"Wiener Zeitung":Sie haben zuletzt gemeint, die Lage am Arbeitsmarkt sei nicht schlecht, sondern sehr schlecht. Trauen Sie sich überhaupt noch eine Trendwende zu prognostizieren?

Johannes Kopf: Seriös kann man derzeit meines Erachtens nur zwei Jahre prognostizieren und in diesem Zeitraum sinkt die Arbeitslosigkeit nicht.

Welchen Beitrag kann die Steuerreform leisten?

Ich rechne mit zumindest 10.000 bis 20.000 neuen Jobs vor allem im Handel. Das dämpft den Anstieg.

Hieß es nicht, Österreich sei so gut durch die Krise gekommen? In Deutschland sinkt die Arbeitslosigkeit, hier ist Dauerkrise.

Wir sind gut durch den ersten Teil der Krise gekommen, im zweiten Teil stecken wir fest.

Was macht Deutschland besser?

Deutschland hat eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung und nach Österreich wandern deutlich mehr Arbeitskräfte zu. Außerdem wächst Deutschland stärker. Dort herrscht wieder eine "Es wird in die Hände gespuckt"-Aufbruchstimmung. Bei uns investieren die Firmen nicht, obwohl viele Geld dazu hätten. Das Problem ist die schlechte Stimmung.

Die Steuerreform soll die Stimmung auch bei den Firmen heben.

Das ist meinem Gefühl nach bisher nicht gelungen.

In dieser Hinsicht wäre eine Kostensenkung für Betriebe wichtig?

Ja, niedrigere Lohnnebenkosten sind besonders wirkungsvoll gegen Arbeitslosigkeit.

Das Megathema der Steuerreform ist der Kampf gegen Betrug. Nehmen wir’s zum Anlass und reden über Betrug beim Arbeitslosengeld.Ich habe mit engagierten AMS-Mitarbeitern gesprochen, wo sie die größten Probleme sehen. Platz 1: Arbeitslose verdienen in der Gastro und im Tourismus geringfügig dazu. In Wirklichkeit arbeiten sie Teilzeit oder Vollzeit und bekommen den Rest schwarz oben drauf.

Das kann vorkommen und ist im beidseitigen Interesse. Der Arbeitslose oder Student verliert seine Sozialbezüge nicht, Unternehmer ersparen sich Abgaben.

Sollte man das weiter tolerieren, weil der Wirt sonst eingeht oder das Schnitzel 20 Euro kostet?

Nein. Wenn ein Wirt nicht auf korrekte Weise überlebt, dann geht es eben leider nicht. Manche sagen, man soll geringfügige Arbeit für Arbeitslose verbieten auch deswegen, weil man kombiniert oft nicht weniger verdient als im regulären Job. Dann fehlt der Anreiz, Vollzeit zu arbeiten. Wir wollen aber andererseits, dass arbeitslose Personen den Fuß im Jobmarkt behalten. Und jage ich schwarze Schafe mit verpflichtenden Stechkarten, treffe ich auch ehrliche Wirte mit Bürokratie. Als Kontrolleur den ganzen Tag im Wirtshaus sitzen und schauen, wie lange der Kellner arbeitet, geht auch schwer. Sprich: Wir haben noch keine Lösung.

Hilft die geplante Registrierkasse?

Wo kein Schwarzgeld, können auch keine schwarzen Löhne ausgezahlt werden. So gesehen ja.

Platz 2: Einstellungszusage. Man erspart sich über Monate lästige Vorstellungsgespräche und dann ist es halt nichts geworden.

Die Zahl der nicht eingehaltenen Einstellungszusagen liegt unter fünf Prozent. Für mich ist es ein größeres Problem, wenn kurzfristige Auslastungsschwankungen von Betrieben in die Arbeitslosenversicherung ausgelagert werden und Mitarbeiter zum Beispiel für 14 Tage zum AMS geschickt werden. Ich kenne einen Wiener Steuerberater, der empfiehlt das offensiv.

Die Leute arbeiten ab dem Ski-Opening wochenlang durch, in der Flaute geht’s zum AMS und der Urlaub wird schwarz ausgezahlt. . .

Ich habe von solcher Praxis gehört.

Platz 3: Durch ausgedehnte, aber erschlichene Krankenstände wird der Arbeitslosenbezug verlängert.

Generell geht es bei uns sehr leicht, krank geschrieben zu werden. Viele kennen einen Arzt, wo man bloß anrufen muss. Der Patient ist eben auch Kunde.

Sollte man die Verlängerung des Arbeitslosengeldes durch Krankenstand beschränken?

Ich weiß es nicht, das kann bei Menschen mit schwerer Krankheit zu unbilligen Härten führen.

Platz 4: Ein Ausländer braucht nur einen Tag in Österreich gearbeitet zu haben, bezieht dann vier Monate Arbeitslosengeld aus dem Ausland und kann danach theoretisch auf ewig in der österreichischen Mindestsicherung sein.

Die Zahl ist überschaubar. Das geht nur für EU-Bürger, die im Heimatland auch wirklich ein Jahr gearbeitet haben und am Beispiel Ungarn wissen wir, dass ihre Arbeitslosenquote niedrig ist. Die wollen arbeiten.

Gibt es Sozialtourismus?

Ein großes Phänomen ist das nicht. Armut ist nicht mobil. So gut lebt man nicht mit 800 Euro.

Die Zahl der Arbeitslosen-Sperren geht zurück. AMS-Mitarbeiter sagen, Sperren tun sie sich wegen der langen Verfahren nicht mehr an. Vor allem, weil das Geld neuerdings - sobald gegen die Sperre berufen wird - ohnedies weiter ausbezahlt wird und ein Formalfehler genügt, das Verfahren zu verlieren.

Die Sanktionen sind wegen der komplizierten Verfahren und genügend williger Bewerber zurückgegangen. AMS-Mitarbeiter sagen sich: In der Zeit helf ich lieber drei willigen Kunden.

Man hört aber, dass die ohnedies nicht hohen Vermittlungsquoten nicht mehr erfüllt werden.

Teilweise stimmt das leider. Durch die gute Qualifikation ausländischer Mitbewerber schaffen wir es zunehmend schlechter, unsere Kunden zu vermitteln.