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Eine Steuer wie damals

Von Simon Rosner

Politik

Aus der Geschichte der Einkommensteuer könnte man auch Modelle für die Zukunft herauslesen.


Wien. Was in Sachen Steuerreform alles nicht geht, haben SPÖ und ÖVP in den vergangenen Wochen hinlänglich dargelegt. Wobei ja beide Parteien durchaus einer Meinung darin sind, dass auch das derzeitige Modell keines für die Zukunft ist und Arbeit geringer besteuert werden müsse. Im EU-Vergleich liegt Österreich in dieser Hinsicht auf dem zweiten Rang, nur Schweden besteuert den Faktor Arbeit noch höher.

Ein Blick in die Historie der Einkommensteuer in Österreich würde beiden Regierungsparteien aber zeigen: Geht nicht, gibt’s nicht. Denn seit 1955 hat es schon so gut wie alles gegeben, sogar einen Spitzensteuersatz von 62 Prozent. Auch das ist gegangen, sogar bis 1989, wobei das international noch gar nichts war.

Großbritannien hatte in den 1970er Jahren einen Höchststeuersatz von 83 Prozent, der sich mit Kapitaleinkommen sogar auf 98 Prozent erhöhen konnte. Weshalb ja einst auch etwa die Rolling Stones geschlossen England verließen und nach Frankreich zogen. Seit heuer beträgt der Spitzensteuersatz allerdings dort 75 Prozent, doch Jagger und Richards sind ohnehin schon lange wieder weg.

Großbritannien und Frankreich sind auch jene Länder, ohne die auch die hiesige Einkommensteuer nicht denkbar ist. Denn es war die Französische Revolution, die man als Auslöser der heutigen Steuerpraxis festmachen kann, die erste effektive Einkommensteuer wurde dann in England eingeführt, um den aufwendigen Krieg gegen Napoleon zu finanzieren. Österreich war etwas später dran, im 19. Jahrhundert, 1898 wurden erstmals Einkommen hierzulande erfasst.

Mit dem "Anschluss" wurde in Österreich auch das reichsdeutsche Steuerrecht übernommen und nach der Befreiung 1945 in österreichisches Recht überführt. Das heißt, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Deutschland und Österreich praktisch identische Steuersysteme und Tarifsätze hatten, seither haben sich doch große Unterschiede aufgetan.

Doch es gibt einen gesamteuropäischen Trend, der auch Österreich erfasst hat, wenn auch mit Verzögerung. Denn blickt man auf die Geschichte der Einkommensteuer und ihrer Struktur seit 1955, wie es das Wirtschaftsforschungsinstitut vor einigen Jahren getan hat, lässt sich ein Davor und ein Danach aus der Geschichte herauslesen, nämlich vor der Reform 1989 und danach.

Es hat noch andere Zäsuren und grobe Änderungen gegeben, doch jene große Reform hat wohl die größte Sichtbarkeit gehabt. Die Anzahl der Tarifstufen wurde von zehn auf fünf verringert, der Eingangssteuersatz auf zehn Prozent reduziert (von 21) und der Höchststeuersatz mit 50 Prozent festgeschrieben (statt 62). Es war die erste große Reform unter der noch jungen rot-schwarzen Koalition, die damals nach 20-jähriger Unterbrechung eine Neuauflage erlebte. Und es war wohl auch dieser Partnerschaft der beiden Großparteien geschuldet, dass die Reform 1989 so drastisch ausfiel: Zwar ging der Trend in Europa schon vorher in Richtung geringerer Progression, doch in Österreich kam eben noch dazu, dass beide Großparteien ihre Wählergruppen bedienen mussten.

"Eine Steuerreform muss immer auch politisch durchsetzbar sein, deshalb war es eine Reform, die alle entlastet hat", sagt Wifo-Ökonomin und Co-Autorin der Studie, Margit Schratzenstaller. Der Spitzensteuersatz ist seither bei 50 Prozent einzementiert, allerdings wurde erst 2009, 20 Jahre später, jener Betrag angehoben, ab dem der Höchststeuersatz zur Anwendung kommt.

"Wir haben eine Flat Tax"

Im Jahr 1989 wurde, umgerecht in Euro, jedes Einkommen ab 51.000 Euro mit 50 Prozent besteuert, was nach heutigem Geldwert in etwa 90.000 Euro entspricht. Allerdings greift gegenwärtig der Spitzensteuersatz bereits ab 60.000 Euro. Da die Steuerklassen generell kaum verändert wurden, sind über die Jahre immer mehr Menschen in höhere Steuerklassen gerutscht.

Diese kalte Progression hat zur Folge, dass heute schon Personen in die höchste Steuerklasse fallen, die das Zweieinhalbfache des durchschnittlichen Einkommens beziehen, während im Jahr 1955 erst das 159-fache Durchschnittsgehalt mit dem höchsten Tarif besteuert wurde. "Die Abflachung der Progression ist ein europäischer Trend", sagt Schratzenstaller. Wenn man noch dazu die Abgaben für der Sozialversicherung in Betracht zieht, die kleine Einkommen stärker belasten als große, "haben wir praktisch eine Flat Tax", sagt die Wifo-Expertin.

In der Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts wird auch auf zwei wesentliche Maßnahmen eingegangen, die unabhängig von Tarifstufen, Frei- und Abzugsbeträgen getroffen wurden. In der Kreisky-Ära wurde die Einkommensteuer individualisiert, bis dahin war das Haushaltseinkommen relevant. Das führte jedoch dazu, dass auch kleine Zuverdienste, in der Regel der Ehefrau, zum Teil hoch besteuert wurden. "Es gab einen Arbeitskräftemangel, und man wollte Frauen in Beschäftigung bringen. In diesem System sah man eine negative Arbeitsmotivation", erklärt Schratzenstaller. In Deutschland ist die Bemessung am Haushaltseinkommen nach wie vor in Kraft.

Der zweite große Eingriff war die Trennung zwischen Einkommen aus Arbeit und aus Kapitalanlagen. Bis 1993 wurde beides als Einkommen bewertet, das mit den entsprechenden Sätzen zu besteuern ist. Die Angabe von Kapitalerträgen war jedoch mehr oder weniger freiwillig, denn aufgrund des Bankgeheimnisses fehlte die Kontrolle. Daher kam so gut wie gar nichts in die Staatskasse. Die Kapitalertragssteuer, die an der Quelle, und daher anonym ansetzte, war die Lösung. "Es war besser als gar nichts", sagt Schratzenstaller. "Ein kleines Land muss sich um Steuerflucht kümmern."

Neuerung Freibetrag

Seit der großen Reform 1989 blieben die Tarifstufen (10/22/ 32/42/50 Prozent) in Österreich lange Zeit weitgehend unangetastet, dafür wirkte die kalte Progression. Allerdings wurden bis zum Jahr 2000 auch geringfügige Einkommen besteuert, wenn auch nur gering. Mit dem Wegfall der ersten Stufe lag der Eingangssteuersatz dann wieder bei 21 Prozent, wie davor in den 80ern.

Unter Schwarz-Blau kam dann wieder ein großer Eingriff, nämlich die Einführung eines Freibetrages (derzeit 11.000 Euro). Mit einem Schlag mussten Geringverdiener keine Lohnsteuer zahlen, doch auch höhere Einkommen profitierten durch den steuerfreien Fixbetrag. Mittlerweile zahlen 37 Prozent der Einkommensbezieher gar keine Lohnsteuer mehr, sie fallen unter diese Grenze. Das Problem: Geringverdienern bringen Absetzbeträge nichts, der Staat hat mit diesem Modell Lenkungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben.

Und nach wie vor ist das System aus der Regierung Schüssel in Kraft, 2009 wurde lediglich der hohe Eingangssteuersatz von 38,3 auf 36,5 Prozent gesenkt. Die laufende Debatte kreist um die weitere Reduktion der ersten Tarifstufe, die SPÖ will auch wieder fünf verschiedene Steuersätze, so wie bei der großen Reform 1989. Und noch etwas erinnert an damals: Alle sollen profitieren, Wähler der SPÖ genauso wie der ÖVP. Und das kostet.