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Im falschen Leben

Von Walter Hämmerle

Analysen
Vienna calls Washington. Klare Botschaft an einer Wiener Hausmauer.
© Hämmerle

Trump triumphierte: Brutaler lässt sich das Versagen von Meinungsforschern und Medien nicht formulieren.


Am Tag nach dieser denkwürdigen Nacht wird das Ausmaß des Erdbebens erst wirklich sichtbar. Zwei ehrwürdige Institutionen wurden von der Entscheidung der US-Wähler besonders schwer erwischt: der Journalismus und die Meinungsforschung. "Die Medien", formulierte es Jim Ruttenberg noch in den Nachtstunden für die "New York Times", "verpassten, was um sie herum im Land vor sich ging - und das war leider die Story, die man nur einmal im Leben hat." Nahezu alle der 20 größten Umfrageinstitute, darunter die Abteilungen von TV-Sendern und Zeitungen, sagten einen Sieg der demokratischen Kandidatin voraus. Den Mut, gegen den Trend zu schwimmen, hatten allein die "Los Angeles Times" und die University of Southern California.

Nicht zum ersten Mal daneben

Und es waren nicht nur die Zahlen der Umfragen falsch, die ganze Geschichte, die die Medien ihren Lesern erzählten, hatte nichts mit der Wirklichkeit zu tun, die sich in weiten Teilen des Landes ereignete. Brutaler lässt sich das Versagen des etablierten Journalismus nicht zusammenfassen. Und es war kein Ausreißer: Im Juni sah niemand das Brexit-Votum der Briten kommen, im April überraschte der große Vorsprung Norbert Hofers im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl die Branche. Und die Liste der professionellen Missperzeptionen der politischen Wirklichkeiten ließe sich fortsetzen. Das stellt in Summe die Rolle des Journalismus und seines Hilfsinstruments, der Meinungsforschung, sehr viel grundsätzlicher in Frage, als das sämtlichen Beteiligten lieb sein kann. Was sonst, als die Suche nach der Realität, ist schließlich die journalistische Kernaufgabe?

Wie konnte es zu diesem grandiosen Versagen kommen? Warum bekamen die Umfrageinstitute das Phänomen Donald Trump nicht und nicht in ihren Daten zu fassen, und das, obwohl sie einschließlich der "Primaries" gut eineinhalb Jahre Zeit hatten? Der Instinkt eines Politikamateurs, der zeit seines Lebens nichts mit der Res publica am Hut hatte, obsiegte über die geballte Analysekraft sämtlicher Profis in Medien und Parteien.

Die Wähler bleiben ein Rätsel

"Trump ist, und das in jeder Hinsicht, anders als alles bisher in den USA Dagewesene", erklärt Eva Zeglovits, Geschäftsführerin des Meinungsforschungsinstituts Ifes. Für heimische Ohren klingt das bekannt. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer verweist auf die jahrelangen Probleme seiner Branche, die Stärke der FPÖ aufgrund der unterdurchschnittlichen Bekenntnisfreude ihrer Anhänger richtig einzuordnen. Mittlerweile ist das Phänomen hierzulande im Griff, den US-Meinungsforschern fehlte jedoch der österreichische Erfahrungsschatz im Umgang mit solchen Politikern, erläutert Bachmayer. Jörg Haider betrat 1986 die bundespolitische Bühne, Trump de facto vor 18 Monaten: Zu kurz, zumal "Politikfrustrierte auch bei Politikumfragen nicht wirklich mitmachen wollen", wie Zeglovits es formuliert. Und die Wähler von "The Donald" waren in der Tat sehr, sehr frustriert von der Politik in ihrem Land.

Diese Wahl hat auch gezeigt, dass nicht einmal die ungeheuren Datenmengen, die via die Sozialen Medien über die Bürger gesammelt werden, imstande waren, das Rätsel der US-Wähler zu lösen. Diese Daten taugen vielleicht dazu, Gleichgesinnte dazu zu bringen, immer mehr derselben Meinung zu überzeugen und auch zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Jedoch lassen sich aus diesen Informationen keine relevanten Daten für die Meinungsforschung generieren. Bachmayer: "Die Kommunikation in sozialen Medien hat nichts mit der Kommunikation zu tun, wie sie zur Durchführung von Umfragen notwendig ist." Die Angst vor der Allmacht der großen Techkonzerne hat sich also zumindest bei dieser Wahl als unbegründet erwiesen. Was selbstredend nichts an deren sonstigem Risikopotenzial ändert.

Hinzu kommt für Ifes-Chefin Zeglovits ein verbreitetes Missverständnis: "Die Idee, dass Umfragen Wahlergebnisse vorhersagen können, ist abstrus. Wenn das so wäre, würde jeder Wahlkampf sinnlos." Zumindest in Österreich laufe in dieser Hinsicht an der Schnittstelle zwischen Medien und Meinungsforschung viel falsch, ist Zeglovits überzeugt. Mitunter allerdings sind solche Missverständnisse durchaus gewollt, jedenfalls von dem einen oder anderen politikaffinen Auftraggeber. An der Verantwortung der Journalisten für einen richtigen Umgang mit solchen Daten ändert das aber auch nichts.

Überhaupt die Medien: In den Augen von immer mehr Menschen dies- und jenseits des Atlantiks ist unsereins längst ins Lager des so verachteten Establishments gewechselt; daran ändert auch eine gegenteilige Selbstwahrnehmung vieler, wenn nicht sogar der meisten Journalisten wenig. Für OGM-Chef Bachmayer haben viele - und vor allem viele Politikfrustrierte - das Gefühl, die etablierten Medien wollen ihnen ständig vorschreiben, was sie zu denken, zu tun und zu wählen hätten.

Aufstand gegen die Eliten

Nicht zuletzt deshalb hätten sich mittlerweile Proponentenkomitees, in denen diverse Prominente für die Wahl des einen oder anderen Kandidaten werben und die noch zu Bruno Kreiskys Zeiten tatsächliche Überzeugungskraft entfalteten, überlebt. Bachmayer: "Das Volk macht nicht länger, was die Fürsten von ihm verlangen." Dazu passt auch, dass die Wähler - und Wählerinnen - der zahlreichen Politik-Mavericks von Trump über Marine Le Pen und Nigel Farage bis hin zu Heinz-Christian Strache und Co die verbalen Tabubrüche gegen Frauen, Ausländer, Minderheiten etc. - anders als die etablierten Medien, die jedes Mal empört aufschreien - nicht länger auch als solche wahrnehmen. Eva Zeglovits von Ifes umschreibt das so: "Die Menschen haben das Gefühl, dass sie ihre Selbstbestimmung verlieren, weil ihnen die Eliten alles vorschreiben wollen."

Nach dieser Wahl bleibt die Antwort auf eine Frage offener denn ja: Wie sollen Medien, die sich die Einhaltung grundlegender demokratischer Freiheitsrechte auf die Fahne geschrieben haben, mit Politikern umgehen, die sie als Gefahr für eben diese Freiheiten wahrnehmen? Und das in einer Zeit, in der sich zum einen aufgrund des technologischen Umbruchs der Digitalisierung das klassische Geschäftsmodell der Medien - Abonnenten und Inserate - überkommen hat und ein neues nicht, jedenfalls noch nicht in Sicht ist. Und zum anderen durch die Globalisierung und historisch einmalige Beschleunigung des Nachrichtenflusses die klassische Trennung von Bericht und Meinung außer Kraft gesetzt hat. Diese Unterscheidung hat nach dem althergebrachten Lehrbuch für Journalismus ein Mindestmaß an Objektivität und Ausgewogenheit in der Berichterstattung gewährleistet. An ihre Stelle ist jedoch die Kontextualisierung, Analyse und Kommentierung von Nachrichten getreten, die dank der alles erfassenden digitalen Instant-Kommunikation unmittelbar direkt Verbreitung finden.

Das Phänomen Trump hat Medien und Meinungsforschung eine Lektion erteilt, aber leider keine Antworten.