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Fasten bei Tag, feiern bei Nacht

Von Alexander Maurer

Politik
Erst nach Sonnenuntergang wird beim Fastenbrechen dann ausgiebig gegessen und getrunken.
© RLB NÖ-Wien/Bernhard

Vom 18. Juni bis 18. Juli begehen viele Muslime in Wien den Fastenmonat Ramadan - streng genommen wird er aber nicht.


Wien. Mittwochabend in Rudolfsheim-Fünfhaus. Das türkische Restaurant Kent ist bis auf den letzten Platz besetzt. Aber die übliche Schlange vor dem Buffet bleibt aus, obwohl sich die Tische unter der Last der Speisen biegen. Die Gäste warten geduldig, vertreiben sich mit Gesprächen die Zeit. Dann, kurz nach 21 Uhr, als es schon fast dunkel ist, geht das Treiben los. Überall wird angestoßen, Suppe wird gereicht und ein großes Festmahl beginnt.

Bei der Feier handelt es sich um das Fastenbrechen (Iftar), das momentan allnächtlich von Muslimen begangen wird. Denn am 18. Juni hat der Ramadan, der islamische Fastenmonat begonnen. Das Fasten (Saum) gehört neben dem Glaubensbekenntnis (Schahada), den fünf täglichen Gebeten (Salat), der Armensteuer (Zakat) und der Wallfahrt nach Mekka (Hajj) zu den fünf Grundpfeilern des Islam.

Kein Essen und Trinken

Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nehmen Muslime weder Flüssigkeit noch Nahrung zu sich, auch auf Rauchen und Geschlechtsverkehr wird verzichtet. Nachts wird beim Fastenbrechen dann ausgiebig gegessen und getrunken. Das Iftar im Kent wurde von der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien bereits das sechste Jahr in Folge veranstaltet - "als Zeichen des Respekts und der Wertschätzung für unsere muslimischen Kunden", erklärt Generaldirektor-Stellvertreter Georg Kraft-Kinz.

2012 lebten mehr als 570.000 Muslime in Österreich, etwa 216.000 davon in Wien. Wie viele von ihnen den Ramadan begehen, ist nicht genau bekannt. Jeder Muslim ist eigenverantwortlich, erzählt eine Türkin beim Fastenbrechen. "Kein Muslim darf einem anderen Muslim vorschreiben, dass er fasten soll."

"Ich mag Doppelmoral mancher Muslime nicht"

Auch gibt es im Koran festgeschriebene Ausnahmen von dieser religiösen Pflicht (Fard), erklärt die Studentin der medizinischen Informatik weiter. "Kinder sind vom Fasten ausgenommen. Alte, Kranke und Schwangere müssen den Ramadan nicht einhalten, wenn sie dazu körperlich nicht in der Lage sind." Die versäumten Fastentage werden dann später bei guter Gesundheit nachgeholt.

"Ich gehöre zu den Muslimen, die hier aufgewachsen sind und bin daher nicht so strenggläubig", erzählt Can im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der 29-jährige Kundenberater hält den Ramadan an sich für eine gute Sache, fastet aber selbst nicht. "Ich treibe viel Sport und da schaffe ich es einfach nicht, den ganzen Tag über keine Nahrung und Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Muslimische Profifußballer können das auch nicht tun, wenn sie Training haben." Can geht offen damit um. "Ich mag die Doppelmoral mancher Muslime nicht, die beispielsweise behaupten, keinen Alkohol zu trinken und es dann doch heimlich tun."

Jeder entscheidet selbst

Auch seine Freundin fastet nicht, stammt aber aus einer strenggläubigen Familie. Spannungen gibt es aber keine, immerhin entscheidet jeder Muslim selbst, ob er den Ramadan einhält oder nicht. "Da ist keiner jemandem böse. Erst vorgestern waren wir bei ihrem Papa zum Fastenbrechen und haben gemeinsam gegessen."

Auch Tülay Tuncel, die bei der Wirtschaftsagentur Wien arbeitet, verzichtet auf das Fasten. Sie ist Alewitin und der Ramadan wird in dieser islamischen Glaubensrichtung nicht begangen. Fasten ist in ihrer Familie, der auch einige Sunniten angehören, dennoch ein Thema. "Wir verstehen es, einander zu respektieren und einander auch Rahmen zu geben", erzählt sie. "Der Ramadan ist sicher eine schöne Zeit, in der Menschen lernen, Abstand zu nehmen und im gleichen Zug auch Nähe erleben."

Bei vielen jugendlichen Muslimen hat der Ramadan noch einen hohen Stellenwert. Sinem ist 22 und angehende Studentin. Sie hält sich strikt an das Fastengebot. "Es ist eine Zeit der Geduld und lässt uns auch besser verstehen, wie es Menschen geht, die wenig oder nichts zu Essen haben." "Der erste Tag ist da noch am schwierigsten, aber ab dem zweiten und dritten Tag wird es ganz leicht", ergänzt eine türkische Studentin. "Der Magen stellt sich darauf ein, dass er weniger bekommt. In der ersten Nacht isst man noch ganz viel und an den folgenden Tagen will man zwar weiteressen, kann aber nicht mehr, weil man schneller satt wird.", meint sie lachend.

Fasten und Gutes tun

Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) veranstaltet in Wien während des Ramadan mehr als 200 Aktionen. Besonders hervorzuheben ist das seit 2011 jährlich stattfindende karitative Projekt "Fasten-Teilen-Helfen".

"Dieses Jahr nehmen über 1000 Jugendliche teil. Im Ramadan verspürt man eine besondere Solidarität mit seinen Mitmenschen. Die Jugendlichen wollen etwas Gutes tun und nicht ihre Zeit unnütz verstreichen lassen", betont Nora El-Halawany von der MJÖ. Dazu gehören etwa das Kochen für Obdachlose, Kinderbetreuung in Flüchtlingsheimen und die Arbeit in gemeinnützigen Einrichtungen. Mehr als 80 Kooperationspartner von Caritas über Rotes Kreuz bis zu den Wiener Jugendzentren helfen mit. Das Projekt steht in der Tradition des Ramadan - denn Fasten bedeutet nicht nur Verzicht auf Nahrung. Muslime sollen besonders darauf achten, üble Nachrede, Verleumdung, Lügen und Beschimpfungen zu vermeiden. Der Ramadan gilt als Monat der Geduld und der Versöhnung. "Damals in Istanbul hat meine Familie zum Iftan oft arme Leute oder verwitwete Frauen eingeladen", erinnert sich Fulya Mandal. "Für uns war der Ramadan Anlass, anderen Leuten etwas Gutes zu tun."

Zu zum Raiffeisen-Fastenbrechen wurden auch bewusst Kunden anderer Religionen oder ohne religiöses Bekenntnis geladen. "An unseren Tischen ist jeder eingeladen, der andere Menschen mit ihrer Kultur und ihrem Glauben respektiert, toleriert und wertschätzt", so Kraft-Kinz. Heuer endet der Ramadan am 18. Juli. Traditionell wird das Ende mit dem Fest des Fastenbrechens (Id al-Fitr) begangen, das zwei bis vier Tage dauert.