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Islam von daham

Von Clemens Neuhold

Politik

Die Regierung will einen Islam "österreichischer Prägung" und untersagt ausländische Gelder für Moscheevereine. Muslime zürnen, Rechtsexperten zweifeln. Geht das neue Islamgesetz zu weit?


Wien. "Daham statt Islam" plakatierte die FPÖ im Wahlkampf 2006 und trieb die politische Agitation gegen eine anerkannte Religionsgemeinschaft und ihre Anhänger auf einen Höhepunkt.

Das Islamgesetz ist das Gegenteil davon. Es ist ein in Westeuropa einzigartiger Ausdruck der Selbstbestimmung und Anerkennung der Muslime und ihrer Religion. Hintergrund ist die gemeinsame Geschichte mit dem einst von den Habsburgern annektierten muslimischen Bosnien.

Mehr Rechte

Seit 1912 in Kraft, wurde das Islamgesetz nun modernisiert. Die Novelle orientiert sich an der Neufassung des Israelitengesetzes von 2012, etwa, wenn es um Regeln für Beschneidung, für das Schächten oder die Kontrolle der Funktionäre geht. Andere Passagen bauen die Rechte der Muslime weiter aus. So gibt es ein Recht auf islamische Bestattungen und Friedhöfe, auf einen Seelsorger (mit Uni-Abschluss) oder die Einhaltung der Speisevorschriften beim Bundesheer, im Krankenhaus und im Pflegeheim.

In einem Punkt werden die Rechte der Muslime und ihrer Vereine beschnitten - finanziell. So heißt es: "Die "Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder hat im Inland zu erfolgen."

Der Minister für Integration und Außenpolitik, Sebastian Kurz, begründet den Passus im "Ö1-Journal" so: "Wir wollen einen Islam österreichischer Prägung. Jeder Muslim in Österreich soll seiner Religion ordentlich nachkommen können, aber wir wollen keine Einflussnahme und Kontrolle aus dem Ausland." Also künftig mehr "Islam von daham"?

Muslime sehen sich ungleich behandelt, weil andere Religionen nicht davon betroffen sind. Aus der Sicht von Rechtsexperten verstößt die Ungleichbehandlung womöglich gegen die Verfassung.

1) Warum eine "Lex Islam" bei der Finanzierung?
Bei ausländischen Geldern für Moscheen oder Islamvereine denkt man zunächst an Saudi-Arabien. Das Königreich, das im eigenen Land dem Steinzeit-Islam huldigt, baut auf der ganzen Welt Moscheen. In der größten Moschee Österreichs, dem Islamischen Zentrum in Wien Floridsdorf, steckt überwiegend saudisches Geld. Auch das Zentrum für interreligiösen Dialog ist vom saudischen Königshaus finanziert.

Zentraler zum Verständnis der Ressentiments gegen ausländischen Einfluss ist aber ein anderes Land: die Türkei. Die Türkisch Islamische Union in Österreich (Atib) mit 64 Moscheevereinen gilt als verlängerter Arm der Türkei. ihre Imame sind von der Türkei entsandt und bezahlt. Atib lebt von Mitglieder-Spenden. Mit der erstarkten türkischen Wirtschaft sollen aber auch Spenden aus der Türkei zugelegt haben.

"Das ist jenseits einer Grenze, die normalerweise für einen souveränen Staat akzeptabel ist", kommentiert Richard Potz den Einfluss von Vereinen wie Atib. Deswegen zeigt der Leiter des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Uni Wien Verständnis für die politische Stoßrichtung der Gesetzespassage - nicht für die rechtliche. Doch dazu später.

Unter dem türkischen Premierminister Recep Erdogan, der "eine religiöse Generation" erziehen möchte, verschwimmen die Grenzen zwischen Religion und Politik zunehmend. Parallel dazu steigt in Ländern mit starker türkischer Bevölkerung wie Österreich die Skepsis gegenüber vermeintlichen Sprachrohren Erdogans und seiner AKP im eigenen Land.

Als Erdogan im Juni in Österreich wahlkämpfte, kommentierte Kurz dessen Wahlkampfauftritt als "schädlich" für die Integration der Türken in Österreich und warf Erdogan fehlenden "Respekt vor dem Gastland" vor. Mit der Finanzsperre könnte die Einflussnahme Erdogans in Österreich sinken, lautet wohl das Kalkül.

Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, meint aber: "Atib ist kein Erdogan-Verein. Noch nie habe ich in einer Atib-Moschee Wahlplakate gesehen." Nach Erdogan kämen andere Politiker, deswegen sei die "Anlassgesetzgebung" fehl am Platz.

Soziologe Kenan Güngör meint, bei den Imamen aus der Türkei handle es sich um eher moderate Islam-Vertreter. Dennoch seien sie für die türkische Diaspora-Politik instrumentalisierbar. Zudem würden sie die Lebenswelt österreichischer Muslime nicht kennen. "Vor diesem Hintergrund verstehe ich das Gesetz - auch wenn manche Punkte nicht hinreichend differenziert sind."

2) Gehen die Moscheen nun pleite?
Baghajati befürchtet, dass dutzende Moscheen bald ohne Vorbeter dastehen und in letzter Konsequenz schließen müssen. Neben Atib-Vereinen gebe es iranische oder saudische Moscheen, die auf Spenden aus dem Ausland angewiesen seien. "Zahlt Österreich künftig die Imame?", fragt er sich. Er selbst predigt ehrenamtlich.

Der Wiener SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi fürchtet sogar, dass das riesige Islamische Zentrum seine Pforten schließen müsse. In der Regierung beruhigt man und weist darauf hin, dass einmalige Zuwendungen in Form einer Stiftung weiterhin erlaubt seien, nur müssten diese in Österreich gegründet und verwaltet werden.

Den laufenden Betrieb zu finanzieren, wäre so freilich nicht möglich. Hier braucht es künftig wohl mehr Inlandsspenden.

3) Wie wird die Finanzsperre kontrolliert?
Atib ist nicht religiös aktiv, sondern auch kulturell. Im Zuge der Umsetzung des neuen Islamgesetzes müssten sich die vielen Atib-Vereine wohl aufspalten in kulturelle und religiöse Ableger. Letztere würden, um anerkannt zu werden, direkt der Islamischen Glaubensgemeinschaft IGGiÖ unterstellt werden. In weiterer Folge müssten alle IGGiÖ-Vereine und Moscheen dem Staat ihre Bilanzen offenlegen und dadurch nachweisen, dass sie keine ausländischen Geldquellen anzapfen.


4) Entspricht so ein Gesetz dann der Verfassung?
Eher nein. Besonders beim Punkt der Offenlegung der Finanzen sieht Rechtsexperte Potz rot. "Die Verwendung und die Verwaltung von Vermögen liegt in der Autonomie der Religionsgemeinschaften und ist eine innere Angelegenheit. Das geht den Staat nix an." Eine Einsicht in Bilanzen hätte es "das letzte Mal unter dem NS-Kirchenbeitragsgesetz gegeben", formuliert er drastisch.

Andere Verfassungsrechtler sehen bereits die Tatsache als gleichheitswidrig, dass die katholische oder orthodoxe Kirche weiter Geld aus dem Ausland bekommen dürfe. Potz meint aber, eine Ungleichbehandlung könne zulässig sein - dann nämlich, wenn sie "der spezifischen Gegebenheit der Religion geschuldet ist". Ob eine bei Moscheen und Islamvereinen stark ausgeprägte Auslandsfinanzierung schon ein driftiger Grund ist, lässt er aber offen. Auch eine enge Absprache mit den Religionsvertretern, in diesem Fall der IGGiÖ, könne eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die IGGiÖ war tatsächlich eng in die Gesetzesnovelle involviert. Doch mit den jetzt beklagten "Verschärfungen in letzter Minute" fühle man sich "über den Tisch gezogen", sagt ein Vertreter, der nicht genannt werden möchte.

5) Wie konnte die Stimmung derart kippen?
Die IGGiÖ vermutet "Pauschalverdächtigungen gegen Muslime angesichts von Krieg und Terror der IS-Verbrecher" als Hintergrund "für in letzter Sekunde vorgenommene Verschärfungen" der Islamgesetz-Novelle.

Güngör sieht einen Zielkonflikt. Einerseits widerspreche das Gesetz womöglich dem Gleichheitsgrundsatz und den Realitäten einer globalisierten Welt, andererseits gebe es speziell in der muslimischen Community ernsthafte Problemstellungen, denen man sich stellen müsse.