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Entziehung statt Erziehung

Von Simon Rosner

Politik

Die Politik diskutiert über Integrationsunwilligkeit. Doch was heißt das? Laut Lehrergewerkschaft verweigern sich immer mehr Eltern der Ausbildung ihrer Kinder. Ein Problem dürfte aber auch gegenseitiges Misstrauen sein.


Wien. Ja, nein, ja, nein. Es ist ein sehr uneinheitliches Bild, das bei einem Rundruf bei Schulen, deren Lehrern und Direktorinnen herauskommt. Gibt es jene Probleme, von denen Politiker derzeit sprechen, wenn sie über "Integrationsunwilligkeit" debattieren?

Vielleicht ist der Begriff missverständlich oder auch zu allgemein, um alles Mögliche hineinzuinterpretieren. Paul Kimberger, oberster Gewerkschafter der Pflichtschullehrer, definiert es anders: als Verweigerung. "Richtig ist, dass es Eltern gibt, die jegliche Zusammenarbeit mit der Schule verweigern. Und das betrifft auch österreichische Eltern", sagt Kimberger. "Schule ist eine Ausbildungseinrichtung, manche meinen aber, es sei eine Betreuungseinrichtung. Doch das wird so nicht funktionieren, deshalb sollte man Eltern dazu zwingen, sich an der Ausbildungsbiografie ihrer Kinder zu beteiligen", fordert der Gewerkschafter. Und das heißt auch: notfalls mit Strafen. "Eltern sind nicht einfach nur erziehungsberechtigt, sie sind erziehungsverpflichtet", sagt er.

Kimberger ortet zwei sich verstärkende, aber divergierende Tendenzen. Einerseits steige die Zahl jener Eltern, die sich aus verschiedenen Gründen der Schule und den Lehrern verweigern und ihr Kind in dieser Hinsicht vernachlässigen, andererseits werden auch die "Superpädagogen" immer mehr, wie Kimberger jene Eltern bezeichnet, die sich permanent in die Schulausbildung einschalten. "Früher haben die Eltern die Lehrer unterstützt, heute sind viele eher Anwälte ihrer Kinder und verhalten sich der Schule gegenüber entsprechend. Auch das führt zu Problemen."

Strafen eine Option

Die übertriebene Fürsorge kennt Christa Maderbacher auch, allerdings nur vom Hörensagen. Maderbacher ist Direktorin der Volksschule in der Leystraße in Wien-Brigittenau, einer Schule mit vielen Kindern aus bildungsfernen Schichten und damit auch hohem Migrantenanteil. "Früher war die Verweigerung nicht so arg, seit zwei Jahren ist es massiv", sagt Maderbacher. Sie berichtet vom täglichen Nachtelefonieren, wo denn die Kinder bleiben, über Vorladungen und Elterngespräche zu den Fehlstunden der Kinder. In der Volksschule geht es nicht ums Schwänzen, sondern um das wissentliche Rausnehmen der Kinder, zum Beispiel an jenen Tagen, an denen der Turnunterricht stattfindet.

Maderbacher sieht die gegenwärtige Gesetzgebung als zahnlos an, vor allem, wenn die Eltern das Fehlen decken würden. Verwaltungsstrafen hält sie für sinnvoll, wenn sich die Eltern dem Gespräch mit der Schule verweigern würden. "Alles, was mit Geld verbunden ist, zieht", sagt sie. Im Stadtschulrat befürchtet man eher, dass sich die Eltern noch mehr zurückziehen könnten.

Wenig Wissen über Schule

Was hinter diesen Entwicklungen steckt, ist kaum auf einen Punkt zu bringen, zumindest der Rundruf der "Wiener Zeitung" insinuiert, dass die Probleme in Volksschulen größer sind als später. "In manchen Elternhäusern gibt es einfach wenig Wissen, wie Schule funktioniert", sagt Hans Karner, der an einer HAK in Wien-Margareten unterrichtet, aber eben ältere Kinder. "Ein anderer Grund ist sicher die Sprache, wenn man die nicht beherrscht, ist das auch mit Scham verbunden." Auch das kann ein Grund sein, wenn die Mitarbeit der Eltern, auf die Schulen angewiesen sind, ausbleibt.

Es gibt aber auch Probleme, die von der Schulverwaltung, und damit von der Politik, zu lösen sind. Darunter fällt etwa das Angebot von Halal-Essen in jenen Schulen, die Ganztagsformen anbieten.

Für den Wiener Landesschulinspektor Wolfgang Gröpel stehen vertrauensbildende Maßnahmen im Vordergrund. "Einige Eltern haben richtig Angst vor der Schule, genauso wie vor anderen Institutionen", betont er. Hinter dem Symptom der Verweigerung steckt nicht immer deren Absicht, mit diversen Angeboten müsse man daher Vertrauen aufbauen. Lehrer Karner sagt: "Dass sich Eltern verweigern, erlebe ich nicht. Ich bin aber auch sehr flexibel, was Termine betrifft." Um die Sprechstunde um elf am Vormittag können viele nicht kommen.

Fixe Sozialarbeiter

In der Volksschule Leystraße hat Maderbacher vor drei Jahren Elterncafés eingerichtet. "Zwei Jahre hat es schleppend funktioniert, jetzt wird die Gruppe der Mütter immer größer". Es sind oft kleine, aber sinnvolle Maßnahmen, die Wirkung zeigen. Verstärkte Sozialarbeit wäre für Maderbacher ein großer Wunsch. "Jetzt reden wir endlich einmal darüber."

In der Neuen Mittelschule Karl Morre in Graz ist eine ständige Betreuung der Kinder durch Sozialarbeiter seit Jahren Realität. "Sie bringen Ruhe hinein, psychische Belastungen, die ein Kind ertragen muss, werden so aufgefangen", sagt Direktorin Monika Ullah. In ihrer Schule gebe es keine Probleme mit sich verweigernden Eltern, sie habe aber auch davon gehört. Bei älteren, pubertierenden Kindern kommen dafür andere Schwierigkeiten dazu, darunter das neue Phänomen von Radikalisierung.

"Damit haben wir noch wenig Erfahrung", sagt Gewerkschafter Kimberger, der sich jedenfalls mehr Sozialarbeit in den Schulen wünscht. Das ist jedoch in erster Linie eine Frage der Kosten, und bekanntlich geht es bei der budgetären Lage derzeit eher in Richtung Kürzungen. Das beklagt auch Direktorin Maderbacher, kurz bevor es an ihrer Türe klopft. Sie muss gleich ein Elterngespräch führen. Das Thema dabei ist ihr wohlvertraut: Fehlstunden eines Kindes.