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Wie die Religion zu den Neos kam

Von Clemens Neuhold

Politik

Eigentlich wollen die Neos nicht am Thema anstreifen. Blöderweise nominierten sie als einzige Partei einen Religionssprecher.


Wien. In Österreich ist die Trennung von Kirche und Staat "sehr ausgeprägt", befindet der Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz. Zwar sei diese nicht in der Verfassung verankert, werde aber "gelebt". Ein Indiz: kein Priester im Parlament. Anderes Indiz: Es gibt unter den Abgeordneten zwar für Greti und Pleti diverse Bereichssprecher, aber nicht für Religion. Mit einer Ausnahme. Ausgerechnet die Neos haben einen nominiert: Niko Alm. Der wurde -wie die "Wiener Zeitung" exklusiv berichtete - nun durch Parteichef Matthias Strolz ersetzt, und das sorgte am Mittwoch für hitzige Debatten.

"Kein Herzensthema"

Religion ist für die Neos kein "Herzensthema", begründete Strolz den Versuch, durch die Rochade den "Nebenschauplatz" Religion schnell wieder zu verlassen. Im Parteiprogramm heißt es nur: "Grundsätzlich sollte der Staat als laizistischer Bewahrer der Religionsfreiheit fungieren, aber durch Anerkennung von religiösen Festen anderer Religionen (. . .) zumindest symbolische Gleichbehandlung schaffen." Die viel schärfere Position der Jungen Liberalen Neos (Junos), die eine Abschaffung sämtlicher kirchlichen Sonderrechte fordern, hat die Mutterpartei nicht übernommen. Also schnell weg vom Nebenschauplatz, der für die Neos ein wirkliches Kreuz ist.

Doch immer wieder poppt das Thema gerade bei den Neos auf. Grund ist einerseits die Persönlichkeit des Ex-Religionssprechers selbst. Der hat nämlich im Unterschied zu seiner Partei eine prononcierte Meinung zu Religion. Alm ist bekennender Atheist und erregte mit seinem Aktionismus immer wieder Aufsehen. 2009 wollte er Busse mit "Es gibt keinen Gott" affichieren, 2011 suchte er öffentlichkeitswirksam um Anerkennung der Spaßreligion "fliegendes Spaghettimonster" an und machte das Nudelsieb zu einem Symbol des Austro-Atheismus. 2013 initiierte er das Kirchenvolksbegehren gegen Kirchenprivilegien. Und dann "passierte es" den Neos, dass er nach deren Einzug ins Parlament Religionssprecher wurde, sagt Alm zum "Kurier". Die Pinken hatten die säkulare Tradition im Hohen Haus wohl unterschätzt.

Der zweite Grund, warum die Religion zu den Neos kam, war der Abwehrkampf der ÖVP. Die Partei, die sich als Hüterin christlicher Werte versteht, suchte nach offenen Flanken bei den Pinken und wurde bei Alm fündig. Alm mache sich über den Glauben lustig, wurde getrommelt, deswegen sei er für Christen unwählbar. Nun "zeigt die Partei durch den Rückzug von Alm spät aber doch Einsicht", konzediert ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel. Dabei ist die Religion nicht nur für die Neos ein Feld, das sie nur schwer beackern können. Dasselbe gilt für die ÖVP. "Die ÖVP steckt in einem unlösbaren Spagat. Greift sie religiöse Positionen bewusst auf, löst sie bei städtischen Wählern Kopfschütteln aus." Andererseits müsse sie das ländliche Stammpublikum und vor allem die Funktionäre bedienen. Die Wachstumszonen liegen aber in den Städten. Wie schwierig der Spagat ist, zeige sich beim Thema Homosexualität. Schon ÖVP-Chef Josef Prölls Perspektivengruppe scheiterte an liberalen Vorschlägen für die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, dabei sollte auch das insgesamt nur ein - erraten - Nebenschauplatz sein. Die Enttäuschung über das Platzen der Perspektivengruppe lieferte einigen Überläufern erst die Energie, die Neos mitzugründen.

Jung, urban, areligiös

Die These, dass mit dem Religionssprecherwechsel nun neue ÖVP-Wähler zu den Neos wechseln könnten, teilt Filzmaier nicht. "Der Mehrheit der unter 50-Jährigen, insbesondere im städtischen Bereich, ist das Thema egal. Der Rest sind Hardcore-ÖVP-Wähler, die sowieso nicht Neos wählen." Für die Neos sei es aber ein Problem gewesen, sich auf "sinnlosen Nebenschauplätzen" aufzuhalten, wo keine Wählermotive entstehen. Natürlich gibt es Neos-Wähler, die gerade in Alm den Hüter des gesellschaftlichen Liberalismus und Anti-Klerikalismus sahen und nun enttäuscht sind. Doch die sind keine kritische Masse.

Einen Beweis dafür liefert das Kirchenvolksbegehren Alms: mit 56.000 Unterschriften das erfolgloseste in der Geschichte der Zweiten Republik. Entsprechend mau fiel auch die Gegenkampagne aus - der Aufschrei der Kirchentreuen blieb aus.

Mehr Staub könnten die Forderung der Jungen Neos (Junos) aufwirbeln. Die wollen laut ihres Programmes die steuerliche Absetzbarkeit des Kirchenbeitrages ebenso streichen wie den "besonderen Schutz von religiösen Gefühlen" oder die Subventionierung konfessioneller Privatschulen. Matthias Strolz wird das wohl nicht übernehmen, sonst droht ein Hauptschauplatz. Religionssprecher bleibt er - so ganz nebenbei.