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Und der Kieberer hört mit

Von Iga Mazak

Politik
Ihr Leben selbst in die Hand nehmen die Refugees auch dieses Mal, nur mit der Kamera.
© Lisbeth Kovacic

Das Videoprojekt "Stay. Love. Resist" ist eine Hommage an die Refugees der Wiener Votivkirche.


Wien. Sie sind Österreichs berühmteste Asylwerber: die Refugees der Wiener Votivkirche. Monatelang hielten die 40 Männer unter anderem aus Afghanistan und Pakistan im Winter 2012 Politik wie Zivilgesellschaft mit ihrem Protest im Atem. Nun widmet sich ein Videoprojekt den Promis der anderen Art.

Der Refugee-Protest war der größte und heftigste Protest von illegalen Flüchtlingen, der je in Österreich stattgefunden hat. Die Männer thematisierten mit ihrem Protest nicht nur ihre eigene Flucht, sondern auch das österreichische Asylwesen per se – formulierten ihre Forderungen nach legalem Aufenthalt, Zugang zum Arbeitsmarkt und nach Bewegungsfreiheit. Anfangs war die mediale Aufmerksamkeit groß – kurz vor Weihnachten wurde der Protest geschickt in den Medien platziert. Das Bild der Flüchtlinge – dick eingehüllt auf Matratzen am Boden der Votivkirche – kursierte als zynische Referenz an das christliche Krippenspiel in den Tageszeitungen und verhöhnte die propagierte Nächstenliebe der Kirche.

Mittlerweile ist es still geworden um die Gruppe. Nur noch sporadisch findet man Meldungen über vereinzelte Mitglieder der ehemaligen Votivkirchen-Besetzer. Es scheint, als wäre der Protest obsolet geworden und als wäre das Thema "Asyl" im Bewusstsein der Öffentlichkeit
abgehakt.

Wie leise und unsichtbare Wölfe

"Politisch hat sich seit den Protesten im Winter 2012 rein gar nichts verändert. Das Thema, das die Refugees aufgezeigt haben ist aber nach wie vor höchst aktuell", erzählt Anna Distelberger, Refugee-Aktivistin und Co-Initiatorin des aktuellen Videoprojekts "Stay. Love. Resist". Gemeinsam mit dem "Protest Productions Collective" hat sie ein Videokollektiv ins Leben gerufen, um erneut Aufmerksamkeit auf die nach wie vor ungelösten Probleme der Flüchtlinge zu bringen. In Form von Videoarbeiten will man Einblick in ihre Lebensrealitäten geben und ihre Erfahrungen mit dem österreichischen Asylsystem teilen. Am 24. September hatten die Arbeiten im Rahmen der diesjährigen Wienwoche im Schikaneder-Kino ihre Premiere.

Das erste Video "The Wolf of the Street" behandelt das Leben als Gejagter auf der Front. Erzählt vom Überlebenskampf auf den Reiserouten der Transitmigration – ständig auf der Flucht vor der Polizei, versteckt vor den Asylbehörden, ohne Geld und Papiere. Ein Leben von einem Tag auf den anderen. Wie ein Wolf – grau, auf leisesten Sohlen und für die meisten unsichtbar, muss sich der Protagonist seinen Weg ans Ziel mühsam erkämpfen. Er verarbeitet in dem Film nicht nur seine eigenen Erfahrungen auf der Flucht aus Marokko, sondern setzt sich auch selbst mit den Fluchtgeschichten anderer Refugees auseinander.

Am Beginn von dem Clip "The Dinner" steht eine Verabredung zum Abendessen zu zweit. Eigentlich läuft alles gut, wäre da nicht die Polizei, die die beiden Flüchtlinge schon seit längerer Zeit abhört und ihnen fälschlicherweise Drogenhandel unterstellt.

Aus drei Äpfel werden schnell einmal drei Kilo Drogen

"Plötzlich wird aus einem banalen Gespräch über drei Kilo Äpfel und einem Kilo Reis ein Meeting zweier Dealer, die sich über den Austausch ihrer brisanten Ware unterhalten", erzählt Shahjahan Khan, ehemaliger Flüchtling der Refugees und Film-Aktivist des Kollektivs. Der von ihm mitkonzipierte Film liefert nicht nur eine Hommage an die freie Interpretierbarkeit von Inhalten bei Polizeiabhörmethoden, sondern auch eine Anspielung auf den laufenden Schlepperprozess gegen einige der Flüchtlinge.

Seit März 2014 müssen sich acht Personen aus dem Umkreis der Refugees vor Gericht verantworten. Übersetzungsfehler bei der Prozessführung und im Telefonüberwachungsprotokoll sorgten für massive Kritik – die "Wiener Zeitung" berichtete.

Der Clip "How to stop a deportation" ist hingegen weniger als Verarbeitung der bisherigen Geschehnisse konzipiert, sondern fungiert mehr als aktive Handlungsanleitung. Wie in einem klassischen Video mit Sicherheitsanleitungen für Fluggäste zeigen die Aktivisten einen Leitfaden, wie man als Nicht-Asylwerber eine Abschiebung verhindern kann. "Nicht hinsetzen, nicht anschnallen und sich den Aufforderungen des Flugpersonals widersetzen, sobald man eine Abschiebung mitbekommt" lauten einige der Anweisungen. Eine vermeintliche Stewardess gibt pantomimisch Tipps des zivilen Ungehorsams.

"Keine Abschiebung basiert schließlich auf Freiwilligkeit", betont Distelberger. "Für viele ist das Verhindern ihrer Abschiebung die allerletzte Hoffnung, wenn auch nur temporär – aber Zeit ist in dem Fall immer ein Gewinnfaktor", meint Distelberger. Laufende Verhandlungen um das Bleiberecht der Flüchtlinge würden nur allzu oft durch vorschnelle Abschiebungen unterbrochen werden. Zusätzliche Zeit bringe die Möglichkeit Einspruch gegen Urteile zu erheben und erneute Bleiberechtsansuchen zu stellen.

Vom Konzept bis hin zum Schnitt wurde das Projekt von den Refugees geplant und umgesetzt. Und wie es schon bei den Refugees Tradition zu sein scheint, nehmen sie die Dinge selbst in die Hand und berichten selbst über ihr Leben anstatt auf Medienvertreter zu warten, die sie interviewen. Angst, Verfolgung und das Leben auf der Straße prägen ihren Alltag. Nach der Premiere im Rahmen der Wien Woche, sind weitere Aufführungen und Filmprojekte in Kürze geplant.