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"Nicht-Arbeit wird begünstigt"

Von Clemens Neuhold

Politik

Mindestsicherung kann in Familien zur "Inaktivitätsfalle" werden, sagt AMS. Regierung will nun "stärkere Anreize" setzen.


Wien. Die Regierungsklausur vergangene Woche in Schladming stand ganz im Zeichen der Steuerreform. Beim Jonglieren mit Steuer-Milliarden ging ein Satz im Klausur-Papier unter: "Stärkere Arbeitsanreize für Mindestsicherungsbezieher." So steht es im Kapitel "Beschäftigung, Krisenbewältigung, Wachstum". Worum geht’s? Die Regierung plant eine Reform der bedarfsorientierten Mindestsicherung gemeinsam mit den Ländern. Diese zahlen die Sozialleistung aus. Das Sozialministerium bestätigt, dass Gespräche mit den Ländern geplant sind, will aber vor Verhandlungsstart nichts Konkretes dazu sagen.

Inaktivitätsfalle

Worum geht’s? Im Unterschied zur Vorgängerin, der Sozialhilfe, soll das Arbeitsmarktservice (AMS) bei der Mindestsicherung dafür sorgen, dass sie nicht Abstellgleis, sondern Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt ist. So weit die Theorie.

In der Vermittlungspraxis hat das AMS aber "Inaktivitätsfallen" ausgemacht, wie es der Chef des AMS, Johannes Kopf, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ausdrückt.

Das heißt, die Anreize, aus der Mindestsicherung heraus Arbeit aufzunehmen, sind in diesen Fällen zu gering. Er bringt das Beispiel eines Familienvaters in Wien, mit mehreren Kindern und einer Frau, die nicht arbeitet: "Diese Person kommt auf mehr als 1800 Euro Mindestsicherung. Am Arbeitsmarkt müsste er brutto 2800 Euro verdienen, um auf diesen Betrag zu kommen. Das ist nahezu unmöglich." Oft hätte dieser Bezieherkreis nur einen Hauptschulabschluss.

Zweites Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter mit mehreren Kindern, die Mindestsicherung bezieht und für eine Teilzeitstelle vermittelt wird. Ihr Verdienst läge in jedem Fall deutlich unter der Mindestsicherung.

Derzeit wird jeder Cent, der verdient wird, mit Ausnahme eines kleinen pauschalen Freibetrages, von der Mindestsicherung abgezogen. "Dieses System begünstigt die Nicht-Arbeit", sagt Kopf. Deswegen plädiert der AMS-Boss für ein "differenziertes System der Anrechnung". Das heißt, ein Teil der Mindestsicherung soll den Lohn aufpeppen, damit besagter Familienvater auf beispielsweise 2000 Euro kommt oder die Alleinerzieherin auf einen kombinierten Lohn, der deutlich über der Teilzeit-Gage liegt. Höhe, Dauer und Bezieherkreis dieser speziellen Mindestsicherung müssten noch definiert werden.

Bei "Bedarfsgemeinschaften", also Familien, sieht Kopf den größten Handlungsbedarf. Insgesamt handle es sich um ein paar tausend Personen in der "Inaktivitätsfalle". Hingegen sei bei Einzelpersonen der Lohnabstand zwischen der einfachen Mindestsicherung (814 Euro) und dem Mindestlohn hoch genug, um zur Arbeit zu motivieren.

Insgesamt sind 54.000 Personen beim AMS gemeldet, die Mindestsicherung beziehen, davon leben 16.000 ausschließlich von der Sozialleistung, der Rest kommt mit Lohn oder Arbeitslosengeld unter die Grenze von 814 Euro und stockt seinen Bezug auf dieses Existenzminimum auf. Dazu kommt noch eine weit höhere Zahl an Kindern, Pensionisten oder chronisch Kranken, die Mindestsicherung beziehen, aber dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Alleine in Wien bezogen 2013 insgesamt rund 153.000 Personen Mindestsicherung, also bald jeder zehnte Stadtbürger. Zum Vergleich: In Niederösterreich waren es bei ähnlicher Einwohnerzahl 21.750. Dieses "Wiener Phänomen" wird in der Stadtregierung unter anderem damit begründet, dass sich Städter weniger dafür genieren, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, als im ländlichen Bereich.

Stumpfe Sanktionen

In der Theorie bräuchte es gar keine monetären Anreize für Mindestsicherungsbezieher, um sie zu "aktivieren". Von Gesetzes wegen muss jeder Arbeit aufnehmen, sobald er dazu in der Lage ist. Verweigert ein Bezieher die Jobaufnahme und der Arbeitgeber meldet das beim AMS, drohen Sanktionen, ähnlich der Sperre des Arbeitslosengeldes.

Die Länder können Personen, die trotz schriftlicher Ermahnung ihre Arbeitskraft nicht in "zumutbarer" Weise einsetzen, die Mindestsicherung stufenweise um bis zu 50 Prozent kürzen. Bei wiederholter Verweigerung kann die Mindestsicherung zur Gänze entzogen werden. Allerdings dürfen die Betroffenen dadurch nicht obdachlos werden. Auch die Partner oder Kinder im gemeinsamen Haushalt dürfen dadurch nicht existenziell gefährdet werden.

Aber: In der Praxis werde die Wirkung von Sanktionen "überschätzt", sagt Kopf. "Firmen nehmen nur Leute, die motiviert sind. Keine Firma meldet Bewerber als unwillig, die diese Überlastung ausstrahlen oder unterbewusst vermitteln."

Wie oft Sanktionen verhängt werden, wiesen die Länder bisher nicht aus. Aus Wien heißt es jedoch, dass es im Sozialbericht 2015 erstmals Daten dazu geben soll. Auch die Dauer, bis Sanktionen verhängt werden, soll deutlich verkürzt werden. Derzeit kann es Monate dauern.