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"Warum bist du schwul, Russland hat so schöne Frauen"

Von Eva Zelechowski

Politik

Das BFA setzt unprofessionelle Dolmetscher ein, die homosexuelle Asylwerber in Befragungen einschüchtern. Wie steht es um Qualitätsstandards von Asyl-Dolmetschern?


"Warum siehst du so gut aus? Warum bist du schwul? In Russland gibt es doch so schöne Frauen!" Mit unprofessionellen Aussagen wie diesen war der 18-jährige Sasha bei seiner Erstbefragung in Traiskirchen konfrontiert. Nicht die befragenden Beamten legten dieses Verhalten an den Tag, sondern der Dolmetscher. Als er merkt, dass seine Antworten nicht korrekt wiedergegeben werden, versucht er die Aussagen zu korrigieren. "Du bist unhöflich. Sei still", entgegnet ihm der Dolmetscher. Eingeschüchtert knickt er ein.

Vor einigen Monaten ist Sasha nach Wien gekommen. Sein Händedruck ist fest und feucht. Der schlanke, groß gewachsene Jugendliche lächelt bei der Begrüßung, ist sichtlich nervös. Sein Vertrauen in die Menschen in Österreich ist bereits ein wenig getrübt. Das merkt man ihm während des gesamten Gesprächs an, deshalb ist eine befreundete Aktivistin in der Rosa Lila Villa zur Unterstützung mitgekommen. Ohne Dach über dem Kopf und mittellos fand er in der Lesben- und Schwulenberatungsstelle HOSI und in der Lesben-, Schwulen- Trans* Beratung "Türkis Rosa Lila Tipp" in der Rosa Lila Villa Beratung und Unterstützung.

Mit zehn Jahren merkt Sasha, dass er homosexuell ist. Seitdem wurde sein Leben komplizierter – sowohl vor dem russischen Staat als auch mit den Eltern, die sich von ihm abwenden. Als er wenige Tage vor der Flucht nach Österreich in seiner Heimatstadt Cheboksari vor dem Regierungsgebäude an einer antifaschistischen Demonstration teilnimmt, kommt er für zwei Tage in Haft. "Nach meiner Entlassung kamen Polizisten zu mir nachhause und nahmen mich noch einmal fest. Diesmal wurde ich drei Stunden festgehalten und geschlagen", ist im fünfseitigen Protokoll seiner Erstbefragung in Traiskirchen vom Februar 2015 zu lesen. Eine Anzeige sei haltlos, erklärten die russischen Behörden, ihm fehlten die Beweise. Er entschloss sich, seine Heimat zu verlassen. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen erging es dem jungen Mann nicht viel besser. Nach zweieinhalb Tagen wurde er bestohlen. Als er von der  Polizeiwache mit der Diebstahlsanzeige in der Hand zurück ins Aufnahmezentrum möchte, verweigern ihm die Behörden den Zutritt. Ohne Grundangabe. "Es war Wochenende, ich habe zwei Nächte im Park geschlafen", erzählt Sasha und versucht das Erlebte mit einem Lächeln zu überspielen.

Ein Jugendlicher, der zwei kalte Februarnächte vor einem österreichischen Flüchtlingsaufnahmelager im Freien verbringen muss, ist ein Indiz dafür, dass das System versagt hat. Unprofessionelle und unsensible Dolmetscher sind nur ein Symptom für ein krankes System.

In Traiskirchen wegen Homosexualität schikaniert

"Das Problem ist nicht nur die Übersetzung, es ist das ganze System. Es gibt zwar einen Infopoint (im EAST Traiskirchen, Anm.), aber dort gibt einem niemand Informationen", betont Sasha, der in Traiskirchen von anderen Asylwerbern wegen seiner Homosexualität schikaniert wurde und sich verängstigt an die Sicherheitskräfte wandte. Die Antwort auf seine Bitte, mit anderen jungen Russen in ein Zimmer verlegt zu werden, hallt noch immer in seinen Ohren: "Du liegst dort, wo wir sagen, dass du liegst."

"Ausgebildete Dolmetscher verwendet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in der Regel nicht. Oft kommen Personen zum Einsatz, von denen man weiß, dass sie der Sprache mächtig genug sind", sagt Anny Knapp, Obfrau des Vereins Asylkoordination Österreich zur "Wiener Zeitung". Zum Teil würde es sich um Studenten handeln, die sich etwas dazu verdienen wollen.

Anders stellt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, die Situation dar: "Es sind grundsätzlich gerichtlich beeidete Dolmetscher heranzuziehen, nur im Falle des Fehlens geeigneter Dolmetscher ist auf sprachkundige Personen zurückzugreifen", heißt es in einem Dokument des BFA zur Bestellung von Dolmetschern.
Menschen, die Homosexualität oder Transsexualität als Fluchtgrund angeben, sollten in Befragungen eine besondere Sensibilität erfahren. Darüber sind sich NGOs wie auch das Innenministerium einig. "Man versucht darauf einzugehen. Das Interview kann auch abgebrochen werden, wenn sich der Asylwerber unwohl fühlt", sagt Grundböck. Bei Hinweisen gelte es, dies von der Leitung der Betreuungsstelle inhaltlich und individuell zu prüfen. Wenn es sich um geschlechtsspezifische Verfolgung handle, schaue man dem BMI-Sprecher zufolge auf das Geschlecht des Übersetzers. "Es sollten auch Dolmetscher selbst Bescheid geben, wenn sie befangen sind", so Grundböck weiter. Aber wer tut das? Die Realität ist eine andere. Mit dem Outing der eigenen Befangenheit geht nicht nur eine Tagesgage flöten, sondern ein Stück Reputation. Wer Erfahrungen wie Sasha gemacht hat, kann Beschwerde einlegen. Aber wie wirkt sich das auf das laufende Asylverfahren aus? Schweigen scheint sicherer.

"Es ist eine Fiktion, dass ich neutral bin"

Einen richtigen Schritt in Qualitätssicherung für Dolmetscher hat UNHCR getan. "Es ist eine Fiktion, dass ich neutral bin und unsichtbar", beschreibt eine Dolmetscherin im Gespräch mit der Menschenrechtsorganisation eine der vielen Herausforderungen ihrer Tätigkeit. UNHCR Österreich hat nun das erste Training für Dolmetscher im Asylverfahren entwickelt, mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung der Übersetzungen. Heraus kam das Handbuch "Qualitätsvolles Dolmetschen im Asylverfahren – QUADA" zu rechtlichen, translatorischen und berufsethischen Themenbereichen. Besonders sinnvoll erscheint im Handbuch eine Übung, in der verschiedene Szenarien dargestellt werden und mit zusätzlichen Fragen wie Lösungsvorschlägen eine für alle Beteiligten möglichst optimale Situation erzielt werden soll. "Wie könnte sich hier der Asylwerber fühlen?"

Die UNHCR-Ethik-Kurse sind ein erster Schritt. "Sie müssten aber vom BFA verpflichtend vorgesehen werden, ich denke es ist im Moment wenig Bereitschaft da", sagt Fadi Merza, der neben seiner Boxer-Karriere auch als Arabisch-Dolmetscher für das BFA arbeitet.
Vor Kurzem wurde Sasha in die Grundversorgung aufgenommen, jetzt wartet er auf den nächsten Interview-Termin. Ob sein Asylantrag positiv entschieden wird, steht in den Sternen. Seine ganze Hoffnung legt er nun in ein krankes System. "In Russland werden Homosexuelle, die sich outen, mit einer Geldstrafe 50.000 bis 200.000 russischen Rubel belegt, oder werden eingesperrt. Ich habe Angst um mein Leben."

UNHCR Trainingshandbuch für DolmetscherInnen im AsylverfahrenQUADA (Qualifizierungsmaßnahme für DolmetscherInnen im Asylverfahren)
BFA Lehrgang für DolmetscherInnen im Asylverfahren