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Vom Know-how zum Do-how

Von Petra Tempfer

Politik
Corbis/Science Photo Library

Die vierte industrielle Revolution ist angebrochen. Fabrikanlagen, Zulieferer und Kunden verbinden sich im digitalen Netz. Das macht eine neue Generation von Facharbeitern notwendig, die die komplexen Zusammenhänge beherrschen.


Wien. Der Facharbeiter, der sein Detailwissen Tag für Tag unter Beweis stellt, hat ausgedient. Der Facharbeiter der Zukunft muss mit mehreren Qualifizierungen zurechtkommen, komplexe Zusammenhänge beherrschen und Teil jener Welt sein, in der die Fertigung, Zulieferer und Kunden zusammenlaufen: Er muss Teil des digitalen Netzes sein, des smarten Zeitalters - des Zeitalters der vierten industriellen Revolution, das soeben angebrochen ist.

Frisst diese Revolution also ihre Kinder, wie es auch Georg Büchner in seinem Drama "Dantons Tod" über die Französische Revolution schrieb? Im Fall Industrie 4.0 konkret all jene, die sich Fachwissen angeeignet haben und nun zunehmend durch die Automatisierungstechnik ersetzt werden? "Nein", sagt dazu Hermann Studnitzka von der Firma Festo, die Steuerungs- und Automatisierungstechnik anbietet. Studnitzka war auch wesentlich an der Entwicklung des Lehrberufs Mechatronik beteiligt. "Die vierte industrielle Revolution wird neue Kinder erzeugen", sagt er. Bestehende Berufe würden sich in eine andere Richtung entwickeln. Das bedeute nicht, dass man das Grundwissen nicht mehr brauchen werde, sondern, dass man es um das Wissen über Digitalisierung und Vernetzung erweitern müsse. Neben den Fach- seien künftig auch Methoden- und Sozialkompetenzen gefragt.

"Man darf nichtlänger zuwarten"

Studnitzkas Empfehlungen für Personalentwickler: "Man darf nicht länger zuwarten. Die Welle Industrie 4.0 kommt zwar nicht plötzlich, aber die systematische Entwicklung hat bereits eingesetzt." Es mache wenig Sinn, Lehrberufe neu zu schaffen oder gravierend zu verändern. "Das dauert mindestens fünf Jahre." Von einer flächendeckenden Akademisierung hält er ebenfalls nichts. Zielführender sei es, wenn man diese Vernetzung zwischen virtueller und realer Welt in die bestehende Ausbildung einflicht. "Der Facharbeiter der Zukunft muss in beiden Welten leben können", sagt Studnitzka. "Wir brauchen technische Dolmetscher, die imstande sind, mit jedem die gleiche Sprache zu sprechen."

Arbeitnehmer also, die für das gleiche Geld künftig höheren Anforderungen nachkommen müssen? "So kann man das nicht sagen", meint Manfred Engelmann, Geschäftsführer der Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich. "Während auf der einen Seite Ansprüche steigen, fallen auf der anderen wieder welche weg. Es verlagert sich."

Auch Engelmann geht nicht davon aus, dass die vierte industrielle Revolution in Summe Arbeitsplätze kosten wird. Dadurch, dass die Veränderung fließend sei, seien ältere Arbeitnehmer nicht von einer plötzlichen Kündigungswelle betroffen, weil sie den neuen Anforderungen vielleicht nicht mehr gerecht werden. Für die Jungen, die nachrücken, werde es sogar mehr Arbeitsplätze geben, glaubt Engelmann.

Erhöhte Gefahr von Hackerangriffen

Selbst Silvia Angelo, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien, sieht nicht konkrete Arbeitsplätze gefährdet. Generell hätten es auch in Zukunft besser Ausgebildete am Arbeitsmarkt leichter als zum Beispiel Hilfsarbeiter.

Wovor Angelo allerdings warnt, ist die erhöhte Gefahr von Hackerangriffen, sobald die Digitalisierung zunimmt. "Es ist eine Herausforderung, der Vernetzung mit einem erhöhten Datenschutz zu begegnen", sagt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Cyberangriffe sind bereits jetzt oft wirtschaftlich motiviert. Der jüngst veröffentlichte Internet-Sicherheitsbericht von Cert.at, dem nationalen Sicherheits-Response-Team, hat gezeigt, dass in den vergangenen zwei Jahren jedes vierte heimische Unternehmen Opfer von Cyber-Angriffen wurde. Der dadurch verursachte wirtschaftliche Schaden liegt bei durchschnittlich 200.000 Euro.

Auf EU-Ebene wird schon eine Richtlinie für Netz- und Informationssicherheit verhandelt, die 2017 in Kraft treten soll. Diese schlägt unter anderem einheitliche Datenschutzstandards vor.

Tatsache ist, dass der Industrieanteil für rund 18 Prozent der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung in Österreich verantwortlich ist. Der EU-Schnitt liegt bei 15 Prozent. Generell rutscht der Industrieanteil allerdings EU-weit ab.

Nicht zuletzt deshalb setzt man vermutlich auf die vierte industrielle Revolution. "Industrie 4.0 ist für das Hochtechnologie- und Industrieland Österreich eine enorme Chance. Dazu kommt, dass die österreichische Industrie eng mit der deutschen verbunden ist, die hier weltweit zu den Vorreitern zählt", sagt etwa Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

Eine deutsche Studie gehe von einem Wertschöpfungspotenzial von bis zu 78 Milliarden Euro aus. Umgelegt auf Österreich könne ein Wertschöpfungspotenzial bis 2025 von zusätzlich bis zu acht Milliarden Euro erwartet werden, heißt es aus dem Ministerium. Dieses setze bereits in mehreren Förderprogrammen den Schwerpunkt Industrie 4.0. Seit Herbst 2014 stehe ein Volumen von rund 30 Millionen Euro dafür bereit.

Neue Plattform des Infrastrukturministeriums

Das Infrastrukturministerium wiederum schreibt ab Mai 36 Millionen Euro für neue Produktionstechnologien und Datensicherheit aus, heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Bis Ende dieses Jahres sollen 125 Millionen Euro in Innovationsprojekte geflossen sein. Im Bildungssektor wurden im Vorjahr drei Professuren für Industrie 4.0 geschaffen (an der TU Wien, Montanuniversität Leoben und an der Universität Innsbruck). Für heuer seien vier weitere geplant, so das Ministerium.

In den nächsten Wochen werden jedenfalls die Sozialpartner gemeinsam mit dem Infrastrukturministerium die neue Plattform Industrie 4.0 vorstellen, um das Thema in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dass der Infobedarf hoch ist, zeigt eine aktuelle Gallup-Umfrage: Nur weniger als die Hälfte kennen das Schlagwort Industrie 4.0. 38 Prozent davon sehen darin einen Trend, dem man Rechnung tragen muss - 20 Prozent glauben an einen Hype, der vorübergehen wird.

(temp) Mit dem Begriff industrielle Revolution sind stets tiefgreifende und dauerhafte Veränderungen verbunden, die sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch auf die Lebensumstände der gesamten Bevölkerung auswirken. Anfangs kamen diese Veränderungen plötzlich und basierten meistens auf einer neuen, innovativen Produktionstechnik. Sie gingen mit schlagartigen Umwälzungen einher. Heute passieren diese schleichend. Statt Revolution könnte man eher von Evolution sprechen.

Die erste industrielle Revolution fand bereits Ende des 18. Jahrhunderts statt, als die Zahl der mechanischen Erfindungen - darunter jene des mechanischen Webstuhls im Jahr 1784 - zunahm. Produktionsanlagen liefen zunehmend mithilfe von Wasser- und Dampfkraft. Es konnten mehr Waren mit weniger Arbeitsaufwand hergestellt werden, wodurch die gesamte Produktion günstiger wurde.

Die zweite industrielle Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht mit der Etablierung der elektrischen Energie als Antriebsmittel einher. Sie ermöglichte die arbeitsteilige Massenproduktion - und damit die Entwicklung der Fließbandarbeit. Der Ford-T zum Beispiel war eines der ersten Fahrzeuge, das als Massenware erzeugt wurde. Ein Auto dieser Marke war fast zehnmal schneller fertig gebaut als ein vergleichbares Fahrzeug in einer konventionellen Werkstatt.

Der Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren Automatisierung der Produktion markiert die dritte industrielle Revolution in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Vor allem in der Fertigung kommen seitdem zunehmend Roboter zum Einsatz.

Die vierte industrielle Revolution hat soeben begonnen. Die Produktion wächst mit der Kommunikationstechnologie zusammen. Fabrikanlagen, Zulieferer und Kunden vernetzen sich untereinander. Das smarte Zeitalter ist angebrochen.

Von der Industrie 1.0 zur Industrie 4.0