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Warum ich nicht Asylant sagen soll

Von Momcilo Nikolic

Politik

In der dauerhitzigen Debatte zum Thema Asyl und Integration hat eine Expertengruppe ein Handbuch herausgebracht, um verbale Schlaglöcher zu vermeiden.


Wien. In Wien heißen Freiheitliche Asylwerber in Erdberg mit "Nein"-Schildern willkommen, in Linz stellen sozialdemokratische Plakathalter Autofahrern am Straßenrand die Frage: "Sind auch Sie gegen ein großes Asylzentrum in Linz?" Und Bundeskanzler Werner Faymann lädt am Mittwoch zum Asylgipfel, um ein für alle Mal die Suche nach Quartieren für Asylwerber zu vereinfachen und die Verteilung auf die Bundesländer in den Griff zu bekommen. In dieser dauerhitzigen Debatte um das Thema Asyl, aber auch Integration, ist es für den einen oder anderen schwierig, sich semantiksicher durch alle verbalen Schlaglöcher und Stereotypisierungen hindurchzunavigieren. Zu diesem Zweck haben die "Kommission für Migrations- und Integrationsforschung", die "Medienservicestelle Neue Österreicher/innen" und der "Österreichische Integrationsfonds" (ÖIF) vor ein paar Wochen ein Handbuch herausgebracht: "Zahlen.Daten.Indikatoren 2014", weiter den "Integrationsglossar" 2014 und den "ÖIF Monitor".

Ein stetig wiederkehrender Schlüsselsatz in der Integrationsdebatte ist: "Migranten sollen sich integrieren." Integration per se, wie Franziska Troger, Leiterin der ÖIF- Öffentlichkeitsarbeit, erklärt, steht nach dem "Nationalen Aktionsplan für Integration" (NAP.I) für einen wechselseitigen Prozess, der von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt ist, wobei klare Regeln den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sozialen Frieden sichern. "Vorrausetzung für eine erfolgreiche Integration sind Kenntnisse der deutschen Sprache für das Arbeitsleben und für Fortbildungsmöglichkeiten, der Kontakt zu öffentlichen Einrichtungen und die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit. Dazu gesellt sich die Anerkennung und Einhaltung der österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung", so Troger weiter.

Auf der anderen Seite erfordert Integration Akzeptanz und Annahme sowie eine Gleichbehandlung im Alltag - im Fachsprech Willkommenskultur genannt. Ist eines dieser Erfordernisse nicht gegeben und wird in Wahrheit von dem zahlenmäßig größeren Teil der Gesellschaft Assimilation (laut Integrationsglossar "Die vollständige kulturelle Anpassung von Migranten an die Aufnahmegesellschaft") gefordert, so entwickeln sich als Automatismus auf beiden Seiten Abwehrreaktionen - wie Ablehnung und ein Nichtzugehörigkeitsgefühl -, die in Rückzug (in wohlbekannte Kreise wie Familie und Personen mit gleichen Wurzeln) oder ebenfalls in Ablehnung münden. Dies wird oft fälschlicherweise als die mangelnde Bereitschaft sich zu integrieren gesehen.

Der Migrant ist laut Definition ein Mensch, der von einem Land in ein anderes wandert, um innerhalb des Migrationsprozesses dort vorübergehend oder dauerhaft zu leben und zu arbeiten. Ein Migrationshintergrund dagegen bezeichnet laut Statistik Austria Personen, deren Eltern im Ausland geboren wurden. Es wird auch zwischen Migranten der ersten Generation (im Ausland geboren) und der zweiten Generation (im Inland geborene Kinder) unterschieden.

"Die Ausländer sollen sich integrieren"

Wie auch Karin Zauner, Gründungsmitglied der europäischen Forschungsgruppe "The Media of Diaspora Research Group" in Lincoln, England, sagt, wird in Medien und daraus entstehenden Diskursen geforderte Integration mit Assimilation verwechselt: "Man sagt gerne ‚Die Ausländer sollen sich integrieren‘ und meint es einseitig. Aber Integration ist ein zweiseitiger Prozess. Die Mehrheitsgesellschaft ist oft nicht bereit Veränderungen zuzulassen."

Auch die Begriffe "Multikulti" und "Asylant" sieht Zauner in ihrer Verwendung als problematisch an und erklärt deren negative Aufladung: "Dies geschieht durch Kampagnen gegen Asylwerber, die von rechtspopulistischen Parteien und Boulevardmedien geführt werden. Asyl ist ein Menschenrecht. Jeder hat das Recht auf Flucht, dennoch ist das Wort ‚Asylant‘ mit negativen Assoziationen verknüpft. Auch ‚Multikulti‘ ist von der Rechten eingenommen worden. Internationalisierung als Gegenbeispiel in diesem Bereich ist positiv besetzt. Mit ein Grund dafür ist, dass es aus der Wirtschaft kommt und Vielfalt abbildet."

"Die Sprache ist nicht nur ein Werkzeug. Sie kann ebenso wie ein Medikament missbraucht oder falsch angewendet werden." Diese Worte stammen vom 2006 verstorbenen deutschen Journalisten und Lyriker Wolfgang J. Reus und deuten an, welche Probleme emotionale Diskurse und falsch gebrauchte Begriffe schaffen können.

"Sprache ist ein sich immer weiterentwickelndes Konstrukt. Es ist aber wichtig, gemeinsame Definitionen und ein gemeinsames Grundverständnis zur Verfügung zu haben, damit wir sachlich und faktenbasiert über wichtige Themen sprechen können. Begriffe können im Laufe ihres Gebrauchs immer wieder neuen Bedeutungsänderungen unterzogen werden, daher ist es ebenso notwendig, sich von Zeit zu Zeit darüber zu verständigen, ob der benutzte Begriffe noch den Inhalt und Kontext widerspiegelt, den man meint oder eine Neu-Interpretation des Begriffs stattgefunden hat", erklärt Franziska Troger sprachliche Veränderung.

Bei der Gleichmachung und falschen Verwendung von Begriffen fällt beim Thema Integration und Asyl in der Auseinandersetzung oft als Beispiel die Unterscheidung zwischen Asylberechtigten und Asylwerbern (oder "Subsidiär Schutzberechtigten") weg, wenn der Begriff "Asylant" an deren Stelle tritt.

Während es sich bei Asylberechtigten um Personen mit einem positiv entschiedenen Antrag handelt, die rechtlich als Flüchtlinge anerkannt sind, sind Asylwerber Menschen, die in einem fremden Land um Asyl (nach der Genfer Flüchtlingskonvention), also um Aufnahme und Schutz vor Verfolgung suchen.

"Unkontrollierte Ausländerschwemme"

Emotionalität führt auch gerne dazu, dass innerhalb dieser Debatte persönliche Erfahrungen - sowohl positiv als auch negativ - als Teil von Argumentationsketten angeführt werden. Erlebnisse und Eindrücke werden zu Fakten, Sorgen und Ängste werden in einfach gehaltenen Schlagworten und bedrohlich wirkenden Sätzen ausformuliert. "Unkontrollierte Ausländerschwemme. Die Flüchtlingswelle kommt" - so lauten unter anderem gängige Meldungen, wenn das Thema Zuwanderung und Asyl öffentlich besprochen wird. Das Wortspiel mit der Gefahr der "Überschwemmung" und der "tsunamigleichen Welle" weckt im Rezipienten von Anfang an eine grundlegende Abwehrhaltung, die es schwer ermöglichen, nüchtern an die Sache heranzugehen oder eine Willkommenskultur zu etablieren.

Die Zahlen zur "Ausländerschwemme" zeigen, dass 2013 ungefähr 151.300 Menschen nach Österreich zuwanderten, während knapp 96.600 das Land verließen. Dies ergibt eine Netto-Zuwanderung von rund 54.700 Personen. Von den 151.300 Zuzügen kehrten fast 16.100 österreichische Staatsangehörige zurück; bei knapp 86.600 handelt es sich um EU/EWR-Bürger (inklusive der Schweiz).

Nummer eins der zugewanderten Nationalitäten stellen Deutsche mit 17.700 gefolgt von 14.900 Ungarn und 13.500 rumänischen Staatsangehörigen. Nur mehr ein Drittel (48.600) der Zugewanderten stammt aus Drittstaaten, wie aus den Nicht-EU-Mitgliedern des ehemaligen Jugoslawiens (15.300) oder der Türkei (4.500) - Tendenz abnehmend.

"Die sind alle kriminell"

Die Asylanträge selbst stiegen Stand 2011 von rund 14.400 auf 17.400 für 2012; und schließlich auf 17.500 für das Jahr 2013. Vor zwei Jahren wurde 4133 Leuten Asyl gewährt, was ein Plus von zwölf Prozent zum Jahr davor (3680 Anerkennungen) darstellt. Dagegen wurden von allen 2013 abgeschlossenen Asylverfahren 62 Prozent rechtskräftig negativ beschieden.

Der Großteil der Asylwerber stammt aus der Russischen Föderation (Tschetschenien mit 2841), aus Afghanistan (2589) und Syrien mit 1991 Anträgen. Im EU-Vergleich rangiert Österreich bei den absoluten Zahlen an siebter Stelle, in Relation zur Einwohnerzahl hinter Malta, Schweden und Luxemburg auf Platz vier.

Rund 55 Prozent der in einer Umfrage von GFK Austria befragten Österreicher gaben 2014 an, regelmäßigen Kontakt mir Zugewanderten zu haben. In Wien ist beinahe ein Drittel der Bevölkerung (32,2 Prozent) im Ausland zur Welt gekommen, während der österreichweite Schnitt bei dieser Statistik bei 16,6 Prozent liegt. Der Wiener Bezirk mit den höchsten Anteil an Personen, die im Ausland geboren wurden, ist Rudolfsheim-Fünfhaus (44 Prozent), während der niederösterreichische Bezirk Zwettl mit 2,4 Prozent den niedersten Wert aufweist.

Österreichweit lebten 2013 rund 1,625 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (Eltern im Ausland geboren) in Österreich. Das entspricht einem Prozentanteil von 19,4 Prozent gemessen an der Gesamtbevölkerung. Davon sind rund 428.000 Personen der zweiten Generation (in Österreich geboren) zuzuordnen.

Die größte Zuwanderergruppe in Wien sind laut der "Medienservicestelle Neue Österreicher/innern" und Statistik Austria mit 95.686 Personen serbischer Herkunft. Auf Platz eins der ausländischen Staatsbürger in Österreich - und das gleich in sechs Bundesländern - rangieren allerdings die deutschen Staatsangehörigen (insgesamt 165.000; davon in Wien: 37.982).

41 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft, wobei im direkten Vergleich zwischen erster und zweiter Generation eine Lücke aufklafft. Unter den Migranten der ersten Generation sind rund 32 Prozent eingebürgert, bei der zweiten Generation steigt die Zahl der Einbürgerungen auf 67 Prozent. Als interessanter Aspekt erweist sich zudem, dass besonders bei Menschen mit türkischem oder afrikanischem Migrationshintergrund - mit 58 und 68 Prozent - der Anteil der österreichischen Staatsangehörigen relativ hoch ist, während im Vergleich dazu unter Migranten aus Nordamerika nur 14 Prozent eingebürgert sind.

"Die sind alle kriminell". Wiederkehrende Begriffe wie unter anderem Asylbetrüger, Sozialschmarotzer oder Ostbanden haben auch zu negativen Konnotationen beim Thema Ausländer und Asyl geführt und solche Sätze kreiert.

In Sachen Kriminalstatistik zeigt das Jahr 2013, dass es 66,9 Prozent inländische Tatverdächtige gab und 33,1 Prozent ausländische (wobei hier in Österreich lebende Ausländer mit 26,1 Prozent, 5,1 Prozent Touristen und 1,6 Prozent Ausländer mit illegalem Aufenthalt zusammengerechnet werden). Eine Zahl, die jedoch für Aufsehen sorgt, ist jene der "neu Inhaftierten" aus dem Jahr 2013. Der Ausländeranteil lag in dieser Statistik bei 57 Prozent.

"Ausländer arbeiten nix"

Anzuführen ist hierbei jedoch, dass sich darunter auch Untersuchungshäftlinge (einschließlich Kriminaltouristen) befinden. Laut "Zahlen.Daten.Indikatoren 2014" wird U-Haft jedoch bei ausländischen Staatsangehörigen wegen der größeren Fluchtgefahr öfter verhängt als bei Inländern. Zusätzlich trage die Verhängung von Schubhaften für illegal in Österreich lebenden Personen zu den hohen Haftzahlen der ausländischen Bevölkerung bei.

In Sachen Arbeitslosigkeit gibt es im Vergleich zwischen Personen mit Migrationshintergrund und jenen auch eine signifikante Differenz. Während 15- bis 64-jährige Menschen mit Migrationshintergrund zu 65 Prozent erwerbstätig sind, steigt dies im Vergleich zu derselben Altersgruppe ohne so einen Hintergrund auf 74 Prozent. Der Grund für diesen Unterschied liegt wesentlich bei der Zahl der weiblichen Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen, die mit 58 Prozent zwölf Prozent unter jener von Frauen ohne Migrationshintergrund liegt.

Nach der bereits erwähnten "GFK Austria Erhebung" vom Frühjahr 2014, bei der 853 Staatsbürger ohne Migrationshintergrund und 1100 Personen mit Migrationshintergrund befragt wurden, fühlen sich 70 Prozent der Zugewanderten Österreich zugehörig, 30 Prozent dem eigenen Herkunftsland oder dem der Eltern. Vergleicht man dieses Zugehörigkeitsgefühl über die vergangenen fünf Jahre hinweg, ist ein Anstieg um 18 Prozent erkennbar. Von ur-österreichischer Seite her sind es acht Prozent, die meinen, Integration funktioniere in diesem Land sehr gut, wobei aber auch 41 Prozent diesen Prozess der Antwortkategorie "eher gut" zuordnen würden. Elf und erneut 41 Prozent tendieren hier zu "schlecht" und "eher schlecht". Es wird klar ersichtlich: Luft nach oben gibt es in dieser Hinsicht allemal.

Integrations-ABCAssimilation
Die vollständige kulturelle Anpassung von Migranten an die Aufnahmegesellschaft.

Asyl
Wird Menschen gewährt, die wegen ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt werden. Völkerrechtliche Grundlage ist die Genfer Flüchtlingskonvention.

Asylberechtigte
Personen, deren Antrag positiv beschieden wurde. Rechtlich als Flüchtling anerkannt und Österreichern weitgehend gleichgestellt.

Asylwerber
Personen, die in einem fremden Land um Schutz vor Verfolgung ansuchen. Asylverfahren noch im Gange.

Aufnahmegesellschaft
Gesellschaft, die Migranten aufnimmt.

Diaspora
Ethnische oder religiöse Gruppen, die im Ausland leben.

Diskriminierung
Benachteiligung oder Herabwürdigung von Menschen und Gruppen aufgrund derer Herkunft.

Diversität
Ein Konzept, das die Vorteile von Vielfalt und Verschiedenartigkeit betont.
In der Wirtschaft zielt "Diversity Management" darauf ab positive Effekte durch Vielfalt der Mitarbeiter zu lukrieren.

Drittstaatsangehörige
Personen, die keine Bürger aus der EU, den EWR-Staaten oder der Schweiz sind.

Einwanderungsland
In einem Einwanderungsland wächst die Bevölkerung durch Einwanderung von Personen aus anderen Ländern stark an. Zuwanderer stellen einen wesentlichen Teil der Bevölkerung dar (Österreich hat 2013 ein leicht negative Geburtenbilanz von -196 Personen, 2012: -484).

Flüchtling
Personen, die aus Furcht vor Verfolgung ihre Heimat verlassen und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können.

Inklusion
Akzeptanz der Individualität eines Menschen und Teilhabe an der Gesellschaft.

Integration
Wechselseitiger Prozess mit dem Ziel sozialen Frieden und gesellschaftlichen  Zusammenhalt zu sichern.

Mehrheitsgesellschaft
Zahlenmäßig überlegene Gesellschaft, die kulturelle Normen prägt.

Migrationshintergrund
Menschen, deren Eltern im Ausland geboren wurden. Wird in erster (selbst im Ausland geboren) und zweiter (im Inland geboren) Generation unterteilt.

Rassismus
Stellt die Gleichrangigkeit Anderer in Frage. Führt zu Diskriminierung.

Subsidiär Schutzberechtigte
Personen, deren Asylantrag mangels Verfolgung abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsstaat bedroht wird.
Erhalten befristeten Schutz vor Abschiebung.

Zuwanderung
Dauerhafter Eintritt einer Person in ein Land, das nicht ihr Heimatland ist.

Quelle: Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen