Zum Hauptinhalt springen

Wir brauchen den Islam

Von Clemens Neuhold

Politik

Das Islamgesetz wird zum Symbol für die harte Hand gegen den Islam - eine Themenverfehlung.


Wien. Am Donnerstag demonstrierten 250 FPÖ-Anhänger gegen eine Imam-Schule in Wien Simmering. Es gab keine Verletzten, es flogen keine Flaschen, "Heil Simmering" war das Brutalste.

Vor zwei Wochen marschierten in Köln 5000 Hooligans gegen Salafisten unter der Abkürzung "HoGeSa". Polizeiwägen kippten, 60 Polizisten bluteten.

Österreich ist kleiner, die Hooligan-Szene weniger politisch, schwächer organisiert. Dasselbe gilt für die salafistische Szene. Der Salafismus, der den Islam höchst selektiv und fundamentalistisch auslegt, ist in seiner radikalen Ausprägung Nährboden für die Kopfabschneider der Terrororganisation "IS". Ja, mit 164 potenziellen Kopfabschneidern spielt Österreich in der internationalen Dschihadisten-Liga ganz oben mit. Das hat aber mit einer Sondersituation zu tun: Mehr als die Hälfte "unserer" Dschihadisten sind Tschetschenen. Deren Radikalisierung hat mehr mit dem Krieg in der alten und der Clan-artigen Parallelwelt in der neuen Heimat Österreich zu tun. Syrien-Pläne schmieden diese Tschetschenen, die vom Koran oft nur Jungfrauen-Suren kennen, eher in Parks oder Schulhöfen.

Das "Paradies" in Syrien

Trotzdem geraten 573.000 Muslime in Generalverdacht, ihre Religion sei mitverantwortlich am Horror des "Islamischen Staates".

Diesen Namen hat sich die Terrororganisation selbst gegeben und alle Journalisten und Politiker übernehmen ihn. Das ist grundfalsch - auch in dieser Zeitung. Denn mit dem Leben eines Großteils der 1,5 Milliarden Muslime von Indonesien bis Marokko haben die IS-Mörderbanden nichts zu tun. Die Fatwa von 120 Islam-Gelehrten gegen "IS" belegt deren religiösen Analphabetismus. Würden wir täglich über das "Paradies" berichten, wenn sich "IS" so genannt hätte? Machen wir Schluss damit. Denn dadurch zerrinnt alles, was mit "Islam" zu tun hat (oder eben nicht) zu einem verdächtigen Amalgam. Darin brodeln Berichte über Bombenpläne eines 14-jährigen Möchtegern-Dschihadisten aus St. Pölten neben Berichten über die Reform des Islamgesetzes. Fertig ist die tägliche Islam-"Themenstrecke".

Besonders grobschlächtig agiert der Boulevard. "Muslimische Jugend immer radikaler", heißt es etwa in "Österreich". Wenn Sie nun schlucken und sich schützend an den Hals greifen: Es ging um die Proteste der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ), die mit dem Entwurf des Islamgesetzes gar nicht einverstanden ist. "Österreich" belegt die Aussage mit irgendeinem Posting von irgendeinem Jugendlichen. In der "Krone" dienen Verschwörungstheoretiker als Zeugen für Missstände im Islam. In "Heute" werden Politiker und Imame der "Hetze" geziehen. Selbst wenn der Hintergrund der Gaza-Konflikt ist, denkt man an IS. Islam? Alles Radikale, alles Islamisten.

Drückt die Stopptaste

In dieser Dauererregtheit ist eine besonnene Debatte über die Reform des Islamgesetzes schlicht unmöglich. Deswegen, liebe Regierung, drück bitte die Stopptaste. Es ist völlig egal, ob das Gesetz 2015, 2018 oder 2020 kommt. Denn dieses Gesetz ist kein normales Gesetz, es ist eine historische Errungenschaft, ein Symbol für das Zusammenleben mit den Muslimen seit der Annexion Bosniens durch die Habsburger.

Praktiken wie das Schächten oder die Seelsorge werden damit upgedated. Wann das passiert, ist egal. Nicht egal ist die Ablehnung des Gesetzes durch die Mehrheit der Muslime, durch Verfassungsrechtler, die evangelische Kirche bis hin zu den Buddhisten. Sie alle orten eine Ungleichbehandlung des Islam im Vergleich zu anderen Religionen. Denn einzig für den Islam wird explizit festgehalten, dass sich Muslime an die Gesetze zu halten haben oder die Finanzierung von Moscheevereinen aus dem Ausland künftig verboten ist. Für viele, derzeit besonders sensible Muslime bleibt eine Botschaft über: "Generalverdacht". Und wenn ÖVP-Klubobmann Reinhard Lopatka das Islamgesetz im Parlament als "entsprechende Antwort auf den Islamismus" bezeichnet, ist der Eindruck nicht unberechtigt, dass die Politik die Reform nicht abgekoppelt vom "IS"-Wahnsinn entwarf.

Am Freitag endete die Begutachtungsfrist des Gesetzes. Der zuständige Kultus-Minister Josef Ostermayer (SPÖ) und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) werden den einen oder anderen Punkt abschwächen, das Gesetz dann aber gegen Widerstände durchboxen. Das entspricht dem Wunsch besorgter Bürger, die eine härtere Hand gegenüber Missständen im Islam wünschen.

Jahrzehnte weggesehen

Es gibt diese Missstände bei Muslimen. Sie haben aber nichts mit dem aktuellen Alarmismus zu tun. Sie bestehen seit Jahrzehnten. Sie erschweren das Zusammenleben in Österreich. Die Rede ist von Jugendlichen, die österreichische Frauen als "Bitch" ansehen, weil sie bei 40 Grad Haut zeigen; jungen Frauen, deren Väter und Brüder über ihren sexuellen Umgang und beruflichen Werdegang entscheiden; Schulen, in denen kein Musikunterricht stattfinden darf. Das ist schlicht unvereinbar mit unserer Kultur.

Diesen "Generalverdacht", gegen solche Tendenzen zu wenig unternommen zu haben, müssen sich österreichische Muslime und ihre Repräsentanten gefallen lassen. Und wenn sich Türken im Unterschied zu Bosniern oder Osteuropäern schwerer mit der Integration tun und bei Deutsch auffällig nachhinken, haben auch die muslimischen Vereine versagt, weil sie auch Sozial- und Kulturvereine sind. Wenn die Imame, die in Moscheen des größten türkischen Dachverbands Atib predigen, direkt aus der Türkei bezahlt werden, dann kommt der Generalverdacht fast automatisch, dass türkische vor österreichischen Werten zählen. Wenn der Atib-Chef auf die Frage der "Wiener Zeitung", ob er ohne Auslandsfinanzierung auskommt, sagt: "Kein Kommentar", und das nur auf Türkisch; wenn der Chef der zweitmächtigsten Islamischen Föderation zum geplanten Bau der Imam-Schule sagt: "Kein Kommentar", und das nur auf Türkisch; wenn beide anschließend dem türkischen Fernsehen lange Interviews geben, dann ist das befremdlich und nicht integrativ.

Ebenso befremdlich ist es, wie überrascht Politiker jetzt tun. Denn weder SPÖ noch ÖVP hatten ein Problem, dass der Islamische Friedhof, die größte Moschee aus dem Fundi-Staat Saudi-Arabien oder die Atib-Imame aus der Türkei finanziert werden. Die Empörten holten sogar ein Saudi-Zentrum aktiv nach Wien. Probleme haben sie totgeschwiegen, aus Angst, die FPÖ profitiere davon. Bester Beleg fürs ignorante Wegschauen: die vom Staat finanzierte Schule mit Musikverbot.

Mehrheit ist konservativ

Im aktuellen Alarmismus greift die Regierung nun hektisch zum falschen Werkzeug: dem Islamgesetz. Das sollte auf unbestimmt verschoben und im Konsens mit den Muslimen verabschiedet werden. Parallel dazu sollten SPÖ und ÖVP Missstände noch deutlicher formulieren und Lösungen noch vehementer einfordern und kontrollieren. Erster Adressat können aber nur die Islam-Vereine sein. Denn die Mehrheit der heimischen Muslime ist durch ihre anatolischen Wurzeln nun einmal konservativ geprägt und vertraut auf diese Anker ihrer Identität. Sie spielen außerdem eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Radikalisierung von schwarzen Schafen. Schon allein deswegen brauchen wir den Islam.

Den Vereinen stattdessen nun ein Islamgesetz reinzuwürgen, das sie rundum ablehnen, stellt die Politik unter Generalverdacht, Integrationspolitik noch immer nicht ernst zu nehmen.