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"Schlepperei": Ein üppig beackertes Feld

Von Eva Zelechowski 

Asyl

Experten fordern differenzierten Umgang der Medien mit Sprache - Manche "Schlepper" auch als Fluchthelfer begreifen.


Schleppen: mitnehmen, transportieren, tragen. 
© Eva Zelechowski

Wien. Darf man Fluchthelfer aus der NS-Zeit nicht mit den heutigen Schleppern vergleichen? "Man muss es sogar", schrieb Sibylle Hamann Anfang des Jahres in einem Gastkommentar von "Die Presse". Heute macht die hitzig geführte Debatte der Asylpolitik einen großen Bogen um die Frage der Begrifflichkeiten, im Fokus stehen verstärkter Grenzschutz und die Brutalität der "Schlepperbanden", denen es einen Riegel vorzuschieben gilt. Doch gibt es nicht auch Fluchthelfer unter den "Schleppern"? Und ist Flucht ohne schleusende Personen überhaupt möglich?

Beim Internationalen Symposium "'Schleppen' - schleusen, helfen. Flucht zwischen Rettung und Ausbeutung" spricht sich Fabiane Baxewanos vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien für eine stärkere Differenzierung der Begriffe aus. "Legale Migration ist in der heutigen Zeit nicht möglich. Und wenn es keine ‚legalen Migranten‘ gibt, dann kann auch nicht von ‚illegalen Migranten‘ gesprochen werden", sagte Baxewanos am ersten Tag der Tagung am Montag. Nahezu jeder, der heute in Europa um Schutz ansuchen möchte, sei auf Fluchthilfe angewiesen. Demnach fördere "die derzeitige europäische Einwanderungspolitik ‚Schlepperei‘ anstatt sie zu bekämpfen", zog Baxewane Fazit.

"Schlepper" auch als "Fluchthelfer" begreifen

Medienwissenschafter Fritz Hausjell veranschaulicht anhand von Schlagzeilen der letzten Jahre, wie tendenziös der Diskurs ins öffentliche Bewusstsein der Bevölkerung hinein getragen wurde: "Schlepper verdienten Millionen" – "Illegale stürmen EU-Festung" – "Die Tricks der Schlepperbanden" – "Die miesen Tricks der Schlepper", las Hausjell in seinem Vortrag über die Materie der "Schlepperei", die in den vergangenen 15 Jahren, wie er sagt, ein "üppig beackertes Themenfeld" in der heimischen Medienlandschaft darstellte.

Wie viele "Schlepper"-Stories finden sich in den Medien?

"Kronen Zeitung"

"Alleine in der 'Kronen Zeitung' erschienen zwischen 1. Jänner 2000 und 30. September 2014 insgesamt 4.207 Berichte, in denen dieser Begriff verwendet wurde, nur in 10 davon kam auch der Begriff 'Fluchthilfe' vor. Menschen auf der Flucht gelangen zumeist ohne 'Schlepper' oder – wie sie im Westen häufig genannt werden – 'Schleuser' nicht über die Grenze nach Österreich oder in ein anderes europäisches Land", erörterte Fritz Hausjell. Insofern könnten "Schlepper" auch als "Fluchthelfer" begriffen werden.

"Österreich" und "Heute"

Deutlich niedriger liege die Quote bei den beiden Boulevardblättern "Österreich" und "Heute": Wolfgang Fellners "Österreich" das seit 2006 im Archiv verfügbar ist, habe lediglich 1.061 "Schlepper"-Berichte. Und auf gar nur 218 Berichte, in denen "Schlepper" vorkommen, stoße man im Archiv auf Berichte in der Gratiszeitung "Heute", die seit 2007 im Archiv vertreten ist.

"Kurier"

Die Tageszeitung "Kurier" hingegen komme - wohl aufgrund umfassender Chronik-Berichterstattung - mit 3.852 "Schlepper"-Artikeln nahe an die "Kronen Zeitung" heran, davon sei in 24 dieser Beiträge neben dem "Schlepper"-Begriff auch von Fluchthelfern bzw. von Fluchthilfe die Rede.
In der Berichterstattung der Qualitätsmedien fanden sich in den vergangenen 15 Jahren immer noch 1.000 "Schlepper"-Artikel.

Erdrückende Bilanz

"Wieso diese Bilanz so erdrückend ist?", fragt Hausjell. "Weil das Innenministerium gute Öffentlichkeitsarbeit betreibt", liefert er sogleich die Antwort. Im "Jahresbericht zur Organisierten Schlepperkriminalität" des Bundeskriminalamts achte man bei der Wortwahl genau darauf, "Schlepper" nie in die Nähe von "Fluchthelfern" kommen zu lassen. "Viel zu wenige Medien halten in ihren Berichten zu illegalen Grenzübertritten Distanz zur Sprache der Verfolgungsbehörden", erklärt der Universitätsprofessor. Und nur ganz selten werde in der Medienberichterstattung der Vorwurf der "Schlepperei" unter Anführungszeichen gesetzt.

Journalisten seien zu eine differenzierteren Umgang verpflichtet. Ähnlich wie Hamann findet auch Hausjell, dass man es sich mit der Unterscheidung "Ehrliche Fluchthelfer damals – brutale Schlepper heute" zu einfach mache. "Fluchthelfer treten heute selten angemessen in den Medien auf. Das liegt daran, dass sie, bis auf wenige Organisationen, keine Lobby haben."

Besseres Bild von schleusenden Personen

Journalisten müssten beleuchten, wer anstelle von "Schleppern" eher als "Helfer" bezeichnet werden sollte. Tendenziell würde jede Form der Fluchthilfe, ob unbezahlt oder bezahlt, in der medialen Berichterstattung als "Schlepperei" tituliert. Konkret: Es brauche mehr "justizkritischen Journalismus". Mithilfe des Redaktionsgeheimnisses könnten Journalisten – im Gegensatz zu Beamten - ein genaueres, realitätsnahes Bild von schleusenden Personen liefern.

"Wer nur Boulevard liest, sieht ganze Schlepperbanden in seinem Vorgarten", so das Fazit des Medienwissenschafters. Die Leserschaft des "Kurier" konnte allerdings den gleichen Eindruck bekommen. Sein Appell: "Mit dem Leid anderer soll man weder nach Lesern noch nach Wählern gieren."