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Gebt den Kindern das Kommando

Von Bettina Figl

Politik

Wann es bereit ist, den Schulweg alleine zu bestreiten, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. | Experten raten zum Training, bei dem sich die Erwachsenen von ihren Kindern lotsen lassen.


Wien. In die Knie gehen und imaginierte Scheuklappen aufsetzen: Das ist die Ausgangsposition. Nun wird der Schulweg begangen, dabei übernimmt das Kind das Kommando. Erwachsene sollen ihre Kinder zuerst begleiten, bevor diese den Schulweg alleine zurücklegen, raten Experten. Doch das ist kein Leichtes, sind sie doch kleiner, haben ein um 30 Prozent eingeschränktes Blickfeld, dazu kommen Verkehr und fehlende Erfahrung. Alleine in Wien werden laut der Unfallversicherung AUVA monatlich neun Kinder am Weg in die Schule verletzt, sechs davon durch einen Verkehrsunfall.

Ab wann ein Kind den Schulweg alleine bestreiten kann, hängt von seinem Entwicklungsstand ab. In der Volksschule sollten die ersten drei Jahre dazu genutzt werden, den Schulweg gemeinsam zu erlernen, sagt Kinderpsychologin Isabella Baumgartner, idealerweise sollte das Kind bis zum Ende der zweiten Klasse Volksschule in der Lage sein, den Weg alleine zurückzulegen. Davor sollte der Schulweg, quasi zu Trainingszwecken, gemeinsam erforscht werden, und zwar zu Fuß, mit Rad, Roller oder den Öffis und nicht mit dem Auto. "Das größte Problem auf dem Schulweg sind Autos", sagt Joachim Rauch von der AUVA. "Vor allem jene, die vor der Schule parken. Sie stellen eine potenzielle Sichtbehinderung für jene dar, die nicht mit dem Auto kommen."

"Wer mit dem Auto fährt, tut seinen Kindern nichts Gutes"

Auch Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich sagt: "Bewegung ist wichtig. Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto in die Schule bringen, tun ihrem Kind nichts Gutes." Er nimmt wahr, dass Eltern immer ängstlicher werden, und appelliert, den Kindern die Freude am alleine oder mit Freunden zurückgelegten Schulweg nicht zu nehmen. Die AUVA erstellt in regelmäßigen Abständen mit Hilfe von Eltern-Feedback den Schulwegplan. Dieser ist an allen Wiener Schulen erhältlich und weist auf potenziell gefährliche Kreuzungen hin, in den Bundesländern wird an dem flächendeckenden Plan noch gearbeitet.

Wird ein Kind im Gymnasium oder in der Hauptschule noch immer von den Eltern in die Schule gebracht, sollte man nach den Gründen dafür fragen, sagt Baumgartner. Denn für den Selbstwert und Selbständigkeit eines Kindes sei das Gefühl "ich schaffe das alleine" wichtig.

Doch die Psychologin will den Schulweg auch nicht überbewerten. Im Einzelfall könne es praktischer sein, wenn das Kind gebracht wird, etwa wenn die Anbindungen schlecht sind und die Familie dafür länger schlafen kann. Dann aber sollte das Kind in anderen Bereichen Selbständigkeit erfahren, etwa indem der Weg zu anderen Orten alleine zurückgelegt wird. "Spätestens in der Pubertät kommt die Rebellion sowieso, dann wollen Jugendliche nicht mit den Eltern, sondern den Freunden in die Schule gehen", sagt sie. Oft streben Kinder diese Unabhängigkeit aber schon früher an, manchmal sogar schon im Kindergarten.

Darauf sollten Eltern nicht eingehen, sagt Baumgartner, alleine aus rechtlichen Gründen: Denn im Kindergarten- und Hortgesetz steht, dass Kinder in den Kindergarten gebracht und abgeholt werden müssen. Am Weg in den Kindergarten können die Eltern aber schon einmal üben, ganz tief in die Knie zu gehen.

Wissen

Tipps für den Schulweg: Der Weg sollte nach ampelgeregelten Kreuzungen und Schülerlotsen, nicht nach der Kürze ausgewählt und zuerst gemeinsam begangen werden. Dabei ist das Kind öfter zu loben als zu ermahnen. Bei zu querenden Kreuzungen sollten Erwachsene in die Knie gehen, um Gefahrenquellen aus der Sicht des Kindes zu sehen. Merksätze wie "Rot - Stopp!" oder

"Zebrastreifen - Warten!" sind schneller abrufbar als lange Erklärungen. Genügend Schlaf und ein ausgewogenes Frühstück sind wichtig für Konzentration und Wachsamkeit, Eile am Morgen ist zu vermeiden. Die Schultasche sollte mit Rückstrahlern ausgestattet sein und nicht mehr als ein Zehntel des Körpergewichts betragen. Wesentlich ist nicht zuletzt die Vorbildwirkung: Auch kinderlose Erwachsene sollten nicht bei Rot über die Kreuzung gehen, auch wenn sie sich unbeobachtet fühlen.