Zum Hauptinhalt springen

Zahl der Austro-Dschihadisten verdoppelt

Von Clemens Neuhold

Politik

Innenministerin spricht von 130 Fällen. Der Verfassungsschutz wird um Spezialisten aufgestockt.


Wien. Noch im April kursierte die Zahl von 60 Dschihad-Kämpfern aus Österreich. Am Freitag sprach der Verfassungsschutz bereits von 130 Personen, die in Syrien kämpfen, von dort zurückgekehrt sind oder sich in Österreich auf ihren "Heiligen Krieg" vorbereiten.

Jene neun Personen, die an der Grenze festgenommen wurden, sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Drei davon waren laut Behörden bereits in Syrien an der Seite radikal-islamischer Gruppierungen im Einsatz.

Tschetschenische Mehrheit unter Heiligen Kriegern

Wie berichtet, stellen Tschetschenen die Mehrheit der 130 amtsbekannten Dschihadisten. Das bestätigte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bei einer Pressekonferenz. Eine "Vielzahl" seien russische Staatsbürger (Tschetschenien ist eine russische Teilrepublik). Die Radikalisierungstendenzen in der tschetschenischen Community unterstreichen folgende Zahlen: Alleine im vergangenen Jahr verloren fast 100 Tschetschenen ihren Asylstatus aufgrund von "Radikalisierungsprozessen".

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fordert deswegen die Überprüfung aller rund 30.000 in Österreich lebenden Tschetschenen. Mikl-Leitner wehrt sich dagegen, "alle in einen Topf" zu werfen.

Kaum Konvertiten unter Dschihadisten

40 der 130 Dschihadisten sind österreichische Staatsbürger. Dabei handelt sich laut Innenministerium nicht um Konvertiten, also Österreicher, die zum Islam übergetreten und dann auf Abwege geraten sind, sondern um eingebürgerte Zuwanderer.

Im Fall der neun Festgenommenen ermitteln die Behörden wegen mehrerer Straftatbestände. Neben Mitgliedschaft und Finanzierung einer terroristischen Vereinigung geht es dabei auch um Sozialbetrug, um für den Kampfeinsatz die nötigen Mittel aufzutreiben, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler. Auf die aktuellen Festnahmen würden nun weitere Ermittlungen im Umfeld der Verdächtigen folgen. Das Täterprofil aus Sicht des Verfassungsschutzes: junge Männer, die oft ohne Ausbildung oder berufliche Perspektive dastehen.

Mikl-Leitner hat nun ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende die neun Personen ihren Asylstatus verlieren und abgeschoben werden sollen. Wie lange das dauert, lässt das Bundesamt für Asylwesen offen.

Schwieriger wird die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die aktuelle Rechtslage erlaubt dies nur bei Personen, die für fremde Armeen kämpfen. Die Regierung will die entsprechende Passage nun auf die Beteiligung an "bewaffneten Konflikten einer ausländischen Gruppierung" ausweiten. Die entsprechenden Gesetzesänderungen liegen seit einigen Wochen beim Koalitionspartner der ÖVP, der SPÖ, zur Prüfung.

Aber auch bei einer Novelle wäre der Entzug der Staatsbürgerschaft völkerrechtlich nur bei Doppelstaatsbürgern möglich. Denn sonst würden einfache Staatsbürger staatenlos. Außenminister Sebastian Kurz will nun auf EU-Ebene entsprechende Ausnahmen erwirken, um das trotzdem zu ermöglichen.

Verfassungsschutz bekommt Islamisten-Spezialisten

Aufgestockt wird der Bundesverfassungsschutz. Er bekommt mehr Personal, das sich auf die Observation der islamistischen Szene konzentriert. Von einer Aufstockung "im zweistelligen Bereich" ist im Innenministerium die Rede.

Hinweise auf Radikalisierung erhoffen sich die Behörden aber auch im Vorfeld von "Eltern und Verwandten", sagt Kogler.

Bereits nach dem letzten Verfassungsschutzbericht sei eine Vielzahl von Tipps bei der Exekutive eingegangen. Neben der in den Medien diskutierten möglichen Selbstradikalisierung junger Menschen über das Internet rechnet man im Ministerium aber auch mit anderen Möglichkeiten: "Selbstverständlich sind Moscheen auch immer wieder ein Ort der Radikalisierung", sagt Mikl-Leitner.

Nach der Festnahme der neun mutmaßlichen Dschihadisten hat Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene gegen Extremisten, die von hier aus in den Heiligen Krieg ziehen, gefordert. Es sei "höchste Zeit, diese bedrohliche Entwicklungen auch auf europäischer Ebene zum Thema zu machen," so Brandstetter am Freitag in einer Stellungnahme gegenüber der APA.

"Die Radikalisierung und das Sympathisieren mit diesem radikalen Gedankengut mitten unter uns macht mich betroffen, und wir müssen alles tun, um dem mit allen Mitteln des Rechtsstaats engagiert entgegenzutreten", erklärte Brandstetter weiter. Mit effektiver Prävention und Aufklärungsarbeit müsse frühzeitig verhindert werden, dass Jugendliche in die Fänge islamistischer Extremisten gerieten, die ihre jugendlich-idealistische Gesinnung missbrauchen wollten. "Hier müssen wir noch bessere Wege finden, wie wir diesen radikalen Ansätzen möglichst früh begegnen können. "Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung."

IS-Abzeichen wie Hakenkreuze ahnden?

SP-Justizsprecher Werner Jarolim plädiert dafür, auch das Tragen von IS-Abzeichen zu ahnden. Der IS (Islamischer Staat) will derzeit in Syrien und Nordirak mit blutrünstigen Mitteln ein islamistisches Kalifat errichten und rekrutiert junge Kämpfer weltweit übers Internet und mittels modernen Marketings wie dem Online-Versand von Abzeichen.

Terrorbekämpfung
Nach Angaben des Innenministeriums kämpfen bereits 130 Personen aus Österreich als Dschihadisten im Ausland, sind von dort zurückgekehrt oder auf dem Weg zu Kriegsschauplätzen. Eine Vielzahl sind tschetschenische Asylwerber. 40 sind österreichische Staatsbürgerschaft mit Migrationshintergrund. Neun Dschihadisten, die zuletzt an der Grenze gestoppt wurden, soll nun der Asylstatus aberkannt werden. 96 Tschetschenen haben den Status 2013 wegen islamistischer Umtriebe verloren. Auch die Möglichkeiten, Dschihadisten die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sollen durch eine Gesetzesnovelle nun verschärft werden.