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"Der Schwarzafrikaner" im Jus-Lehrbuch

Von Eva Zelechowski

Politik

Autor und Jurist sieht die Angabe ethnischer Herkunft bei Suchtmittel-Fallbeispielen in seinem Buch als relevant an.


Täter Emeka verkauft Drogen an Konsumenten Peter und Anna, über deren Nationalität bzw. Hautfarbe das Buch keine Informationen gibt.
© Handbuch Nebenstrafrecht von Harald Bohé, Verlag Österreich

"Der 19-jährige Schwarzafrikaner Emeka verkaufte von Jänner bis März 2008 in mehreren Angriffen insgesamt fünf Kugeln mit jeweils 0,3 Gramm Heroin und sieben Kugeln mit je 0,3 Kokain  an den 16-jährigen Suchtmittelkonsumenten Peter und die Suchtgiftkonsumentin Anna…"

"Die polnischen Staatsangehörigen Piotr und Ladislaw schmuggeln am 15.5.2008 mit dem PKW des Piotr in einem präparierten Feuerlöscher  Speed, Kokain und Heroin über die tschechische Grenze nach Österreich…"

Was sich wie eine Reihe von Anklageschriften aus Suchtmitteldelikten liest, stammt aus dem Handbuch "Nebenstrafrecht", erschienen im Verlag Österreich, das einerseits Jus-Studierenden als Lehrbuch andererseits Juristen als Nachschlagewerk für anwaltliche Praxis dienen soll. Der Autor Harald Bohé ist Leiter der Gruppe für Strafsachen gegen Jugendliche und junge Erwachsene bei der Staatsanwaltschaft Wien. Sein im Jahr 2010 erschienenes Werk will die Lücke in der systematischen Darstellung der wichtigsten strafrechtlichen Nebengesetze schließen, angereichert durch konkrete Fallbeispiele zur Veranschaulichung der Gesetze. Zum Nebenstrafrecht werden jene Straftaten gezählt, die nicht ins Strafgesetzbuch (StGB), also ins Kernstrafrecht, fallen. So zum Beispiel das Suchtmittelgesetz (SMG).

"Reale Fallbeispiele aus Praxis"

In sechs der elf Praxisbeispiele aus dem Kapitel Suchtmittelgesetz wird auf die Herkunft der Täter(gruppe) hingewiesen, vier der Straftäter sind Schwarzafrikaner. Das wirft die Frage auf, wie relevant das Anführen der ethnischen Herkunft ist, um ein Strafdelikt zu veranschaulichen. Wären einfache Initialen wie ‚X‘ nicht mindestens genauso zielführend – zumindest wenn es darum geht, sich mit der Rechtslage vertraut zu machen? "Natürlich kann man ‚Schwarzafrikaner‘ durch ‚X‘ oder ‚Y‘ ersetzen, aber ich habe reale Fallbeispiele aus der Alltagspraxis herangezogen und die Angaben zur Person anonymisiert", sagt Harald Bohé im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es finde keine Diskriminierung oder Diffamierung statt und niemals hätte er es "im Entferntesten für möglich gehalten, dass sich jemand daran stößt."

Welche Nationalität die Tätergruppe hat – auch polnische, südamerikanische oder bosnische Täter kommen im Kapitel SMG vor  – ist Bohé zufolge im Hinblick auf die Grenzmenge der Drogen relevant. "Der Reinheitsgehalt der Suchtmittel, die von Schwarzafrikanern verkauft werden, ist deutlich niedriger als der von polnischen Gruppen", offenbart der erfahrene Staatsanwalt ein weiteres Detail aus der heimischen Drogenszene. Das sei kein Vorurteil, sondern eine Tatsache, meint Bohé. Kokain oder Heroin würden viel drastischer mit Milchpulver "gestreckt". In zweierlei Hinsicht mache das einen Unterschied: Einerseits für die Zuständigkeit und andererseits das Strafmaß des Delikts. Die Frage, ob Schwarze Angeklagte dann im Durchschnitt geringere Strafen bekommen als Österreicher, bleibt unbeantwortet.

Zum Vergleich: Im Kapitel zum ebenfalls ins Nebenstrafrecht fallende Verbotsgesetz heißt es: "Der Skinhead S …." In einem anderem Fallbeispiel aus dem Waffengesetz (WaffG) plant etwa "der einkommens- und beschäftigungslose A aufgrund drückender Geldnot einen Banküberfall …" Nach Durchsicht aller im Buch angeführten Beispiele finden sich keine Angaben auf die Herkunft eines österreichischen Täters. Keine Wiener, Innsbrucker oder Braunauer. Man liest auch nie von Österreichern.

"Verwundert über plötzliche Aufregung"

Verwundert zeigte sich der Jurist über die "plötzliche Aufregung" – immerhin knapp fünf Jahre nach Veröffentlichung des Buches. Und seine Verwunderung ist nachvollziehbar – haben doch offenbar weder Lektorat noch Verlag Kritik an den Formulierungen geäußert. Auch Proteste von Jus-Studenten seien ausgeblieben. Zumindest fast. ZARA-Rechtsberaterin Dina Malandi erinnert sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" an einen Vorfall, der einige Jahre zurückliegt. Ein Student habe das Buch "Nebenstrafrecht" von Harald Bohé als bedenklich gemeldet. Man habe die Sache leider nicht weiter verfolgt, bedauert Malandi heute. Nachdem sie nun einige der Beispiele, die ihr von der "Wiener Zeitung" vorgelegt wurden, begutachtet hat, sei für sie nicht  nachvollziehbar, "dass während in den meisten Fällen keine Angaben zur Herkunft der Täter gemacht und Namen nur als Initialen angeführt werden, in gewissen klischeebehafteten Rechtsbereichen des Buches vollkommen unnötige Angaben zur vermeintlichen Herkunft bzw. ethnischen Zugehörigkeit der Täter angeführt werden."

Durch derartige Formulierungen würden bestehende Vorurteile, Pauschalisierungen und negative Klischeebilder einer ganzen Bevölkerungsgruppe unterstützt. Die Rechtsberaterin verweist auf die soziale Verantwortung der Verfasser wissenschaftlicher Beiträge durch sachliche und vorurteilsfreie Formulierungen.

"Merkwürdig" findet die vorgelegten Beispiele auch Universitätsprofessor Frank Höpfel, der am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien unterrichtet: "Das Alter und Geschlecht der Täter ist aussagekräftiger, ebenso natürlich deren Drogenkarriere. Auf die Herkunft kommt es nicht an." Aus welchen Gründen die Täter straffällig wurden – ob aufgrund der eigenen Drogensucht oder aus Gewerbsmäßigkeit - sei ebenfalls von Relevanz. Davon ist in den Fallbeispielen jedoch keine Rede.

Keine Zahlen, vielmehr persönliche Erfahrung

Laut Politikwissenschafterin und wissenschaftlicher Mitarbeiterin im Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Meropi Tzanetakis, werde "den Lesern des Lehrbuchs suggeriert, dass Drogenverkäufer Schwarzafrikaner seien, Drogenkäufer hingegen Mehrheitsösterreicher." Die aktuellsten vorliegenden Zahlen vom Bundeskriminalamt (BKA) und von Statistik Austria aus dem Jahr 2012 zeichnen ein anderes Bild: Von den im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten Festgenommenen waren 63 Prozent "Fremde" und nur 37 Prozent österreichische Staatsangehörige. Bei den Anzeigen dreht sich der Spieß um: 72 Prozent Österreicher und 24 Prozent "Fremde". Selbige Tendenz wiederholt sich bei den Verurteilungen: 64 Prozent sind österreichische Staatsbürger und 36 Prozent "Fremde". Bewusst werden hier die aktuellsten Zahlen präsentiert, jene von vor 2010 (also vor Veröffentlichung des Buchs) weichen nur marginal ab.

Laut Suchtmittel-Jahresbericht 2009 des BKA steht in der Häufigkeit der Anzeigen nach Nationalitäten in Österreich (Kapitel Fremde) zwar Nigeria an erster Stelle. Aber Bohés Aussage, "dass in Wien der Drogenhandel mit Heroin und Kokain im Straßenverkauf fast ausschließlich von Schwarzafrikanern ausgeübt wird", kann nicht daraus gelesen werden. BKA-Sprecherin Sylvia Strasser erklärt auf Anfrage der "Wiener Zeitung", es gäbe dazu "keine konkreten Zahlen". Im BKA-Bericht ist durchgängig von einer "Steigerung schwarzafrikanischer Tätergruppen betreffend Suchtmittelkriminalität" die Rede, allerdings müsse man laut Strasser mehrere Faktoren unterscheiden, wie das Bundesland und die Art der Drogen.

Ein interessantes "Gegenstück" liefert in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des IRKS, die sich mit der Begründung für die "Überrepräsentation von Ausländern in Kriminalstatistiken" beschäftigt und banale Gründe dafür anführt. Zum Beispiel: "Die Bevölkerungsstatistik erfasst nur im Lande wohnhafte Ausländer, die Kriminalstatistiken beschränken sich hingegen nicht darauf." Eine weitere Verzerrung der Statistik entstehe daraus, dass es keine Zahlen zu Freisprüchen gibt.

Für Tzanetakis ergibt sich eine ebenfalls ganz auf der Hand liegende Problematik: "Schwarze Personen fallen schon allein durch ihre Hautfarbe auf und werden häufiger auf Verdacht hin kontrolliert. Würde man die Kontrollen ausgewogen durchführen, wären auch mehr ‚Weiße‘ unter den Dealern." Auch Rechtsanwältin Alexia Stuefer, auf die sich Harald Bohé merkwürdigerweise bezieht, hat im Jahr 2004 in einer Publikation für das Iuridicum mit dem Titel "‘Gewerbsmäßigkeit‘ und U-Haft bei Schwarzafrikanern" abgehandelt. Anders als er kritisierte sie allerdings darin die "Stigmatisierung, der die Personen bei ihrem Zusammentreffen mit der Justiz ausgesetzt sind", und tut dies auch heute noch – zehn Jahre nach der Publikation, wie sie auf Anfrage der "Wiener Zeitung" betont.

Zu einer Einschätzung von Ethnic Profiling war Harald Bohé nicht zu bewegen, da diese Methoden in die Zuständigkeit der Exekutive fielen. Schließlich schlug der Jurist den Besuch einer Gerichtsverhandlung in einem Suchtmittelprozess vor: "Dann würden Sie sehen, welche Leute da auf der Anklagebank sitzen."

Nebenstrafrecht (Wikipedia-Eintrag)
Suchtmittelgesetz in Österreich (Wikipedia-Eintrag)
Suchtmittel Jahresbericht 2009 (Bundeskriminalamt, BKA)
IRKS-Untersuchung "Welche Aussagen über die Migranten- und Ausländerpopulation in Wien erlaubt die Kriminalitätsstatistik?" (Institut für Rechts- und Kriminalitätssoziologie, IRKS)