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"Eine Bankrotterklärung der Menschlichkeit"

Von Eva Zelechowski

Politik

Zur Gedenkveranstaltung für hunderte Tote im Mittelmeer kamen etwa tausend besorgte Bürger. Welchen solidarischen Beitrag wären einige von ihnen bereit zu zahlen?


"Die Politik der Abschottung muss enden, und damit das Tausendfache Sterben", schallt es aus dem Mikrofon auf der Bühne. Etwa Tausend Menschen haben sich auf der Gedenkveranstaltung auf dem Minoritenplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk eingefunden. Mit Hund, Kind und Kegel wollen einige Bürger ein Zeichen zu setzen, um der hunderten Menschen, die am Wochenende im Mittelmeer auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, zu gedenken. Und nicht zuletzt: Ein Umdenken und einen Kurswechsel in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik zu fordern. Dicht gedrängt stehen sie auf dem Platz vor dem Außenministerium und lauschen den Worten von Journalistin Corinna Milborn und Caritas-Sprecher Klaus Schwertner.

Die "Wiener Zeitung" hat sich in der Menge umgehört. Welchen solidarischen Beitrag wären sie als Bürger und Bürgerinnen Europas bereit, zu leisten? Eine Art Soli-Beitrag für Flüchtlinge. Und wie könnte die Politik die Bevölkerung überzeugen, auf ein Stückchen ihres Lebensstandards zu verzichten? Denn die Angst scheint punkto Aufnahme von Flüchtlingen vorherrschend zu sein.

"Mehr Zeit als Geld, aber reicht das aus?"

"Ich gehöre zu jenen, die mehr Zeit als Geld haben. Deshalb habe ich mich die letzten Jahre ehrenamtlich engagiert und dachte, das würde reichen, aber da bin ich mir nicht mehr sicher. Ich bin dabei, das zu überdenken", sagt Lilo, eine Frau um die Fünfzig. Wenn, dann wäre sie bereit, 20 Euro im Monat zu spenden.

Ähnlich geht es Karin. Die junge Frau könnte auf zehn bis 20 Euro monatlich verzichten, ist derzeit ebenfalls ehrenamtlich aktiv. "Der Staat könnte die Bürger von einem Solidaritätsbeitrag überzeugen, indem er auf die eigene österreichische Geschichte verweist. Wie oft uns in der Vergangenheit geholfen wurde." Die weit kolportierte Meinung dass Europa nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann, teilt Karin "ganz und gar nicht".

"Wie viel sparen wir uns denn durch billige Rohstoffe?"

"Ein Soli-Beitrag? Das ist eine gute Frage. Eine weitere Frage ist, ob das als langfristige Lösung reicht", meint Peter. Der junge Mann hat sich scheinbar schon oft über das schwierige Thema Gedanken gemacht. Vielleicht sollten EU oder Österreich bestehende Mittel besser einsetzen und umverteilen, anstatt sie in Grenzschutzprogramme fließen zu lassen, sagt er. Oder einfach nur fair fragen: "Wie viel sparen wir uns denn durch billige Rohstoffe?" Ein vom Staat verpflichtender Soli-Beitrag sei nur eine kurzfristige Methode zur akuten Hilfeleistung und Betreuung von Flüchtlingen, meint Peter. "Man muss auch langfristig überlegen, wie lange die Menschen in Europa bleiben wollten, wenn die Lage in Libyen nicht schnell besser wird", was wahrscheinlich sei. Dass solche Soli-Beträge in die Finanzierung von Seenotmissionen wie das eingestellte "Mare Nostrum" fließen sollte, halte Peter jedenfalls langfristig für wenig sinnvoll.

"Das ist eine Bankrotterklärung der Menschlichkeit", sagt Günter, für den bis zu hundert Euro monatlich als Solidaritätsbeitrag möglich wären. Er sei "ziemlich erschüttert" gewesen, auch wenn der Tod von 900 Menschen am Wochenende keine große Überraschung war - zumindest angesichts der Tatenlosigkeit der EU-Mitgliedsstaaten. Vom EU-Sondergipfel zur Flüchtlingsproblematik, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag einberufen hat, erwartet sich Günter "nichts". Nichts als Lippenbekenntnisse - wie auch nach dem großen Unglück vor Lampedusa im Oktober 2013. Vielleicht wird er ja diesmal überrascht.