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Neue, alte Prioritäten

Von Katharina Schmidt

Politik

Karmasin will entgegen der langjährigen ÖVP-Linie mehr Geld in Sachleistungen investieren.


Wien. Nicht, dass man es nicht schon seit Jahren wüsste. Und nicht, dass es nicht schon viele Studien gäbe, die zu ähnlichen Ergebnissen geführt haben. Aber hier haben wir es nun noch einmal schwarz auf weiß: Österreich gibt vergleichsweise viel Geld für Familienleistungen aus. Das übergeordnete Interesse des Staates hinter diesen milden Gaben - nämlich die Steigerung der Geburtenrate - wird aber mitnichten erreicht. Das geht aus einer aktuellen Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) für Familienministerin Sophie Karmasin hervor.

Konkret gibt Österreich rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Familienleistungen aus, die Gesamtfertilitätsrate zählt mit durchschnittlich 1,44 Kindern pro Frau aber europaweit zu den niedrigsten. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Nachbarland Deutschland, wo die Fertilitätsrate bei etwa gleichen Investitionen in Familienleistungen überhaupt nur bei 1,38 Kindern pro Frau liegt. Andere Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Dänemark haben weitaus höhere Fertilitätsraten, geben allerdings auch einen höheren Anteil des BIP für Familienleistungen aus.

Mehr Kinder, je mehr der Staat in Kinderbetreuung investiert

Wie kann nun aber der Staat die Fertilitätsrate steuern? Ein ebenfalls nicht ganz unbekanntes Ergebnis der Studie: Je höher die Sach- beziehungsweise Direktleistungen an die Familien, desto mehr Kinder pro Frau. Denn die Direktleistungen liegen in Dänemark bei knapp 2,3 Prozent des BIP (Fertilität: 1,7 Kinder pro Frau), in Frankreich bei 1,8 Prozent des BIP (2 Kinder pro Frau). In Österreich ist der Überhang der Geldleistungen eklatant: Hier werden nur 0,57 Prozent des BIP in Sachleistungen wie Kinderbetreuungsplätze investiert, auch die steuerlichen Vorteile für Familien sind mit 0,04 Prozent des BIP überschaubar.

Dieses Unverhältnis zwischen Geld- und Sachleistungen von 80 zu 20 will die ÖVP-Familienministerin nun umkehren, wie sie am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal" sagte. Die Priorität solle in Zukunft auf Sachleistungen liegen, meinte Karmasin. Damit vollzieht die Volkspartei, in der sich gewisse Kräfte jahrzehntelang aus ideologischen Gründen erfolgreich gegen eine Abkehr von den Transferzahlungen hin zu mehr Kinderbetreuungsplätzen gewehrt haben, einen Paradigmenwechsel. Allerdings: Dieser ist weder ganz neu noch wird er sich rasch umsetzen lassen, wie Karmasin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" präzisiert. So hat erst vor wenigen Wochen ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka betont, dass mehr Geld in Sachleistungen investiert werden sollte.

Überhaupt sei schon seit dem Regierungsprogramm das Ziel, das Verhältnis auf 50:50 auszugleichen, klar - und zwar noch in dieser Legislaturperiode, so Karmasin. Tatsächlich war ja die Erhöhung der Familienleistungen einer der wenigen Beschlüsse der Koalition bei der "Teambuilding"-Klausur der Koalition Mitte Jänner. Damals wurde die längst überflüssige Erhöhung der Familienbeihilfe beschlossen - die dafür eingeplanten 830 Millionen Euro werden nun stufenweise investiert, eine echte Inflationsanpassung gab es aber nicht. Und man einigte sich auf 350 Millionen Euro für den Ausbau der Betreuung jüngerer Kinder und weitere 400 Millionen für die Nachmittagsbetreuung im Schulalter.

Ein Langzeitprojekt für die kommende Legislaturperiode

Noch vor der Sommerpause hat der Nationalrat eine 15a-Vereinbarung mit den Ländern zum Ausbau der Kinderbetreuung beschlossen: Bis 2018 investiert der Bund 305 Millionen Euro in diesen Ausbau, die Länder müssen kofinanzieren, jedoch nicht mehr die Hälfte, sondern ab 2015 in sinkenden Anteilen. In dieser Vereinbarung sei etwa auch die Förderung von Tageseltern fixiert - Karmasin spricht daher von "gelebter Wahlfreiheit" für die Eltern. Mit der Ausweitung der Nachmittagsbetreuung sieht sie dann das Ziel, ein 50:50-Verhältnis, erreicht. Darüber hinaus gehende Maßnahmen sieht sie als Langzeitprojekt: "In der nächsten Legislaturperiode werden wir noch einmal in Quantität und Qualität der Betreuung investieren", sagt die Ministerin.

Sehr wohl noch in dieser Gesetzgebungsperiode könnte auch die vielbeschworene Steuerreform Entlastungen für Familien bringen. Ein niedrigerer Eingangssteuersatz würde auch Familien helfen, so Karmasin.

Steuererleichterungen und flexibleres Kindergeld

Zudem will sie bei den Kinderabsetzbeträgen an der Steuerschraube drehen. Ihre Spiegelministerin, Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek, ist von der Idee nicht begeistert: Es gebe bereits jetzt einen "Dschungel an steuerlichen Begünstigungen, von denen zwei Drittel gar nicht abgeholt werden". Zudem würden Steuererleichterungen das Betreuungsproblem nicht lösen. Lob für Karmasins Vorstoß kam von Grünen und Industrie. Die IV drängte auch auf eine Vereinfachung der Familienleistungen.

Diese wird - zumindest in Sachen Kinderbetreuungsgeld - wohl nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Im Regierungsprogramm ist eine Durchforstung der fünf verschiedenen Bezugsvarianten verankert. Ab Herbst wird sich eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Thema auseinandersetzen. "Es geht um eine Flexibilisierung, die einen Wechsel zwischen den einzelnen Varianten ermöglichen soll, und die Frage, was für die Familien das Beste ist", sagte Karmasin zur "Wiener Zeitung". Sie rechnet mit konkreten Reformvorschlägen im kommenden Frühjahr.