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Befriedigend, setzen!

Von Marina Delcheva

Politik

In kaum einem anderen OECD-Land hängt der Bildungserfolg der Kinder so stark vom Elternhaus ab wie hier.


Wien. "Was wollt ihr werden, wenn ihr groß seid?" "Krankenpfleger, Ordinationshilfe, Fluglotse . . .", rufen die Schüler der Neuen Mittelschule (NMS) in der Hasenleitengasse 7 in Wien Simmering. Sie haben gerade Pause und haben sich um einen Holztisch neben der Wiese versammelt. "Ich will Anwältin werden", sagt Nevin (Name von der Redaktion geändert, Anm.). Sie besucht die dritte Klasse der NMS und möchte später auch die Matura machen. Das wollen nicht alle, die gerade am Tisch sitzen.

Glaubt man der Statistik, hat Nevin keine besonders guten Chancen, später Jus zu studieren und Anwältin zu werden. Der am Dienstag veröffentlichte OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick" zeigt, dass Bildung in fast keinem anderen OECD-Land (die 34 wichtigsten Industriestaaten) so stark erblich ist wie in Österreich. So erreichen nur 21 Prozent der 25- bis 34-Jährigen bei uns einen höheren Bildungssgrad als ihre Eltern (siehe Grafik). Damit landet Österreich auf dem 19. von 21 Plätzen in der OECD-Rangliste. Fast zwei Drittel der Jungen erreichen hier das gleiche Bildungsniveau wie ihre Eltern. Kommt noch ein Migrationshintergrund dazu, stehen die Chancen noch schlechter, irgendwann einen Uni-Abschluss zu bekommen.

Ganztagsschule soll es richten

"Wir brauchen mehr Bewegung bei der Vererbung von Bildung", kommentiert Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek die Ergebnisse und fordert mehr Ganztagsschulen, um der sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken. Die NMS in der Hasenleitengasse ist so eine Ganztagsschule. Die Kinder werden hier täglich neun Stunden lang betreut. Fächerunterricht, Freizeit und Lerneinheiten wechseln einander den ganzen Tag ab. "Es gibt Eltern, die ihren Kindern nicht helfen können und keine Zeit haben", sagt Direktorin Helga Schönbauer. Für Kinder, die aus problematischen Familienverhältnissen stammen, sei das Ganztagsangebot gut. Aber dennoch könne eine Ganztagsschule nicht alle Bildungsdefizite aufholen. "Unter uns gesagt, die Kinder, die zu Hause auch gefördert werden, haben keine Probleme", sagt ein Lehrer. Außerdem sei die Ganztagsschule nicht für jedes Kind geeignet. Manche Schüler würden sich schwer tun, den ganzen Tag konzentriert zu arbeiten und bräuchten mehr Freizeit als andere.

Hinzu kommt, dass sich hier, in der NMS Hasenleitengasse, kaum Kinder anmelden, die auch auf ein Gymnasium gehen könnten. Nur vier bis fünf Schüler pro Jahrgang hatten in der Volksschule so gute Noten, dass sie eine AHS hätten besuchen können. Ein Drittel der insgesamt 200 Schüler besuchen nach der vierten Klassen eine AHS oder eine BHS. "Es ist ein Umdenken bei den Eltern nötig. Natürlich ist es leichter Kinder zu unterrichten, die auf einem hohen Bildungsstand sind", sagt Schönbauer zur "Wiener Zeitung". Nur wenige Eltern, deren Kinder Gymnasium-fit sind, entscheiden sich für eine NMS. Das wiederum wirkt sich negativ auf die soziale Durchmischung aus. Der Migrationshintergrund wirkt sich laut Direktorin übrigens nicht auf den Lernerfolg oder Misserfolg der Kinder aus. Hier hängt es eher davon ab, wie gut die Deutsch- und Lesekompetenzen der Kinder sind.

Hohe Ausgaben für Bildung

Im OECD-Vergleich gibt Österreich viel Geld für Bildung aus. 2011 betrugen die Ausgaben pro Schüler oder Student 10.130 Euro. Das ist weit über dem OECD-Schnitt von 7360 Euro pro Schüler. Die hohen Ausgaben sind einerseits mit dem niedrigen Betreuungsverhältnis in Österreich begründet. Ein Volksschullehrer muss hierzulande im Schnitt zwölf Kinder betreuen (OECD-Schnitt ist 15). Anderseits gibt Österreich relativ viel Geld für Lehrergehälter aus. Ein Lehrer steigt mit einem Jahresgehalt von 25.300 Euro ein (OECD-Schnitt etwa 22.000). Das Lehrerhöchstgehalt liegt hier mit 49.752 Euro jährlich ebenfalls weit über dem Schnitt. Nur in der Schweiz, den skandinavischen Staaten, Kanada und Luxemburg verdienen Lehrer mehr. Luxemburg ist mit einem Höchstgehalt von 103.460 Euro jährlich Spitzenreiter. Am wenigsten verdienen slowakische Lehrer.

Außerdem verbringen Lehrer hier weniger Zeit in den Klassen. Volksschullehrer unterrichten 779 Stunden (OECD-Schnitt 782) pro Jahr und AHS-Oberstufenlehrer 589 Stunden (OECD-Schnitt 655). Am meisten unterrichten Volksschullehrer in Chile (1103 Stunden) und am wenigsten in Griechenland (569).

Außerdem zeigt die Studie, dass Österreichs Lehrer immer älter werden. 45 Prozent der heimischen Lehrer sind älter als 50 Jahre. Deshalb empfehlen die Autoren, mehr Anreize für Junglehrer zu schaffen: Qualifizierungsmöglichkeiten für Quereinsteiger oder mehr Ausbildungsangebote. Mit der Anzahl der Dienstjahre steigt auch das Gehalt und somit die Ausgaben in diesem Bereich. Weshalb eine bessere Altersdurchmischung sinnvoll wäre.

"Kann eine Ganztagsschule allein die Chancenungleichheit im Bildungsbereich mindern?" Direktorin Schönbauer ist skeptisch. In der NMS Hasenleitengasse betreut ein Lehrer derzeit 25 Schüler. "Da kann man beim besten Willen nicht auf jeden Einzelnen eingehen und helfen."

Ergebnisse auf einen Blick

Der Anteil an privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen liegt in Österreich bei 8,9 Prozent und damit unter dem OECD-Schnitt von 16,1 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Studierenden in Österreich keine Studiengebühren bezahlen.

Der Anteil an Menschen mit einem Bildungsabschluss ist in Österreich in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Hatten 1997 noch 74 Prozent der Österreicher mindestens einen Lehrabschluss, eine Matura oder Ähnliches, waren es 2012 83 Prozent.

Österreich hat mit 15 Prozent den sechsthöchsten Anteil an internationalen Studenten an heimischen Hochschulen. Den Löwenanteil machen Deutsche aus. Jeder zehnte Studierende kommt aus Deutschland. OECD-Spitzenreiter sind Luxemburg mit 41 Prozent ausländischen Studierenden und Australien mit 18 Prozent.

Im Jahr 2012 haben 41 Prozent der Österreicher eines Jahrgangs ein Studium begonnen. Rechnet man ausländische Studierende mit, beginnen zwei Drittel eines Jahrgangs in Österreich ein Studium an einer FH oder einer Universität.

Bei der Klassengröße liegt Österreich im Spitzenfeld. In der Volksschule sitzen 18 Kinder in einer Klasse. Im sogenannten Sekundarbereich, also AHS-Unterstufe, Hauptschule oder NMS sind es 21 Kinder pro Klasse. Nur in Luxemburg, Lettland, Griechenland und der Slowakei sind die Klassen kleiner.