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Wir müssen reden

Von Werner Reisinger

Politik

Nachfragen unerwünscht: Von Politikern substanzielle Informationen zu erhalten, wird für Journalisten immer schwieriger. | Die Person ist die Botschaft, Inszenierung sticht inhaltliche Auseinandersetzung. Ein journalistischer Neujahrswunsch.


Wien. Es ist eine etwas bizarr anmutende Szene: Kaum ist der Termin zu Ende und, nach dem obligatorischen Shake Hands, das Blitzlichtgewitter halbwegs verebbt, schreitet der zukünftige, jüngste Kanzler der Welt los, durch die Reihen der umstehenden Journalisten. Er beginnt, einzelne von ihnen per Handschlag zu begrüßen. Ein paar persönliche Worte, ein Lächeln, ein paar Gesten, dann zieht Sebastian Kurz weiter zum Nächsten. Einige nutzen die Gelegenheit, um mit Fragen nachzuhaken, andere sind sichtlich überrascht. Verlegen erwidern sie das Lächeln des Kanzlers. Die Kameraleute und Fotografen folgen der Szene unaufhörlich. Fast gewinnt man den Eindruck, das kurze Bad des Kanzlers in der Menge der Berichterstatter sei eigens für sie in Szene gesetzt.

Wer Kurz kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Hinter Auftritten wie jenem am 16. Dezember am Wiener Kahlenberg, bei dem das schwarzblaue Regierungsprogramm präsentiert wurde, steckt mehr als nur das Kalkül, den Kameras perfekte Bilder für die Abendnachrichten oder die Seite eins zu liefern. Nichts ist dem jungen Mann wichtiger als der persönlich hinterlassene Eindruck bei seinem vis-à-vis. Politische Mitstreiter kommen ins Schwärmen, wenn sie über das Charisma und die Umgangsformen des ÖVP-Obmanns sprechen. Immer höflich sei er, seine Art einfach gewinnend. Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat er dessen Worten nach beeindruckt "wie kein anderer zuvor". Als fast schon übertrieben freundlich beschreiben ihn Auslandskorrespondenten.

Wer den neuen Kanzler schon länger journalistisch begleitet, weiß aber auch: Sebastian Kurz kommt in den seltensten Fällen eine spontane Reaktion, eine nicht durchdachte Äußerung über die Lippen. Selbst bei hartnäckigen Nachfragen hält er sich streng an sein vorbereitetes Wording. Zwischentöne, differenziertes Eingehen auf Fragen - all das könnte ja dem einen, zentralen Ziel im Weg stehen: die reine Botschaft und nur die Botschaft zu platzieren.

Die von Schwarz-Blau gefeierte Losung vom "neuen Stil" - erstmals ausgerufen hatten diesen 2013 Werner Faymann und Michael Spindelegger, wir feiern also das fünfjährige Jubiläum - bezieht sich vor allem auf innerkoalitionäre Bekundungen von gegenseitiger Sympathie und Wertschätzung. Der Satz "Das Klima ist ausgezeichnet" durfte bei keinem Pressestatement während den Koalitionsverhandlungen fehlen. Konkrete Verhandlungsinhalte wurden der Öffentlichkeit hingegen nur häppchenweise präsentiert. Meist waren es Ankündigungen und vage Überschriften. Nach einigen Fragen bei einem dieser Termine wollte Elisabeth Köstinger die Konferenz bereits beenden, doch die lästigen Nachfragen wollten nicht abreißen. Seufzend musste die Kurz-Vertraute und jetzige Landwirtschaftsministerin erneut antworten.

Selbst zu unverfänglichen Themen ist es bisweilen schwierig, auch nur einen auskunftsbefugten Pressereferenten der "Neuen ÖVP" ans Telefon zu bekommen. Rückrufe werden oft versprochen, unterbleiben aber meist.

Gegen Null gehend aber war die Auskunftsbereitschaft bei den von Sebastian Kurz im Wahlkampf aufwendig präsentierten Quereinsteigern. Da wäre zum einen der Mathematiker Rudolf Taschner. Noch während dessen Vorstellung im ÖVP-Livestream übertragen wurde, kursierte in den diversen sozialen Netzwerken ein Gastbeitrag Taschners in der "Presse", in dem er den Klimawandel anzweifelte und diesen als "profitables Geschäft" darstellte. Ob der neue ÖVP-Wissenschaftssprecher dies auch heute noch so sehe? Herr Taschner sei "direkt nach der Pressekonferenz auf Urlaub verreist und nicht zu sprechen", wurde der "Wiener Zeitung" ausgerichtet.

Wochenlang bemühte sich der "Standard" um ein Interview mit der Ex-Stabhochspringerin Kira Grünberg, die nach einem schweren Unfall im Rollstuhl sitzt und nun ÖVP-Behindertensprecherin im Parlament ist. Während Grünberg durch die Boulevardpresse und TV-Talks tingelte, warteten die Innenpolitikjournalisten vergeblich. Schließlich wurde seitens des ÖVP-Presseteams doch Bereitschaft für ein Interview signalisiert - unter der Bedingung, dass man es vorab zur Autorisierung erhalte und die ÖVP letztlich entscheiden könne, ob es gedruckt wird, oder nicht. Der "Standard" lehnte ab. Fritz Hausjell, (SPÖ-naher) Professor für Publizistik an der Universität Wien, beklagte in einem Gastbeitrag in der "Zeit" das "einer Demokratie unwürdige Schauspiel", und vor allem, dass betroffene Medien dieses nur selten öffentlich gemacht hätten.

Kurz‘ langjähriger persönlicher Pressesprecher, so meinen böse Zungen, hätte vor allem einen Auftrag gehabt: das junge Talent im Außen- und Integrationsministerium medial unbeschadet dorthin zu bringen, wo es nun angekommen ist - an der Spitze der Machthierarchie sowohl in der ÖVP, als auch im Kanzleramt. Dass Gerüchte wie dieses nicht bar jeder Grundlage sind, zeigt auch eine Episode, die der Autor dieser Zeilen vor einigen Jahren als Redakteur einer ORF-Diskussionssendung erlebte. Kurz sei bereit, zu kommen, sagte dessen Pressesprecher anlässlich einer Einladung am Telefon. Die Zusage aber sei abhängig von den Diskussionsteilnehmern: mit einer ebenfalls geladenen Journalistin mit Migrationshintergrund werde man sicher nicht diskutieren. Der verantwortliche Chefredakteur zog die Reißleine, eine Einladung kam damals nicht zustande.

Der damalige Integrationsminister ist heute Regierungschef, noch vor dem ersten Ministerrat der neuen Legislaturperiode bestellte er den erfahrenen Diplomaten Peter Launsky-Tieffenthal zum Regierungssprecher. Das Presseforum beim ersten Ministertreffen sorgte vor zwei Wochen bei Innenpolitikredakteuren für Kopfschütteln: Die FPÖ-Minister marschierten wortlos hinter der Absperrung an den Journalisten vorbei, die Ankündigung, künftig würde die mediale Kommunikation im Regelfall über Launsky-Tieffenthal laufen, veranlasste die Vereinigung der Parlamentsredakteure zu einer Protestaussendung. "Regierungsmitglieder sollten über ihre Entscheidungen selbst Rede und Antwort stehen und nicht einen weisungsgebundenen Beamten vorschieben, der selbst nichts zu entscheiden und zu verantworten hat", heißt es darin. Dabei ist die eindimensionale Kommunikationstendenz keineswegs nur Schwarzblau vorzuwerfen. Kern und Mitterlehner verließen sich gern auf die Präsentation der Regierungskoordinatoren. "Ich brauche zum Regieren nur die Krone und den ORF", lautet ein Sager, der Kerns Vorgänger Faymann zugeschrieben wird.

Politologische Analysten sind sich einig: werwie kommuniziert wird stetig wichtiger, als was kommuniziert wird. Abseits von (rechts)populistischen Parteien ist immer häufiger der Spitzenkandidat das wichtigste Wahlmotiv. Die Person zählt, immer weniger der Inhalt und die Bereitschaft, mit der Öffentlichkeit einen offenen Dialog zu führen - bei dem man auch einmal "verlieren" kann.

Ist nur mehr der Mann die Message, verkommt politische Kommunikation zum Selbstzweck. Denn Journalisten sind im besten Falle die Mittler im - in allen Fraktionen - vielbeschworenen Dialog mit dem vermeintlich eigentlichen großen Player einer Demokratie, den Bürgern und Wählern. Die postdemokratische Fokussierung auf das Gesicht als Botschaft, das stereotype Wiederkauen tausendmal erprobter und getesteter Botschaften und Wordings schadet nicht nur der demokratischen Öffentlichkeit, sondern letztlich auch den Politikern selbst. Denn sie tragen nicht nur die Verantwortung für das Verkaufen der eigenen Marke und ihren persönlichen Erfolg, sondern auch für nichts weniger als für die Zukunft dieses Landes und seiner Bürger. Und deshalb haben diese ein Recht auf einen Dialog auf Augenhöhe.