normalarbeitszeit ist hingegen nicht möglich, teilt das Sozialministerium mit.

Gleitzeit für Bedürfnisse der Industrie ungeeignet

Die Gewerkschaft hatte aber in die Gleitzeit-Debatte eine weitere Hürde eingebaut: Alle Stunden, die über die zehnte Stunde hinausgehen, müssten mit Überstundenzuschlägen honoriert werden. Auch dann, wenn die Arbeitnehmer von sich aus ihre Arbeitszeit auf 12 Stunden ausdehnten. "Wenn die Gewerkschaft das tatsächlich zur Bedingung macht, ist das Modell tot", sagt Martin Risak, Arbeitsrechtler an der Universität Wien, und er fügt hinzu: "Das wäre kein Schaden." Risak beschäftigt sich intensiv mit Gleitzeit. Und in allen Studien zeige sich, dass Gleitzeit Selbstausbeutung fördert. Denn der Rechtfertigungsdruck für Arbeitnehmer sei schon sehr groß, dass sie früher nach Hause gehen, wenn gerade keine Arbeit da ist. Risak hält auch wenig von der Interpretation, dass Gleitzeit die größte Autonomie für Arbeitnehmer ist.

Im Übrigen sei Gleitzeit für die Ansprüche der Industrie, dann zu arbeiten, wenn Arbeit da sei, ohnehin nicht das richtige Modell. "Eine Just-in-Time-Produktion hat nichts mit Gleitzeit zu tun. Dafür ist ein klarer Arbeitsplan erforderlich und dafür wiederum braucht es eine Ausweitung der Tageshöchstarbeitszeit über die Gleitzeit hinaus." Das bestätigt auch sein Kollege, Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal: "Gleitzeit ist für das Abdecken von Spitzenzeiten nicht geeignet. Eine solche Flexibilität gewinnt man nur, wenn man die Möglichkeit für 12 Stunden außerhalb der Gleitzeit öffnet - natürlich mit Bezahlung."

All-in-Rechner für jedermann

Das Ziel, All-in-Verträge einzudämmen, will Proyer weiterverfolgen. "Wir werden im Herbst einen All-in-Rechner präsentieren. Da kann jeder seine Stunden eintragen und schauen, ob das in Relation zu seinem Gehalt ist. Außerdem werden wir die Prüfung auf Rechtmäßigkeit verstärken, über die Gebietskrankenkasse und über die Betriebsräte", kündigt er eine entsprechende "Kampagne" an. Ebenfalls im Herbst wollen Gewerkschafter notfalls auf die Straße gehen, wenn die Steuerreform nicht kommt. Von der Sozialpartnerschaft als mäßigendem Faktor in der Innenpolitik wird man sich bis auf Weiteres verabschieden müssen.