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Zu alt für den Behörden-Dschungel

Von Magdalena Brugger

Politik
Kiymet Ceviz (r.) berät ihren Klienten Yasar Kosar über die Invaliditätspension auf Türkisch.
© Foto: Luiza Puiu

Das Projekt Terra bietet älteren Migranten Beratungsgespräche über Pensionsangelegenheiten in ihrer Muttersprache an.


Wien. Auf dem Schreibtisch von Kiymet Ceviz türmen sich Dokumente, Formulare und Anträge. Die 46-Jährige verfasst mit ihrem Klienten Yasar Kosar gerade eine Anklageschrift. Die Beiden sprechen Türkisch, vereinzelt fallen deutsche Wörter wie "Behindertenausweis", "Pflegegeld" oder "Arbeitsamt".

Ceviz ist Sozialarbeiterin und Mitbegründerin des Projekts Terra, einer Beratungsstelle für ältere Migranten. Diese haben häufig Schwierigkeiten, sich im österreichischen Behörden- und Beratungsstellen-System zurechtzufinden, was nicht zuletzt auch auf ihre mangelnden Sprachkenntnisse zurückzuführen ist. Terra bietet daher Beratungsgespräche auf Türkisch, Kurdisch, Serbisch, Bosnisch, Kroatisch, Englisch und Deutsch an.

"Die Probleme beginnen mit der Arbeitslosigkeit", sagt Yasar Kosar. "Wenn man arbeitet, ist alles geregelt, und man weiß immer genau, was zu tun ist. Wenn man keine Arbeit mehr hat, muss man sich um so viele Sachen kümmern." Der 54-Jährige lebt seit 24 Jahren in Österreich. 1997 hatte Kosar einen Arbeitsunfall, der schwere gesundheitliche Probleme mit sich zog. Seitdem ist er zu 70 Prozent behindert und arbeitslos. Er hat schwere orthopädische Probleme, die sich in starken Rücken-, Bein- und Hüftschmerzen äußern. Er kann kaum noch gehen, ist zuckerkrank und insulinpflichtig. Kosar stellte einen Antrag auf Invaliditätspension, der jedoch abgelehnt wurde, da er als arbeitsfähig eingestuft wurde. Jetzt steht er in einer Zwickmühle: Einerseits will ihn keine Firma aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands einstellen und andererseits hat er keinen Anspruch auf Invaliditätspension. Deshalb hat er sich an das Beratungszentrum Terra gewandt.

Klienten sind häufigehemalige Gastarbeiter

Ceviz klärt Kosar über die rechtliche Situation auf und hilft ihm, eine Klage zu verfassen, die an das Arbeits- und Sozialgericht geschickt werden soll. Die Sozialarbeiterin hat häufig mit solchen Fällen zu tun. Die meisten Klienten sind Teil der ersten Gastarbeitergeneration: Sie kamen in den Sechziger- und Siebzigerjahren als Arbeitskräfte aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich. Jetzt sind sie im Pensionsalter oder stehen kurz vor dem Pensionsantritt. Ceviz hilft ihnen beim Ausfüllen des Pensionsantrags, beim Lesen und Anfertigen von Schriftstücken und beim Briefverkehr mit Ämtern und Behörden. Neben Pensionsangelegenheiten berät sie ihre Klienten auch bei Fragen zu Wohnen, Aufenthalt, Gesundheit oder Arbeit.

Vor der Tür der Sozialarbeiterin herrscht dichtes Gedränge. Drei ältere Herren warten auf ihren Termin, zwei weitere sind hier, um einen Beratungstermin zu vereinbaren. "Der Andrang für Beratungsgespräche ist sehr groß", erklärt Ceviz. "Die meisten wenden sich regelmäßig an uns." Weil ältere Migranten ihre Probleme oft nicht zur Sprache bringen können, brauchen sie Unterstützung bei Telefonaten mit Behörden oder beim Ausfüllen von Formularen. "Uns ist es wichtig, dass wir ältere Migranten in den Prozess einbinden. Wir erarbeiten die Dinge gemeinsam mit unseren Klienten - wenn man ihnen die Dinge erklärt, machen sie gerne mit", so Ceviz.

Gesundheitliche Problemeim Alter

Der nächste Klient der Sozialarbeiterin ist Kerim Künli. Er hat sich ebenfalls wegen einer Pensionsangelegenheit an die Mitarbeiter von Terra gewandt. Künli ist aber nicht für sich, sondern für seine Frau hier. Er erkundigt sich für sie nach den formalen Voraussetzungen für eine Invaliditätspension. Sie selbst konnte aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme nicht zum Beratungsgespräch kommen.

Zurzeit können Frauen in Österreich nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Pension gehen, bei Männern liegt das Mindestalter bei 65 Jahren. Um eine Pension zu erhalten, müssen entweder genügend Beitragsmonate oder ausreichend Versicherungsmonate gesammelt worden sein. Für die Invaliditätspension hingegen ist kein Mindestalter erforderlich. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen zum Ausüben ihrer Tätigkeit nicht mehr fähig sind.

Aber auch hier gibt es gewisse Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen: Vor Antritt der Invaliditätspension muss ein Antrag auf Rehabilitation gestellt werden. Nur wenn die Rehabilitation nicht zweckmäßig oder zumutbar ist, hat man Anspruch auf die Invaliditätspension. Eine weitere Voraussetzung für den Erhalt der Invaliditätspension ist die Erfüllung der Mindestversicherungszeit. Kerim Künli knetet nervös seine Finger. "Es sieht schlecht aus für Ihre Frau", sagt Ceviz. "Der Antrag auf Invaliditätspension wurde abgelehnt, da sie nicht ausreichend Versicherungsmonate gesammelt hat." Die gesundheitlichen Probleme sind zweitrangig. Denn die erste und wichtigste Voraussetzung für den Erhalt der Invaliditätspension ist die Erfüllung der Mindestversicherungszeit. Erst dann wird der gesundheitliche Zustand überprüft. Gerade ehemalige Gastarbeiter leiden im Alter häufig unter gesundheitlichen Problemen: Sie arbeiteten vor allem in körperlich anstrengenden Berufen, wie im Bauwesen, der Metallindustrie oder der Textilverarbeitung.

Nachfrage für Beratungsgespräche steigt

Ceviz und ihr Klient beratschlagen über die weiteren Schritte. Sie wird die Situation mit Frau Künli besprechen und dann weitere Maßnahmen treffen. "Es ist nun wichtig, taktisch vorzugehen", weiß die 46-Jährige. Sie kennt sich im österreichischen Behördenwesen sehr gut aus. Die kurdischstämmige Frau kam 1994 nach Österreich, machte eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und arbeitete bei verschiedenen Organisationen und sozialen Einrichtungen. Seit 2004 ist sie Mitarbeiterin bei Terra. Die Österreicherin spricht mit ihren Klienten Türkisch, Kurdisch oder Deutsch. Die Beratungsgespräche sind gratis. Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt vom Wiener Magistratsamt für Integration und Diversität sowie vom AMS.

Der Andrang ist groß - immer mehr ältere Migranten suchen Unterstützung bei Terra. Sie werden häufig von anderen sozialen Einrichtungen auf das Projekt aufmerksam gemacht. Auch über Medien und diverse Veranstaltungen erfahren ältere Migranten vom Projekt. "Die Mehrheit unserer Klienten kommt aber über Mundpropaganda zu uns", sagt Ceviz. Sie ist eine der drei Kompetenzberaterinnen, die bei Terra arbeiten. Vor allem Gespräche auf Türkisch und Kurdisch seien sehr gefragt. Aufgrund des hohen Andrangs muss das Team jetzt erweitert werden.