Zum Hauptinhalt springen

"Das Fass ist knapp vor dem Überlaufen"

Von Clemens Neuhold

Politik
Flüchtlinge in der Arena Nova, wo sonst Metallica oder die EAV zu Gast sind.
© Jürg Christandl/KURIER

Der Bürgermeister von Wiener Neustadt sieht die Solidarität der Bürger am Kippen.


Wien. 250 Asylwerber hat der Bürgermeister von Wiener Neustadt, Klaus Schneeberger, in der Veranstaltungshalle "Arena Nova" untergebracht. Das brachte dem ÖVP-Politiker - nebst wütender Protestmails - die Drohung der FPÖ ein, die gemeinsame Stadtregierung zu sprengen. "Über mich ist ein Shitstorm gezogen." Damit ist er nicht alleine. Neos-Politiker und Hotelier Sepp Schellhorn erhielt in den Tagen, nachdem er sein Hotel in Bad Gastein Asylwerbern öffnete, zig Mails mit Inhalten wie "wir brennen Dir die Bude nieder!"

Verzerrtes Bild

In Niederösterreich ist man bei der Suche nach fixen Quartieren am Anfang. "Ohne Traiskirchen hat Niederösterreich eine Lücke. Da ist einiges verschlafen worden", sagt der Sprecher von Asyl-Landesrat Maurice Androsch (SPÖ). Schaut man sich die Aufteilung der Asylwerber nach Bezirken, wird deutlich: Die anderen niederösterreichischen Gemeinden profitieren vom Bezirk Baden, in dem Traiskirchen liegt. Dort sind 2800 Asylwerber untergebracht, 500 davon in Zelten, 500 ohne Matratze. Quotenerfüllung im Bezirk: 420 Prozent. Auch die Hauptstadt St. Pölten sticht mit 270 Prozent hervor. Die meisten anderen Bezirke, vor allem im Wein- und Waldviertel, sind blaue Flecken (unter 50 Prozent der Quote). So erfüllt Bruck an der Leitha die Quote zu neun, Zwettl zu 18 oder Hollabrunn - mit Radlbrunn, der Heimatgemeinde von Landeshauptmann Erwin Pröll - zu 40 Prozent. Die Quote für das gesamte Bundesland erfüllt Niederösterreich knapp, aber eben nur dank Traiskirchen. Ab 20. Juli wird das Lager durch Erstaufnahmezentren in anderen Bundesländern entlastet. Das heißt: Der Druck, die Quoten in Niederösterreich und seinen Bezirken zu erfüllen, steigt. Hat deshalb Pröll beim spektakulär geplatzten Asylgipfel den Kanzler-Vorschlag für Bezirksquoten abgelehnt - und das angeblich lautstark? Innerhalb der Koalition sollen die Quoten akkordiert gewesen sein.

"Bezirksquoten waren in Niederösterreich nie Thema, weil sinnlos", sagt dazu Schneeberger. "Ein Bezirkshauptmann hat kein politisches Durchgriffsrecht." Wichtig sei die Verteilung auf Gemeinden, wobei Quartiere von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich zur Verfügung stünden. Ohne touristische Infrastruktur wie im Waldviertel gebe es weniger aufgelassene Hotels oder Gasthäuser.

20 Flüchtlinge pro Dorf

Stattdessen will Niederösterreich auf eine Gemeindequote setzen, die am Kommunalgipfel beschlossen wurde. Diese favorisiert auch der Gemeindebund. Sie sieht zwei Asylwerber auf 100 Einwohner vor - bei einer 1000-Seelen-Gemeinde wären das 20 Asylwerber. Gezählt werden organisierte und private Unterkünfte. "Das ist sozial verträglich", sagt der Sprecher von Asyl-Landesrat Androsch. In der Praxis erfolge die Zuteilung einvernehmlich, "andernfalls kann eine Zuteilung von zwei Flüchtlingen je 100 Einwohner erfolgen", heißt es aus dem Büro Androschs. Das heißt also: theoretisch auch ohne Zustimmung des Bürgermeisters.

Pröll hat beim Gipfel 700 neue Asylplätze bis Ende Juli zugesagt. 1350 sollen es bis September sein. Geprüft wird auch die Unterbringung in Containern. Die niederösterreichische Bauordnung ermöglicht "Notfallquartiere in Krisenfällen" ohne Umwidmung von Gemeindegrundstücken.

Quartier auf, Quartier zu

In Horn beziehen gerade 100 Asylwerber ein aufgelassenes Pflegeheim. 100 weitere Asylwerber kommen in Gmünd, Heidenreichstein oder Amstetten unter. Doch beides zusammen reicht nicht einmal, um die 250 Plätze in der Arena Nova zu ersetzen. Dort stehen im Herbst wieder Veranstaltungen am Plan. Und täglich stellen 300 neue Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl in Österreich.

"Selbst wenn wir tausende Plätze schaffen, wie lange reichen die? Nun holen die Männer ihre Familien nach. Der Strom fließt immer weiter. Ich bin menschlich eingestellt. Aber das Fass ist knapp vor dem Überlaufen", sagt Schneeberger. "Klar gibt es noch Menschen, die helfen wollen, aber in der Breite der Bevölkerung orte ich eine gefährliche Grundstimmung." Wir kommen in eine Situation, in der Populismus immer größere Blüten treibt.

"Ich fürchte, die Mehrheit denkt wie Zeman." Der Präsident von Niederösterreichs nördlichem Nachbar hatte gemeint, Tschechien solle keine Flüchtlinge aus Afrika oder dem Nahen Osten aufnehmen, weil sie "kulturell entfernt" seien. Man solle "die aktuelle Kettenreaktion gleich zu Beginn stoppen". Länder wie Tschechien, aber auch die Slowakei oder Ungarn lassen Österreich derzeit im Regen stehen und verweigern in der Asylfrage ihre Solidarität. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi zeigte sich am Donnerstag beim EU-Gipfel fassungslos über die ablehnende Haltung vieler EU-Länder, Flüchtlinge zu übernehmen: "Wenn das Eure Vorstellung von Europa ist, dann könnt Ihr es lassen."

Prager Herbst

Schneeberger meint dazu: "Die Tschechen, Slowaken und Ungarn sollen sich daran erinnern, wie wir die Ungarnkrise aufgefangen haben oder im Prager Frühling geholfen haben. Es ist unfassbar, dass jene, die von unserem Humanismus profitiert haben, sich nun in Europa so positionieren, dass wir draufzahlen."

Niederösterreichs ÖVP-Klubchef sieht die Alpenrepublik als "menschliche Insel" in Europa, und Regionen wie Niederösterreich wegen der guten sozialen Rahmenbedingungen als "Magneten" und "erste Adressen für Flüchtlinge". Deswegen brauche man die Hilfe der Partner in Europa. "Für mich ist es in dieser Frage fünf nach 12."