Zum Hauptinhalt springen

Zeitenwende in der Migration

Von Simon Rosner

Politik
Im Jahr 2014 stieg vor allem die Zuwanderung aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn, zumindest offiziell.
© WZ

Erstmals mehr ausländische EU-Bürger in Österreich gemeldet als Personen aus Drittländern.


Wien. Vielleicht wird das Jahr 2014 als Wendepunkt in die Migrationsforschung eingehen. Denn erstmals haben bei der ausländischen Bevölkerung EU-Bürger zahlenmäßig Personen aus Drittstaaten überholt. Es sind nur vorläufige Zahlen, die von der Statistik Austria publiziert wurden, und der Abstand ist sehr knapp: 567.218 ausländischen EU-Bürgern stehen 566.316 andere Staatsangehörige gegenüber. Es ist dennoch eine bemerkenswerte Zäsur in der Migrationshistorie.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die ausländische EU-Bevölkerung in Österreich (die danach beigetretenen Länder bereits mitgerechnet) beinahe verdoppelt, während heute weniger türkische Staatsbürger in Österreich leben als noch im Jahr 2005. Mit Einbürgerungen hat dies nur bedingt zu tun, so erhielten im Vorjahr nur etwa 885 Türken die österreichische Staatsbürgerschaft. Statistisch fällt dies daher kaum ins Gewicht.

Der Zuzug aus dem EU-Ausland, der mittlerweile hauptverantwortlich dafür ist, dass das Land jedes Jahr wächst, ist dabei recht uneinheitlich. Zwar gilt allgemein, dass die Migration aus jenen Staaten eine recht gut qualifizierte ist, es ist jedoch wichtig, zu differenzieren.

Qualifizierte Zuwanderung

Es zeigt sich: Je später der EU-Beitritt, desto geringer qualifiziert ist die Erwerbstätigkeit. So siedeln sich aus den "alten" EU-Staaten vor allem Hochqualifizierte an (55 Prozent), Zuwanderer aus den osteuropäischen Beitrittsländern von 2004 sind vor allem in mittelqualifizierten Jobs beschäftigt (56,6 Prozent). Schlechter sieht es dagegen für Rumänen und Bulgaren aus, für die sich vor einem Jahr der Arbeitsmarkt geöffnet hat. Zwar überwiegen auch bei ihnen die qualifizierten Tätigkeiten, allerdings sind rund 30 Prozent in niedrigqualifizierten Jobs tätig, das sind sogar noch mehr als bei Drittstaatsangehörigen.

"Verdrängungsprozesse gibt es am ehesten zwischen alteingesessenen Ausländern und neu zugewanderten", sagt Josef Huber, der sich beim Wirtschaftsforschungsinstitut mit Migration beschäftigt. Ein Beispiel dafür ist die Tourismusbranche. Als sich 2011 der Arbeitsmarkt für Ungarn und Slowaken öffnete, drängten viele von ihnen in die Gastwirtschaft, die bereits davor stark auf ausländische Arbeitnehmer setzte.

Und hier dürfte es auch eine weitere Dynamisierung geben, denn in keiner anderen Sparte arbeiten mittlerweile so viele Bulgaren und Rumänen wie in der Beherbergung und der Gastronomie. Seit einem Jahr gilt auch für diese beiden Beitrittsländer der unbeschränkte Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt.

Legal seit einem Jahr

Die Auswirkung lässt sich jedoch nur mit Vorsicht aus der Bevölkerungsstatistik herauslesen. Offiziell fällt der Anstieg sehr deutlich aus: Am 1. Jänner waren aus diesen zwei Ländern 16.351 Personen mehr gemeldet als am Stichtag im Jahr davor, das entspricht einem Plus von 21 Prozent. Es ist allerdings anzunehmen, dass ein Großteil schon davor in Österreich gearbeitet hat, aber entweder illegal oder selbständig, denn das war vor 2014 eine Option. Auch Ökonom Huber vermutet, dass der sehr deutliche Anstieg vor allem einer Legalisierungswelle zuzuschreiben ist.

Ungebrochen stark ist der Zuzug aus Ungarn. Zu Jahresbeginn waren 54.573 Ungarn in Österreich gemeldet, inklusive der Pendler arbeiten laut Wifo hierzulande rund 67.000 Personen aus Ungarn. Aus Tschechien ist es dagegen nur rund ein Sechstel. Der Soziologe Christoph Reinprecht, der sich im Rahmen eines Projekts mit der Arbeitsmobilität und dem Grenzverkehr aus den Nachbarstaaten im Osten beschäftigt, gibt es dafür zwei Gründe. Zum einen sei in Tschechien die wirtschaftliche Disparität geringer, weshalb es auch innerhalb des Landes weniger Mobilität gibt. Der Osten der Slowakei oder Ungarns ist dagegen sehr verarmt, weshalb viele in den Westen des Landes ziehen und dort für Druck auf dem Arbeitsmarkt sorgen.

"Es gibt aber auch eine historische Dimension", sagt Reinprecht. "Die Grenze zu Tschechien war immer schwieriger zu überwinden, mit Ungarn gibt es dagegen eine längere Tradition der Grenzmigration." Was die Tagespendler betrifft, die in der Bevölkerungsstatistik nicht ausgewiesen werden, ist es vor allem die besseren Verkehrsanbindungen. Der Weg aus Tschechien in die Agglomerationen ist nach wie vor sehr weit.

Wachstum durch Zuzug

Für das Sozialministerium hat der Zuzug aus der EU einen "wichtigen Beitrag zum Beschäftigungswachstum" geleistet. Tatsächlich ist die Liste der Mangelberufe zuletzt geschrumpft, da aus den Mitgliedstaaten im Osten und Südosten dringend benötigte Fachkräfte nach Österreich kamen.

Eine effizientere Allokation auf dem Arbeitsmarkt ist eine der Grundideen der Freizügigkeit in der EU. Doch so richtig mobil sind die Europäer nach Ansicht von Josef Huber auch trotz der Entwicklungen in Österreich nicht.

"Ich sehe noch nicht, dass massenhaft Spanier oder Griechen nach Österreich und Deutschland kommen", sagt er. Zwar steigt der Zuzug aus den zwei Krisenländern auch deutlich, jedoch bleibt er auf insgesamt niedrigem Niveau. Zu Jahresbeginn waren nur rund 5800 Spanier und 4900 Griechen in Österreich gemeldet. "In den USA, auf die die EU immer schielt, ist die Mobilität eine ganz andere", sagt Huber. "Aber dort gibt es eben auch nur eine Sprache."