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Eine Zäsur - billig erkämpft

Von Walter Hämmerle

Politik

Der Verfassungsgerichtshof hebt die Vorratsdatenspeicherung mit sofortiger Wirkung auf.


Wien/Brüssel. Finanziell war es eine Niederlage, eine deftige zumal. Nur rund 2620 Euro erhält Christof Tschohl an Prozesskosten von der Republik zurückerstattet; die tatsächlichen Kosten lägen, wenn man ehrlich rechne, bei fast 100.000 Euro. Michael Seitlinger erhält knapp 3600 Euro von der Republik. Der ehemalige Mitarbeiter der Telekom Austria war der zweite Privatkläger in diesem Verfahren neben der ehemaligen Kärntner Landesregierung.

Selten dürfte die Republik der Schutz der Bürgerrechte billiger gekommen sein. Tschohl nennt diese Zahlen trotzdem ohne großes Bedauern. Geld allein macht nicht glücklich. Ein Sieg, wie ihn die beiden Privatkläger am Freitag vor dem Verfassungsgerichtshof errungen haben (die Klage der Landesregierung wurde abgewiesen), dagegen sehr wohl. Immerhin hat das Höchstgericht die seit 2012 geltende Vorratsdatenspeicherung mit sofortiger Wirkung bei Kundmachung für verfassungswidrig erklärt. Und zwar nicht irgendwie, sondern - unjuristisch formuliert - mit Pauken und Trompeten. Es handle sich um einen unzulässigen, weil unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger, argumentierte VfGH-Präsident Gerhart Holzinger in seiner mündlichen Erläuterung. Ein Dutzend junger Leute, die kleidungstechnisch so gar nicht zur hohen Symbolik des Höchstgerichts passen wollen, klatschen strahlend Beifall. Für die Aktivisten von AKVorrat (siehe Infokasten) endet ein langer Kampf, weshalb sie Sekt zum Feiern dabei haben; immerhin war das Urteil absehbar, nachdem bereits der Europäische Gerichtshof am 8. April die EU-Richtlinie von 2006 für ungültig erklärt hatte. Diese verpflichtete Unternehmen, Telekommunikationsdaten für die Terrorismusbekämpfung mindestens sechs und längstens 24 Monate zu speichern und bei Anfrage den Behörden zur Verfügung zu stellen.

Maßlos, unspezifisch,zu breit gestreut

Der Jubel bei den Aktivisten kontrastierte auffallend mit den gefassten Gesichtszügen von Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium. Dass die Vorratsdatenspeicherung - konkret geht es um Teile des Telekommunikationsgesetzes, der Strafprozessordnung sowie des Sicherheitspolizeigesetzes - aufgehoben werden, erwartete auch er. Dass das Erkenntnis so eindeutig ausfällt, überraschte Pilnacek sichtlich: Es werde "sehr schwer", eine neue Regelung zu finden, die den Vorgaben des VfGH gerecht würde, so der Sektionschef. Eine wie immer geartete Speicherung auf Vorrat dürfte damit obsolet sein, so Pilnacek. Ein Vertreter der Klagseite drückte es anders aus: "Der Generalverdacht gegen unbescholtene Bürger ist vom Tisch."

Tatsächlich ist der Spruch - die schriftliche Ausführung soll so rasch wie möglich ausgefertigt werden - von seltener Eindeutigkeit. Als Gründe für seine Entscheidung, dass die Regelungen einen gravierenden Verstoß auf das Grundrecht auf die Achtung der Privatsphäre haben, führte der VfGH unter anderem an,

dass "nahezu die gesamte Bevölkerung" von den Maßnahmen betroffen sei und es keine Sanktionen gegen möglichen Missbrauch gebe; dies widerspreche dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, zumal ein solch schwerwiegender Eingriff in ein Grundrecht stets nur mit dem gelindesten Mittel erfolgen dürfe;

der Kreis der Delikte, bei denen die Behörden Zugriff auf die gespeicherten Daten nehmen können, sei zu undifferenziert und zu weit gefasst; Regelungen, wie die nun aufgehobene, seien aber nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zulässig;

es fehlen Sanktionen im Fall von Missbrauch;

es fehlen gesetzliche Sicherheitsvorkehrungen, etwa in Bezug auf die Speicherverpflichtung der Unternehmen, die Voraussetzung für die Zugriffe auf diese Daten sowie die Verpflichtung zur Löschung der Daten.

Damit hat die österreichische Variante der Vorratsdatenspeicherung spektakulär Schiffbruch erlitten; dies ist insofern überraschend, als Österreich eine durchaus schaumgebremste Ausgestaltung der EU-Richtlinie anstrebte. So betrug die Dauer der Datenspeicherung nur sechs anstatt der maximal möglichen 24 Monate.

Was folgt als Ersatzlösung?

Dennoch ermöglichte die Regelung Justiz und Exekutive fast unbeschränkten Zugriff - und dies keineswegs mit dem alleinigen Ziel der Bekämpfung schwerer Kriminalität, wie etwa Terrorismus. Im Vorjahr etwa gab es im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung 354 Abfragen der Justiz - keine einzige erfolgte wegen des Verdachts einer terroristischen Vereinigung, stattdessen ging es vor allem um Diebstahls- und Drogendelikte.

Ungeachtet der Aufhebung anerkennt aber der VfGH, wie sehr die neuen Kommunikationstechnologien eine Herausforderung für die Kriminalitätsbekämpfung darstelle. Darauf spielte auch Justizminister Wolfgang Brandstetter an, der das Erkenntnis "selbstverständlich" akzeptieren will; dennoch, so Brandstetter, müsse man sich bei schwerster Kriminalität, etwa Mord, überlegen, wie man Polizei und Justiz eine effektive Strafverfolgung "auch durch Rückgriff auf gespeicherte Telekommunikationsdaten" ermöglicht. Eine Möglichkeit deutet Sektionschef Pilnacek an: Das "Quick Freeze"-Verfahren ist die gezielte Speicherung bestimmter Kommunikationsdaten eines begrenzten Nutzerkreises bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes. Im Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung würde bei "Quick Freeze" den Unternehmen die Datensicherung nur für einen konkreten Anlass und bestimmte Kunden aufgetragen.

Die Grenzen, die der VfGH gesetzt hat, sind jedenfalls denkbar eng. Und AKVorrat gibt es ja auch noch. Aber abwarten, mit welchen neuen Ideen die EU-Kommission in Brüssel aufwartet.

Vorratsdatenspeicherung
Der Kampf gegen die ausufernden Eingriffe in die Privatsphäre unbescholtener Bürger, wie sie mit der Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck kommt, reicht in Österreich schon mehr als zehn Jahre zurück. Konkret wurde er, als 2009 das damalige Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie das Boltzmann-Institut für Menschenrechte damit beauftragte, gemäß der EU-Richtlinie von 2006 einen grundrechtskonformen Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung zu erarbeiten. Projektkoordinator war Christof Tschohl. Heraus kam, wenn zwar kein grundrechtskonformer, so doch ein grundrechtsschonender Entwurf. Als der tatsächliche Gesetzesentwurf aber darüber hinausging, bildete sich rund um den Wirtschaftsinformatiker und Datenschützer Andreas Krisch, Doris Liebwald vom Wiener Zentrum für Rechtsinformatik, Tschohl und einigen anderen die Initiative AKVorrat, die sich fortan mit Unterstützung von Rechtsanwalt Ewald Scheucher zum Ziel setzte, die ausufernde Speicherung von Kommunikationsdaten zu stoppen.

Schutz des PrivatlebensArtikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) befasst sich mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Dieser lautet:

Abs.1 Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

Abs.2 Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.