
Wien. Dass künftig die Minderheit die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschließen können soll, wird als historische Zäsur bewertet. Stimmt das tatsächlich und wenn ja, wie wird dieses neue Machtinstrument der Opposition die Verhältnisse im Hohen Haus verändern?
Diese Frage stellte die "Wiener Zeitung" erfahrenen Parlamentariern und Experten. Den Anfang macht der Verfassungsrechtler, ehemalige ÖVP-Klubobmann und Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser (78).
"Wiener Zeitung": Ist der Umstand, dass künftig bereits ein Viertel der Abgeordneten einen U-Ausschuss einsetzen kann, tatsächlich eine historische Zäsur?
Heinrich Neisser: Ich halte das für eine durchaus positive Sache, sie ist ja auch lange genug diskutiert worden. Dass eine Minderheit einen U-Ausschuss beschließen kann, ist ein wichtiger Teil der Kontrolle im parlamentarischen Raum. Ehrlicherweise muss man aber dazusagen, dass es mit der Einsetzung allein noch nicht getan ist: Entscheidend werden die Verfahrensdetails im Rahmen der Geschäftsordnung sein.
Was werden hier die wichtigen Punkte sein?
Da geht es um Fragen der Beweisführung, wer hat das Vorsitzrecht, wie erfolgen Zeugenladungen und Befragungen. Hier gibt es einen langen Katalog.
Das Problem des modernen Parlamentarismus besteht ja darin, dass eigentlich die Minderheit die Mehrheit kontrollieren sollte. Gleichzeitig ist die Quintessenz von Demokratie, dass die Mehrheit in den alltäglichen Machtfragen das letzte Wort behält, schließlich kann sie sich auf das Votum der Wähler berufen. Muss sich an den Rechten von Mehr- und Minderheit grundsätzlich etwas ändern?
Das Grundprinzip des Parlaments besteht natürlich darin, dass die Mehrheit entscheidet, das ist untrennbar mit der Demokratie verbunden. Das gilt vor allem für die Gesetzgebung. Das Parlament hat aber auch die Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren. Dazu benötigt die Minderheit entsprechende Möglichkeiten. Hier ist das Minderheitsrecht auf Einsetzung eines U-Ausschusses von entscheidender Bedeutung, weil es dem Parlament im Unterschied zum Interpellationsrecht und Fragerecht unmittelbar und aus eigener Wahrnehmung die Möglichkeit einräumt, die Regierung zu kontrollieren.