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Die Lehre in Zeiten des Jubilierens

Von Eva Stanzl

Politik

Exzellente Leistung bei suboptimalen Arbeitsbedingungen: Zwei Drittel des akademischen Personals an der Uni Wien haben nur befristete Verträge. Das schadet dem Karriereweg, den Studierenden und der Qualität.


Wien. Die Aktion verdeutlichte Klassenunterschiede: Während im Festsaal der Universität Wien Rektoren und Hochschulprofessoren in Talaren und Baretten den 650. Jahrestag der Alma Mater Rudolphina feierten, schenkte vor den Toren des Hauptgebäudes eine ansehnliche Menge an akademischem Personal Suppe aus. "Prekärsuppe" nannte die IG Externe LektorInnen und Freie WissenschaftlerInnen (IG elf) die Aktionsbrühe, als sie das Jubiläum am 12. März zum Anlass nahmen, um auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen: Würde man nur einen Teil des Budgets für die bis Oktober angesetzten Jubelveranstaltungen dafür einsetzen, befristete Uni-Anstellungen in unbefristete Posten umzuwandeln, wäre schon viel getan.

Doch die Praxis ist anders: "Selbst für hochqualifizierte Studienabgänger und Studienabgängerinnen wird nur eine äußerst beschränkte Anzahl an unbefristeten Stellen ausgeschrieben", sagt Anna Babka, assoziierte Professorin am Institut für Germanistik und Betriebsrätin der Universität Wien. Etwa 70 Prozent des akademischen Personals der mit insgesamt 10.000 Mitarbeitern und 93.000 Studierenden größten Hochschule im deutschsprachigen Raum arbeiten auf der Basis von befristeten Dienstverträgen. Was die Fluktuation erhöht, die Abwanderung heimischer Expertise ins Ausland zur Folge hat, letztlich der Lehre schadet, die Qualität mindert und Positionen in Uni-Rankings kostet.

Ein Jahr Zwangspause

Das System kann in groben Zügen so beschrieben werden: Ein junger Mensch schließt sein Studium mit einem Master ab und bekommt eine Stelle als Doktorand (Predoc). Doktoratsstellen sind für vier Jahre angesetzt, eine Postdoc-Stelle kann aber nicht angeschlossen werden, weil aufgrund der Kettenvertragsregelung nur sechs Jahre am Stück gearbeitet werden darf. Wer nicht "entfristet" wird, wie es im Fachjargon heißt, muss ein Jahr Zwangspause einlegen. Erst danach kann er - wenn er sein Doktorat abschließt, eine Stelle als Postdoc bekommt oder einen Drittmittelposten einwirbt - einen weiteren befristeten Vertrag unterzeichnen. "Wir schicken hochqualifizierte Leute, die wir ausgebildet haben, weg, statt alles zu tun, um sie zu behalten", sagt Babka.

Noch etwas weiter am Rand stehen rund 2700 Lektorinnen und Lektoren mit jeweils auf ein Semester befristeten Lehraufträgen. "Diese Hundertscharen von Lehrbeauftragten, die Jahr und Tag unterrichten und somit das System eigentlich aufrecht erhalten, sind in ohne Planungssicherheit in Kettenverträgen gefangen, mit denen sie oft ihre eigene Forschung finanzieren", so Babka.

Zwei Mal im Jahr endet der Dienstvertrag und wird die Sozialversicherung abgemeldet, und beides wird dann sogleich wieder erneuert und angemeldet. Das Prozedere ist eine Formalität. Dennoch wirkt die alljährlich vorgeschriebene Meldepflicht für Ausländer in immigrationspolitisch restriktiven angloamerikanischen Staaten im Vergleich dazu wie das Einlaufen im Heimathafen. Denn dort kann bleiben, wer eine Arbeitsgenehmigung hat. Externe Lektoren in Österreich können hingegen trotz Verträgen maximal 16 Semester bleiben, bevor sie die Lehrtätigkeit für ein Semester unterbrechen müssen.

Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode. In den 1980er Jahren wurde begonnen, einen größeren Anteil der Lehre über Lektoren abzudecken, weil diese Spezialwissen und Praxiserfahrung besteuern sollten. "Die Kettenverträge sollten ursprünglich den Arbeitnehmern dienen, indem sie die Unis zwingen, Experten nach einer Zeit fix anzustellen: Tun sie das nicht, verlieren sie den Lektor", erklärt die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Sigi Maurer. Vor dem Hintergrund schrumpfender Budgets, steigenden Studierendenzahlen und der Ausgliederung der Universitäten wurden aber immer mehr Arbeitskräfte befristet beschäftigt. Maurer räumt ein: "Für all jene, die von einem anderen Hauptjob leben, ist ein kleiner Lehrauftrag sogar eine gute Lösung, eben weil er nicht lange bindet. Wer aber von mehreren Lehraufträgen in Kettenverträgen leben muss, hat es unglaublich schwer."

Angesichts dessen, dass in der Privatwirtschaft nahezu alle Jobs nach einem Probemonat in unbefristete Verträge übergehen, wirkt die universitäre Personalpolitik fast verjährt. Möglicherweise wollen sich die Hochschulen damit aber auch vor zu hohen finanziellen Verpflichtungen und ausufernden Schutzbestimmungen im Öffentlichen Dienst schützen.

Bringt Unsicherheit Erfolg?

Einige Universitätsvertreter sind der Ansicht, dass ohne Mobilität, Flexibilität und die Fähigkeit, sich woanders zu behaupten, ein akademischer Stillstand droht. "Unsicherheit stachelt zu Höchstleistungen an" betitelte der "Standard" ein viel diskutiertes Interview mit der Vize-Rektorin der Universität Wien. Susanne Weigelin-Schwiedrzik nimmt darin den Standpunkt ein, dass ein gewisses Maß an beruflicher Unsicherheit auch ein "Motor" für Erfolg sein könne, denn "mit jeder Höchstleistung gewinnt man wiederum an Sicherheit dazu."

Für Anna Babka, deren Karriereweg sie über mehrere Jahre in befristete Drittmittelanstellungen im In- und Ausland führte, bedeutet berufliche Unsicherheit aber auch Verletzlichkeit. Sicherheit gebe nur das eigene Durchhaltevermögen, das einem eine gewisse Fähigkeit gebe, ein Leben am Existenzminimum zu führen ohne zu wissen, ob man auch "im nächsten Semester einen Lehrauftrag ergattern, die nächste Qualifikationsschrift schaffen werde: "Müssen wir diese Art von Sicherheit im Sinne eines Survival of the Fittest verstehen?", stellt sie in einer Replik, "Die Universität und das Prekariat", zur Diskussion. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont sie: "Darunter leidet das freie Denken."

Für Maria Dabringer, Vorstandsmitglied der IG elf und Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien, hat ein Übermaß an prekären Dienstverhältnissen einen Qualitätsverlust zu Folge. "Inhaltlich ist die Lehre nicht schlecht. Doch obwohl sich alle bemühen, sie gut abzudecken, haben wir zu wenige Seminare, zu wenige Leute", was die Betreuungsverhältnisse nicht eben verbessere, sagt Dabringer. Seit ihrer Fixanstellung 2013 habe sie zudem die Erfahrung gemacht, "dass ich mit einem anderen Commitment zur Arbeit gehe. Wenn ich jedes Semester Angst haben muss, ob ich im nächsten noch dabei bin, bin ich weniger zufrieden und weniger motiviert."

Babka sieht auch eine mangelnde Identifikation mit der Institution. "Jeder Betrieb weiß, dass man die Mitarbeiter so anstellen muss, dass sie sich identifizieren. Wer das mangels Perspektive nicht kann, wird eher zum Opportunismus erzogen, alles zu tun, damit er eine Stelle bekommt. Würde man diesen Leuten echte Perspektiven bieten, würde die Qualität steigen", hebt sie hervor.

Im Rahmen des "Forschungsaktionsplans" will Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner nun über die künftigen Leistungsvereinbarungen mit den Unis mehr unbefristete Stellen nach dem Vorbild des US-amerikanischen Tenure-Track-Systems schaffen. Diese Laufbahnstellen sehen einen Karriereweg bis zur Ordentlichen Professur vor. An der Uni Wien existieren allerdings erst 70 von diesen Stellen. Weitere 30 bis 40 sollen in den nächsten Jahren im Zuge von Nachbesetzungen nach Pensionierungen folgen.

"Nur noch Stop and Go"

"Wenn eine zweispurige Autobahn durch Staus nur noch Stop and Go ermöglicht, wird diese zeitnah ausgebaut. An der Uni haben wie diesen Zustand aber seit Jahren", kommentiert Bernhard Keppler, Vorsitzender des UniversitätsprofessorInnenverbands, die Zustände. Allerdings sollte ein Ausbau nicht zu weit gehen, meint der Professor für Chemie: "Auch das Stammpersonal muss einen vernünftigen Mix aus permanenten und nicht permanenten Verträgen enthalten."

Ebenfalls sinnvoll erscheint es Keppler, fortgeschrittene Studenten "für ein gewisses Entgelt beim Unterricht von Anfängern einzusetzen", da sie damit gleichzeitig ihr eigenes Wissen vertiefen würden: Bei diesem "Nebeneinkommen zum Studium kann man aber nicht von prekären Arbeitsverhältnissen reden". Anders sei es bei der hohen Anzahl geringfügig beschäftigter Lektoren, "die auf die enorme Überbelastung der Universität mit Studenten, für deren Studienplatz es keine ausreichende Finanzierung gibt, zurückzuführen sind."

Dabringer sieht noch ein weiteres, nicht ganz neues Problem. "Noch fällt es kaum auf, dass der Mittelbau wegbricht. Denn noch gibt es pragmatisierte Assistenzprofessoren, die das administrative Gerüst der Uni stützen. Wenn sie aber in etwa zehn Jahren in Pension gehen, droht der Universitätsorganisation Chaos." Schon jetzt seien manche Szenarien skurril: Professoren würden Gremienarbeit miterledigen, die gut ausgebildete Mittelbau-Angestellte genauso tun könnten, während Predocs sich um die Studienprogrammleitung kümmern, wofür sie weder qualifiziert sind noch die Position haben. Und all das erinnert auf beklemmende Weise daran, dass es in anderen Branchen ganz ähnlich ist.