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Xenophobie wegtanzen

Von Matthias Winterer

Politik
Viele sind zu Beginn eingeschüchtert und zaghaft, tauen aber schnell auf, so die Organisatorin.
© TheaterFlucht Österreich

Projekt TheaterFlucht bietet Kindern asylsuchender Familien an, gemeinsam mit Österreichern zu singen und zu tanzen.


Wien. Vorurteile sind vorab wertende, ablehnende Einstellungen gegenüber Menschen. Oft sind sie Ausgangspunkt motivgesteuerter Handlungen. Vorurteile speisen sich aus platten Stereotypen, schierer Unwissenheit und der Angst vor dem Unbekannten. Genau dem will das Projekt TheaterFlucht entgegenwirken. Es geht den simpelsten, aber erfolgreichsten Weg um Intoleranz abzubauen: Gemeinsam Tanzen und Spielen, und zwar auf einer Bühne.

Kindergelächter hallt durch den Hof des Wiener WUK. Aus einem offenen Fenster erklingt ein fröhliches Lied. Es wieder immer wieder abrupt unterbrochen, um nach einigen Sekunden wieder neu zu beginnen. Im Inneren tanzen an die 40 Kinder. Sie studieren eine Choreografie ein. Immer wieder stolpern sie, stoßen zusammen und kichern los. Es herrscht Freude und Spaß.

Kinder, nicht Flüchtlinge

Das Projekt TheaterFlucht bietet Kindern und Jugendlichen asylsuchender Familien unterschiedlichster Herkunft die Möglichkeit, gemeinsam mit jungen Menschen aus Österreich zu singen, zu tanzen und Theater zu spielen. Zwei Wochen in den Ferien können sie spielerisch voneinander lernen. So werden gegenseitige Vorurteile abgebaut und die Integration unterstützt. Es ist ein Gewinn für alle Beteiligten. Die Kultur- und Sozialanthropologin Claudia Wührer ist eine der drei Organisatorinnen des Projekts. "Die Menschen denken oft in Kategorien. Sie bezeichnen die Kinder als Flüchtlinge, dabei sind sie in erster Linie Kinder. In diesen zwei Wochen versuchen wir, sie ihre massiven Sogen vergessen zu lassen", sagt sie.

Die Kinder der asylsuchenden Familien kommen aus dem "Freunde schützen Haus", einem Wohnhaus für Menschen, die auf den Asylbescheid warten - und dies oft jahrelang. Sie stehen jede Sekunde ihres Alltags enorm unter Druck. Das färbt natürlich auf die Kinder ab, die Bescheid wissen und manchmal auch offen über ihre Angst sprechen.

Viele sind zu Beginn eingeschüchtert und zaghaft, tauen aber schnell auf und suchen die körperliche Nähe. Die schrecklichen Erfahrungen mancher Familien brechen oft nebenbei aus den Kindern heraus. Während des Spielens erzählen sie plötzlich von Flucht, Tod und Vertreibung. Im Vorbeigehen, so wie Kinder das eben tun. Die in dieser Konstellation durchaus privilegierten österreichischen Kinder sind an den Schicksalen der anderen sehr interessiert, hören zu, trösten und lernen viel. Die Bedeutung von Flucht wird greifbarer, sie beginnen zu verstehen, was es bedeutet, nicht zu wissen, wie lange man noch in seiner Heimat bleiben darf.

Natürlich gibt es manchmal Konflikte zwischen den Kindern, auch aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft und Religion. "Wenn ein achtjähriges christliches Kind über Moslems schimpft, dann hat es das irgendwo gelernt. Kinder haben dieses kategorische Denken noch nicht, sind nicht von Haus aus fremdenfeindlich", sagt Wührer. Manchmal entstehen aber auch Freundschaften, vor allem bei den Älteren. Am Ende der zweiten Wochen treten die Kinder gemeinsam vor Eltern, Freunden und Verwandten im WUK auf.

Das Projekt entlastet die Eltern, bietet eine - dem Kindergarten ähnliche - Sommerbetreuung. Sie werden um sieben Uhr morgens abgeholt und um 17 Uhr wieder zurück zum "Freunde schützen Haus" gebracht, von Montag bis Freitag. Dazwischen passieren, neben den Proben an einem Theaterstück, allerlei spannende Dinge. Es wird gesungen, gelesen, getanzt, musiziert und gespielt. Zu Mittag kochen ehrenamtliche Helfer. "Die Auswahl des Essens ist eine große Herausforderung, bei Kindern aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Religionen, Fleisch ist da grundsätzlich tabu", erklärt Wührer.

Von Spenden abhängig

TheaterFlucht hat sein Vorbild in der Schweiz. Die Kultur und Sozialanthropologin Susanne Sulig half dort ehrenamtlich mit und brachte die Idee nach Wien. Seit zwei Jahren stellt sie nun das Projekt im WUK auf die Beine, gemeinsam mit Wührer und der gelernten Theaterpädagogin Christina Rauchbauer. Dies kostet natürlich Geld. TheaterFlucht ist zu hundert Prozent von Spendengeldern abhängig.

Die persönlichen Gründer von Wührer, sich diesem Projekt anzunehmen, sind vielfältig. In erster Linie wolle sie etwas gegen den Missstand der unerträglich langen Wartezeiten Asylsuchender tun. "Natürlich sollte das nicht unsere Aufgabe sein, sondern die der Politik", sagt sie. Außerdem tue man zu wenig, um die Menschen zu intergrieren. "Asylsuchende dürfen in Österreich nicht arbeiten, sind dazu gezwungen, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen."

Als Unterzeichner der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet sich Österreich laut Artikel 31 für das Recht auf der Beteiligung an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben und staatliche Förderung. Wührer findet nicht, dass dies immer gegeben ist. Ihr zweites Ziel sei es, durch TheaterFlucht zumindest einen kleinen Beitrag gegen Xenophobie und die Macht der Vorurteile beizutragen. Es erscheint ihr am sinnvollsten, mit den Kindern zu beginnen. Hier könne man am meisten bewirken.