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Arbeiten bis zum Umfallen

Von Petra Tempfer

Politik
© fotolia/Rudie

Österreichs Spitalsärzte arbeiten zu viel. Deren Arbeitszeit soll ab kommendem Jahr schrittweise reduziert werden.


Wien. Familie, Freizeit, eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Für Spitalsärzte, die derzeit bis zu 72 Stunden pro Woche und 49 Stunden am Stück arbeiten, sind das bloß leere Worthülsen. Für eine Attraktivierung des Arztberufes ist das freilich wenig förderlich. Tatsache ist, dass österreichweit mehr als 150 Turnusplätze nicht besetzt sind. Und dass im Vorjahr 600 der 1380 Medizin-Absolventen nicht in Österreich als Ärzte zu arbeiten begonnen haben.

Das soll sich jetzt ändern. Nach jahrelangen Diskussionen hat Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) einen Gesetzesentwurf im Nationalrat eingebracht, wonach die Spitalsärzte-Arbeitszeit ab dem nächsten Jahr schrittweise gesenkt werden soll. Das neue Ärztearbeitszeitgesetz soll im Oktober vom Nationalrat beschlossen werden und 2015 in Kraft treten. Es orientiert sich an dem EU-Limit von wöchentlich maximal 48 Stunden und höchstens 25 Stunden Arbeit am Stück.

Diese Limits gelten zwar seit Jahren auch für Österreich, allerdings sind hierzulande zahlreiche Ausnahmen formuliert, die innerhalb der Ärzteschaft angewandt werden. Fast schon wie eine Bestätigung der prekären Situation wirkte eine Meldung von Mittwoch, wonach der Verwaltungsgerichtshof in letzter Instanz eine Geldstrafe von 24.000 Euro für den Direktor der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsgesellschaft, Gerald Fleisch, wegen zahlreicher Arbeitszeitüberschreitungen bestätigt hat.

"Ein lebbarer Entwurf"

Die schrittweise Reduktion hin zu dem EU-Richtwert in Österreich soll nun folgendermaßen aussehen: Ab 2015 beträgt die wöchentliche Arbeitszeit bis zu 60 Stunden und ab 2018 bis zu 55 Stunden - allerdings nur, wenn die Ärzte schriftlich zustimmen (Opt-out), länger als 48 Stunden zu arbeiten. Ab Mitte 2021 ist kein Opt-out mehr möglich. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit (gerechnet über einen Zeitraum von 17 Wochen) darf dann 48 Stunden nicht mehr überschreiten. Stimmen Ärzte zwischen 2015 und 2021 nicht zu, länger als 48 Stunden zu arbeiten, gilt für sie ein Benachteiligungsverbot. Jene, die ihre Zustimmung bereuen, können widerrufen.

Die Reduktion der verlängerten Wochenenddienste von derzeit 49 auf - dem EU-Schnitt entsprechend - 25 Stunden soll ebenfalls etappenweise erfolgen. Ab 2018 sollen nur noch 29 Stunden möglich sein, ab 2021 höchstens 25.

Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), bezeichnete die Stufenpläne am Mittwoch als "lebbaren Entwurf" - wenngleich die Ärzte im Vorfeld auf eine schnellere Lösung gedrängt hatten. Hundstorfer verteidigte im Ö1-"Morgenjournal" die Etappenlösung. "Wir haben das Personal zur Stunde nicht. Das Gesamtsystem muss sich darauf vorbereiten."

Die Befürchtung, dass durch die kürzeren Dienstzeiten die Kosten explodieren könnten, hat das Ministerium bereits im Vorfeld mithilfe einer Studie zu entkräften versucht. Demnach werde die Umstellung kostenneutral verlaufen, weil es nur zu einer Umschichtung der Dienstzeiten komme und Überstunden wegfielen.

Hundstorfer ist jedenfalls überzeugt, dass sich die Arbeitsbedingungen der Ärzte verbessern werden und der Beruf attraktiver wird, wie er betonte. Dabei war gerade er es, der sich das Problem zu langer Ärztearbeitszeiten quasi selbst eingebrockt hat. Hatte er doch noch als ÖGB-Chef in Brüssel - wie auch andere Gewerkschafter - 2008 erfolgreich dafür gekämpft, dass Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit gewertet werden. Daraus resultieren nun die zu langen Arbeitszeiten für Spitalsärzte. Würden Bereitschaftsdienste nicht als vollwertige Stunden angerechnet, wäre die Summe eine ganz andere.

Facharzt für Allgemeinmedizin

Die somit jedoch lang überfällige Arbeitszeitverkürzung ist nicht die einzige Veränderung der nächsten Jahre. Am Dienstag hat auch die neue Ärzteausbildung den Ministerrat passiert. Die Novelle des Ärztegesetzes soll ebenfalls helfen, den Beruf attraktiver zu machen. Ziel ist laut Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ), dass die Ausbildung auf Inhalte und nicht mehr auf Strukturen fokussiert.

Die neue Ärzteausbildung sieht nach dem Studium eine neunmonatige Basisausbildung vor. In der Facharztausbildung folgt danach eine mindestens 27-monatige Grundausbildung und dann eine mindestens ebenso lange Schwerpunktausbildung. Die Ausbildung zum Allgemeinmediziner sieht nach der Basisausbildung und einer 27-monatigen Spitalpraxis eine Lehrpraxis in einer Ordination vor. Bei Letzterer hätte ÖÄK-Präsident Wechselberger gefordert, dass diese mindestens ein Jahr lang dauern soll. Aktuell soll jedoch mit sechs Monaten gestartet und dann schrittweise auf zwölf Monate verlängert werden. Die Richtung stimme aber, so Wechselberger. Der ÖÄK-Präsident wünscht sich zudem, dass es künftig - wie in vielen EU-Ländern Usus - einen Facharzt für Allgemeinmedizin gibt.

Das alles soll die Abwanderung von Jungmedizinern bremsen - und den befürchteten Ärztemangel verhindern. Aktuell gibt es laut ÖÄK noch genug Ärzte, diese seien jedoch ungleich verteilt, wodurch vor allem bei den Landärzten ein Mangel drohe.

So absurd es vielleicht klingen mag: Eine Zukunftsvision ist auch, dass Ärzte künftig nur noch solche Arbeiten verrichten, zu denen sie ausgebildet wurden. Aktuell verbringen sie nämlich bis zu 40 Prozent ihrer Zeit mit Administration. Dazwischen nehmen sie Blut ab und geben Injektionen. Eine Verschiebung ihrer Tätigkeiten wäre jedoch ohne eine Aufwertung des Pflegeberufs nicht machbar. Und das ist erst das nächste, ungelöste Kapitel.