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Kein einig Volk

Von Walter Hämmerle

Politik

Drei Faktoren bestimmten Wahlverhalten bei EU-Wahl: Haltung zur EU, Alter und Geschlecht.


Wien. Sie sollen doch bitte einfach nur Politik für die Leute machen: Das bekommen Politiker der sogenannten Systemparteien, also vorwiegend SPÖ und ÖVP, tagaus tagein zu hören - von den Medien ganz besonders, aber auch von der eigenen Basis. Dann nämlich würde es auch wieder aufwärts gehen bei Wahlergebnissen und Imageumfragen, so wird jedenfalls behauptet.

Nun ist nicht auszuschließen, dass etliche Politiker das durchaus gerne würden, Politik machen "für die Leut’" nämlich. Tatsächlich ist das Problem aber wohl eher, dass der Politik "die Leut’" abhanden gekommen sind. Die EU-Wahl vom Sonntag hat erneut die Kluft zutage gefördert, die Österreichs Bevölkerung in zahlreiche, höchst heterogene Segmente zerteilt. Viel spricht deshalb dafür, dass sich "die Leut’" als politisch sinnvolle Kategorie verabschiedet haben. Tatsächlich lässt sich nur noch mit viel Fantasie aus dem Gesamtergebnis der EU-Wahl auf einen allgemeinen politischen Willen aller Bürger schließen. Ein solches Unterfangen war zwar schon immer die große Illusion einer anonymen Massendemokratie, etwa in der Repräsentationsfiktion des modernen Parlamentarismus, diese Fiktion lässt sich allerdings zunehmend schwerer aufrechterhalten.

Wer nun das Ergebnis der EU-Wahl im Detail analysiert, entdeckt (laut Telefonumfrage von Arge Wahlen vor der Wahl und einer Wahltagsbefragung von Sora) eine Spaltung der Bevölkerung entlang dreier Bruchlinien, die schließlich auch das Wahlverhalten entscheidend bestimmten:

Einstellung zur Europäischen Union, Alter und schließlich Geschlecht.

Diese Besonderheiten machen es so schwer, aus dem Urnengang belastbare Rückschlüsse auf die kommenden Landtagswahlen sowie auf das aktuelle bundespolitische Kräfteverhältnis zu ziehen.

Verhältnis zur EU bestimmt Wahlbeteiligung

Das beginnt mit der Frage, wer überhaupt an der EU-Wahl teilgenommen hat. Naturgemäß überwiegen hier diejenigen, die der Union gegenüber im weitesten Sinne positiv eingestellt sind; die Wahlbeteiligung lag hier bei 57 Prozent); erklärte EU-Gegner und -Kritiker blieben der Wahl eher fern (Wahlbeteiligung 35 Prozent). Das erklärt nicht nur die niedrige Wahlbeteiligung, die im Vergleich zu 2009 fast unverändert bei 45 Prozent lag, sondern auch das in Summe ordentliche Abschneiden der pro-europäischen Parteien ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos und verhinderte einen noch größeren Zugewinn der europakritischen FPÖ, die beim Vertretungsanspruch der EU-Skeptiker quasi über ein Monopol verfügte.

Die geringste Wahlbeteiligung wiesen mit 26 Prozent übrigens diejenigen auf, die der EU weitgehend gleichgültig gegenüberstehen. Ärger über die Union konnte da schon mehr Leute für die Wahl mobilisieren, mit 41 Prozent blieb diese Gruppe aber immer noch unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung.

Von jungen Frauenund älteren Männern

Der zweite große Graben, der Österreichs Bevölkerung beim Wahlverhalten teilt, ist das Alter. ÖVP und SPÖ, also die beiden stimmenstärksten Parteien, kamen gemeinsam bei den Unter-30-Jährigen nur noch auf rund ein Drittel der Stimmen, dafür vereinen sie bei der Generation 60plus gleich zwei Drittel auf sich. Überdurchschnittlich stark bei den Jungen schnitten Grüne und Neos ab, die FPÖ lag hier - anders als noch bei der Nationalratswahl im Herbst - lediglich im Durchschnitt (was wiederum mit der generell positiveren EU-Einstellung der Jüngeren zu tun hat). Allerdings ist zu beachten, dass der Anteil der Älteren an den Wahlberechtigten weitaus größer ist als jener der Jungen.

Der dritte Bruch im Wahlverhalten ergibt sich aus dem Geschlecht der Wähler. Bemerkenswert ist etwa, dass - sowohl bei den Wählern wie den Nichtwählern - Männer eine positivere Sicht auf die EU haben als Frauen; Letztere stehen insbesondere der Einführung des Euro kritisch gegenüber. Geradezu frappierend werden die Unterschiede, wenn man Geschlecht und Alter kombiniert. Die Wahlbeteiligung der Unter-30-jährigen Frauen ist mit 63 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den gleichaltrigen Männern mit 36 Prozent. Besonders profitieren konnten davon die Grünen, während die FPÖ stark bei den jungen Männern abschnitt. Dieses Wahlverhalten dreht sich bei der Generation 60plus um, wo 55 Prozent der Männer, aber nur 40 Prozent der Frauen an der EU-Wahl teilnahmen. Männliche Senioren tendierten besonders stark zur Volkspartei, Frauen bevorzugten die Sozialdemokratie.

Im Vergleich zu den Faktoren EU-Einstellung, Alter und Geschlecht hatten Faktoren wie Bildung und Berufsstand vergleichsweise wenig Einfluss auf das Wahlverhalten. Dies deshalb, weil die EU-Befürworter unter den Wahlbeteiligten dominieren und diese traditionell über eine höhere Bildung und Berufsqualifikation verfügen. Unter Arbeitern betrug die Wahlbeteiligung daher lediglich ein Drittel.