Zum Hauptinhalt springen

Ab unter die Glücksdusche

Von Bettina Figl

Politik

In einer Volksschule im 22. Bezirk wird "Glück" unterrichtet - doch es geht um mehr als darum, Kinder zum Lachen zu bringen.


Wien. Mir gefällt dein lustiges Grinsen", "Ich mag, dass du so schöne Haare hast" und "Es macht mich glücklich, dass du in unserer Klasse bist": 20 Kinder sitzen im Kreis, und machen Dominik - dem "Star der Woche" - ein Kompliment nach dem anderen. Wir befinden uns in der Volksschule Löwenschule in der Oberdorfstraße im 22. Bezirk. In der Mehrstufen-Integrationsklasse steht heute "Glück" am Stundenplan. Die 6- bis 11-Jährigen sitzen im Sesselkreis in einem kunterbunten, haptisch gestalteten Klassenzimmer. Von den Wänden hängen Äste und ein Hirschgeweih, in einem Glas strecken Schnecken ihre Fühler aus - heuer dreht sich alles um das Thema Wald.

"Wertschätzung ohne Leistung"

Naja, nicht ganz. Glück hat seit diesem Schuljahr auch einen großen Stellenwert: Jede Woche darf ein anderes Kind die oben beschriebene "Glücksdusche" genießen. Darüber, wer der oder die Glückliche ist, entscheidet das Los. "Es geht darum, dass die Kinder Wertschätzung erfahren, ohne eine Leistung dafür erbringen zu müssen", erklärt Integrationslehrerin Johanna Schwarzmann. Sie hat das Glücksfach an die Schule geholt, entsprechende Literatur (siehe Info) hat sie dazu inspiriert. "Wir haben eine Leistungskultur und keine Kultur der Wertschätzung", sagt sie, "im Computerzeitalter wird immer weniger über Gefühle und Wahrnehmung gesprochen." Sagt man einander, was man an dem anderen mag, lernt man, bis dato unbewusste Gefühle wahrzunehmen, so die Pädagogin.

Der "Star der Woche" wird aber nicht nur mit positivem Feedback seiner Mitschüler überschüttet, er genießt auch besondere Privilegien: So darf er zum Beispiel eine Woche lang die Pausenglocke läuten und begehrte Dienste in der Klasse übernehmen, Erster beim Anstellen sein "und einfach genießen, im Mittelpunkt zu stehen. Besonders für die Integrationskinder ist das wichtig. Wenn sie immer nur sehen, was andere schaffen, und sie selbst gerade einmal die Farben lernen, kann ihr Selbstbewusstsein darunter leiden", sagt Schwarzmann. Sie schleicht aus dem Klassenzimmer und entschuldigt sich im Flüsterton, damit es die Kinder nicht hören: "Ich muss mich jetzt verkleiden." Kurz drauf kommt die Lehrerin mit roter Nase, übergroßen Clownschuhen und mit Riesenbrille hereingestolpert, die Kinder zerkugeln sich vor Lachen. Nach der Einlage wird besprochen, was lustig ist und worin der Unterschied zwischen Lachen und Auslachen besteht. "Auslachen ist so schrecklich", sagt ein Kind mit ernster Miene.

Inzwischen wird "Glück" in weit über 100 Schulen im deutschsprachigen Raum unterrichtet. Die Idee dazu kommt aus Deutschland: Ernst Fritz-Schubert, Direktor eines Oberstufengymnasiums in Heidelberg, hat das Glücksfach 2007 ins Leben gerufen, dort kann man darin sogar maturieren. In seinen Büchern schreibt Fritz-Schubert, die Schule sollte zu einem "Ort der Geborgenheit" werden, an dem Glück als Verbindung von Lebenskompetenz und Lebensfreude vermittelt wird. Doch was lernen Jugendliche in diesem Fach? Die Schüler sagen: "Das, was wir in Ethik erklärt bekommen, üben wir in Glück".

Doch Ethik ist in Österreich kein Pflichtfach, und auch Glück wird entweder als Freifach oder auf Eigeninitiative der Lehrer im Unterricht implementiert. Seit Herbst 2014 wird in Österreich eine Weiterbildung für Lehrer auf privater Basis angeboten, sie wurde gemeinsam mit dem Fritz-Schubert-Institut entwickelt. Derzeit nehmen daran 13 Pädagogen aus allen Schultypen teil, erklärt Margot Maaß von der Initiative. Die Lehrer sollen lernen, wie sie die Lebensfreude und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler fördern können. Bei dem 18-tägigen Lehrgang - Kostenpunkt 2400 Euro - probieren die Pädagogen die Methoden selbst aus, lernen ihren Körper wahrzunehmen und Ziele zu definieren. Die Methoden können in einem (Wahl-)Fach oder bei Projekttagen, und nicht nur im "Glücksfach", sondern auch in anderen Unterrichtsgegenständen oder fächerübergreifend eingesetzt werden.

Steiermark als Glücks-Pionier

An Österreichs Schulen haben vor allem steirische Schulen "Glück" als Lehrinhalt schon seit einigen Jahren für sich entdeckt: Seit 2009 wird das Fach angeboten, über Seminare und Infoabende werden auch die Eltern einbezogen. Auch in Wien wird "Glück" an einigen Schulen unterrichtet, und sogar in Wiener Kindergärten wird bereits "Glückskompetenz" vermittelt.

Dass Lachen glücklich macht, wurde an diesem Vormittag in der Löwenschule bereits besprochen, daher scheint es nur konsequent, dass einmal pro Woche Zirkusturnen stattfindet, das durch Workshops vom "Zirkus federleicht" begleitet wird. Gemeinsam wird für eine Zirkusvorstellung am Ende des Jahres trainiert, und während die Kinder zu Schulanfang artistisch noch kaum versiert waren, können sie inzwischen auf Stelzen gehen, Einradfahren und jonglieren. "Sie lernen dann: Wenn ich an einer Sache dranbleibe, macht mich das glücklich", sagt Schwarzmann. Wer die Montessori-Mehrstufenklasse in der Löwenschule besucht, darf sich jedenfalls auch aufgrund der Betreuungsverhältnisse glücklich schätzen: Auf 20 Kinder, darunter fünf mit sonderpädagogischem Förderbedarf, kommen drei Lehrerinnen: Eine Klassenlehrerin, eine Integrationslehrerin, elf Stunden pro Woche steht eine Teamlehrerin zur Seite.

In einer "normalen" Volksschulklasse soll eine Lehrerin 25 Kinder "fördern und fordern", wie es oft heißt. Vom omnipräsenten Leistungsdruck ist in der Löwenschule nichts zu spüren: Miriam sitzt am Teppich und sortiert Maiskörner und getrocknete Erbsen, auch Paul sitzt am Boden, vor ihm ausgebreitet liegen Zahlen, die er mit der Integrationslehrerin durchgeht: 45, 46, 47. . . vor einem anderen Kind liegen Kärtchen mit Nomen und die Artikel "der", "die", "das", es gilt sie aneinanderzureihen: "Wo ist das ‚das‘? Es heißt doch ‚das Baby‘?" Fast immer arbeiten die Kinder in dieser Art von Freiarbeit, ihren Wochen- oder Tagesplan arbeiten sie selbstständig ab. Frontalunterricht kennen sie nicht, wann welche Aufgabe erledigt wird, entscheiden sie selbst. Einmal pro Woche geht es um Konfliktmanagement, in der Klassenkonferenz werden Probleme besprochen, geleitet wird diese Diskussion von zwei Kindern aus der 3. und 4. Schulstufe.

"Kurse für alle Altersgruppen"

In der Glücksstunde konzentriert man sich auf die positiven Aspekte: "Ich bin stolz darauf, dass ich die 7er-Reihe kann", "Ich bin stolz, dass ich mein Knüpfband fertig habe", "Ich bin stolz, dass das ganze halbe Schuljahr vorbei ist": Ein Pokal wird herumgereicht und jedes Kind sagt, was es geschafft hat. Dabei geht es zwar um Leistung - aber diese wird von den Kindern selbst definiert. "Besonders die Hochbegabten nehmen alles als selbstverständlich hin. Ihnen fällt oft gar nicht ein, worauf sie stolz sein können", so Schwarzmann. Mithilfe einer der drei Lehrerinnen findet sich aber immer etwas, auf das sie stolz sind. "Es geht darum, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, der Kinder zu stärken", so die Pädagogin. Nur so können die Kinder zu zufriedenen Menschen heranwachsen, die ihren Selbstwert nicht an perfektionistischen Ansprüchen an sich selbst messen.

Aber nicht alle gewinnen dem Glücksfach nur Positives ab. Agnieszka Czejkowska, Professorin für Lehrerbildung an der Karl-Franzens-Universität Graz, bezeichnet das Glücksfach als "pädagogisches Kitschthema": "Wir leben in einer Gesellschaft, die so konkurrenzorientiert ist wie nie zuvor. In den Schulen tun wir aber so, als könnte das Gemeinwesen gerettet werden, wenn wir einander liebevoll und respektvoll begegnen." Man dürfe sich nicht wundern, wenn Schule orientierungslose Jugendliche entlässt, sagt sie. "Glückvermittlung ist zwar prinzipiell begrüßenswert, aber solche Kurse bräuchten wir dann bitte für alle Altersgruppen, auch für Erwachsene."

Literatur:
"Der magische Augenblick",
"Dem Glück auf die Sprünge helfen" und "Glück kann man lernen" von Ernst Fritz-Schubert, "Glücksporfolio" von Heide-Marie Smolka
www.fritz-schubert-institut.de
www.glueckstraining.at
Weiterbildung in Österreich: www.diesinnstifter.at