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Zuwanderer retten Pensionssystem

Von Clemens Neuhold

Politik

Vor Gutachten: Die starke Zuwanderung aus Deutschland und Osteuropa verbessert die Finanzierbarkeit über Jahrzehnte.


Wien. Die Wirtschaft lahmt, die Arbeitslosigkeit steigt, eine Steuerreform ist kaum leistbar. Da kommt eine unerwartet frohe Botschaft gerade recht.

Wie die "Wiener Zeitung" aus Kreisen der Pensionskommission erfuhr, sollen sich die mittelfristigen Aussichten für die Finanzierung der Pension bis 2060 wesentlich verbessern. Der Grund: Die starke Zuwanderung. Laut Statistik Austria ist die Netto-Zuwanderung 2013 um ein Viertel auf 54.728 Personen gestiegen. Es ist der höchste Wert seit der Ostöffnung und dem Bosnien-Krieg.

Das europäische Statistikamt Eurostat, dessen Daten in die Pensionsprognosen einfließen, schreibt aktuelle Zuwanderungstrends jährlich fort. Das heißt, die künftigen Zahlen werden wegen der Rekordzuwanderung 2013 stark nach oben revidiert.

"Massive Auswirkung"

"Es ist einer der wesentlichen Parameter für die Prognosen der Pensionskommission, wie viele Beitragszahler es künftig gibt", sagt Bernhard Schwarz. Er leitete die Pensions-Kommission bis Ende 2012. "Werden die Prognosen für die Zuwanderung angehoben, kann sich das massiv auswirken." Bis 2012 habe Zuwanderung keine wesentliche Rolle gespielt, sie sei bloß fortgeschrieben worden.

Auch Ulrich Schuh von EcoAustria, er ist selbst Mitglied der Pensionskommission, sagt auf Nachfrage: Schreibt man die aktuell hohe Zuwanderung fort, verbessert das selbstverständlich die Aussichten für die nächsten Jahrzehnte." Bleibt das so? "Die Einschätzung der Demografie hat sich wesentlich verändert. Ich sehe mittelfristig keine Anzeichen, warum sich die dynamische Zuwanderung abschwächen sollte."

Entscheidend für die Pensionsbeiträge ist natürlich, ob die Zuwanderer arbeiten und damit in die Pensionssysteme einzahlen oder nicht. Hier meint Schwarz: Bei früheren Prognosen sei der Anteil der Zuwanderer, die nicht arbeiten, größer gewesen. Das betraf zum Beispiel Frauen, die im Zuge der Familienzusammenführung ins Land kamen. Heute kommen die meisten Zuwanderer aus Deutschland und den neuen EU-Ländern in Osteuropa. Dabei handelt es sich um klassische Arbeitsmigranten. Während etwa aus Ungarn rund 8500 zuzogen und aus Deutschland fast 6800, kamen etwa aus der Türkei nur noch knapp über 1000 Personen. Im Fall der Türkei rückte nach den Gastarbeiterwellen der 60er, 70er Jahre die Familienzusammenführung in den Vordergrund.

Die Pensions-Kommission veröffentlicht am 25. November ihr jährliches Gutachten. Im Sozialministerium will man nicht über die Ergebnisse spekulieren. Zur Zuwanderung als Faktor für die Stabilität des Pensionssystems sagt ein Sprecher: "Es sind meist Jüngere im erwerbsfähigen Alter, die noch 20 bis 30 Jahre Erwerbstätigkeit vor sich haben. Das hat natürlich auf absehbare Zeit einen positiven Effekt."

Problem nur verschoben

Schuh warnt jedoch vor zu viel Optimismus. "Langfristig verschiebt sich das Problem nur nach hinten, denn auch Zuwanderer erwerben Ansprüche." Dann stellt sich wie schon heute die entscheidende Frage, wann die Arbeitnehmer in Österreich in Pension gehen. Österreich ist und bleibt ein Land, dessen Sozialsystem an "Frühpensionitis" leidet. Bei stark steigender Lebenserwartung liegt das durchschnittliche Antrittsalter derzeit bei nur 59,1 Jahren, während es in Ländern wie Deutschland bereits bei 61 Jahren liegt und durch das gesetzliche Antrittsalter von 67 weiter anziehen wird. Damit reagiert Deutschland stärker auf die steigende Lebenserwartung, der härtesten Währung in der Berechnung der langfristigen Pensionsentwicklung. "Die finanziellen Belastungen durch die steigende Lebenserwartung schlagen die Entlastungen durch mehr Erwerbstätigkeit und Zuwanderung eindeutig", sagt Schuh.

Er glaubt aber, dass die österreichische Regierung verbesserte Prognosen zum Anlass für eine "Verschnaufpause beim Reformeifer" nutzen würde. "Ich glaube nicht, dass bei den Pensionen noch Maßnahmen gesetzt werden bis Ende der Legislaturperiode. Das wäre politischer Selbstmord, weil die Effekte zum Wahltermin spürbar werden."

Kosmetik oder Reform

Die Regierung kann schon jetzt darauf verweisen, dass die bisherigen Pensionsreformen langsam ein wenig Wirkung zeigen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 ist das Antrittsalter bei Arbeitern und Angestellten im Vergleich zum Vorjahr um ein Jahr auf 59,1 Jahre angestiegen. Stark zurückgegangen sind Hackler- und Invaliditätspensionen ("I-Pension"), enorm angestiegen hingegen die Schwerarbeiterpensionen.

Augenfällig beim Antrittsalter ist, dass es bei der Invaliditätspension besonders stark gestiegen ist, nämlich von 51,1 auf 53,4 Jahre. Das rührt freilich in erster Linie daher, dass die I-Pension für unter 50-Jährige im Regelfall abgeschafft wurde, die Betroffenen stattdessen Reha-Geld beziehen und dieses nicht in die Pensionsstatistik fällt. Das kritisieren manche Experten als Kosmetik, weil die Kosten nur verschoben werden.

Im Regierungsprogramm ist 2015 ein Pensionsmonitoring vorgesehen, um das Antrittsalter bis 2018 auf über 61 Jahre zu heben. Doch das hält Schuh für zahnlos. "Das Monitoring war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil jeder etwas anderes hineininterpretiert."