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Sprung ins Analoge

Von Susanne Veil

Politik
Integration praktisch angewendet: Im TheaterFlucht sollen Kinder ankommen.
© Amina Lehner

Slacktivisten reicht ein "Like" als soziales Engagement. Aber warum nicht einmal ganz altmodisch selbst anpacken?


2863 Menschen haben bereits eine Willkommensbotschaft an Flüchtlinge in Traiskirchen geschrieben. Die Aktion "You are welcome" will unter dem Hashtag #Aufstehn Flüchtlinge in Österreich willkommen heißen. Der vorgeschlagene Willkommenstext beginnt mit "lieber Mitmensch" und endet mit "liebe Grüße". Dazwischen ist jeder aufgerufen, "ein paar nette Worte der Ermunterung" zu verfassen. Das geht schnell, ist bequem und mindert das schlechte Gewissen.

Während die einen das als adäquate Form des politischen Engagements ansehen, ist für andere das "Gut meinen" nicht genug. Mittlerweile gibt es sogar einen Begriff dafür: Slacktivismus (vom englischen Wort "slack" für "schlaff") ist die Suche nach dem ultimativen Wohlgefühl durch eine gute Tat, die weder die Hände schmutzig macht, noch Zeit oder Geld kostet. Die "Aktion" in "Aktivisimus" wird reduziert auf ein bloßes "Daumen hoch". Ein weiteres Beispiel: Als im Juni die gleichgeschlechtliche Ehe in den USA per Gerichtshofentscheid legalisiert wurde, färbten sich in Windeseile Facebook-Profilfotos auf der ganzen Welt regenbogenfarben. Wir liken die gute Sache und zeigen mit einem Klick, wie sehr wir die Vielfalt unterstützen. Das hat seine Berechtigung: Es braucht ja auch jede gut gemeinte Idee zu Beginn vor allem Aufmerksamkeit und viele Menschen, die weithin sichtbar Flagge zeigen.

Aber ist nicht das Entscheidende am guten Zweck, nun ja, ein Zweck? Vielleicht verpufft dieser, ins Digitale übertragen, automatisch zu Schall und Rauch? Für alle, die den Sprung ins Analoge wagen wollen: In Wien gibt es kulturelle Initiativen, die Flüchtlinge zu Spiel und Tanz auffordern, sie ins Museum einladen oder uns zum Musizieren bringen. Mal ist praktisches Mitanpacken, mal auch nur physische Teilnahme gefragt.

Trommeln im Keller

Im Keller ist es heiß. Das scheint den Trommlern aber erst so richtig einzuheizen. Alle werden zum Tanzen aufgefordert. Aber das Dhal auf dem Teller kann unterdessen ohnehin nicht kälter werden als Raumtemperatur. Im Wiener Deewan in der Liechtensteinstraße ist heute KAMA Jam. KAMA steht für "Kursangebote von Asylsuchenden, MigrantInnen und Asylberechtigten". Eine bestimmte Logik wird hier umgekehrt: Wir sind es, die etwas lernen können von Menschen, die nach Österreich kommen. Darum sitzt jetzt also Maria mit krausen silbernen Haaren, angeleitet von David auf der Liegewiese im Wiener Deewan und jammt Shakiras "Waka Waka".

Bereits seit sieben Jahren gibt es KAMA in Wien. Inzwischen sind Graz, Linz und Salzburg dazugekommen, demnächst wird es auch ein Kursangebot in Innsbruck geben. Es geht darum, Asylsuchenden das "Bühnengefühl" zu geben, so nennt es Sonja Pargfrieder, eine der Vereinsgründerinnen. Wer sonst oft darum kämpfen muss, überhaupt eingelassen zu werden, wird hier in den Mittelpunkt gestellt. Angesetzt wird da, wo eine Arbeitserlaubnis fehlt. Denn ohne Betätigung fällt vieles andere weg: Kontakte, ein Grund zum Aufstehen, die Möglichkeit Beziehungen zu knüpfen - was eben passiert, wenn man unter Menschen geht. So gibt es Kochabende, Fußballmannschaften, Tanz-, Musik- und Sprachkurse geleitet von Asylsuchenden. Die Kurse sind kostenlos, Spenden gehen zu 100 Prozent an die Kursleitenden. "Was mir noch fehlt," so Pargfried "ist ein internationaler Singkurs, wo jeder ein Lied in seiner Muttersprache mitbringt - das wäre mein Traum."

Dolmetscher und Dichter

Ähnliche Ambitionen hat Yama Saberin: "Ich möchte, dass alle Leute voneinander lernen. Das ist mein Ziel." Er wollte, dass Afghanen und Afghaninnen das Schauspielen lernen, nicht nur dabei zusehen. Also gründete er im Dezember 2014 das Afghan Cinema Theater. Schauspiellehrer ist Vahid Negah, der erst vor einem Jahr aus dem Iran nach Wien kam. Saberin versteht das Afghan Cinema Theater als Schauspielschule für jeden. Afghanen, Pakistani, Inder und Iraner proben nun gemeinsam im Afro-Asiatischen Institut. Es wird Persisch gesprochen oder Paschtu. Aber die Sprache wird hier nicht zum Problem, er könne notfalls auch übersetzen, denn Saberin arbeitet als Dolmetscher bei der Caritas.

Derzeit dreht das Afghan Cinema Theater einen semi-dokumentarischen Film über Flüchtlinge. Das Drehbuch hat Saberin selbst geschrieben - er spielt einen jungen Dichter. Aufführungen gibt es leider noch keine, dafür fehlt das Geld. Aber spätestens den Dokumentarfilm können sich dann alle anschauen, dank deutscher Untertitel.

Tanzen ohne Worte

Sprache trennt auch beim TheaterFlucht niemanden: 20-25 Kinder aus asylsuchenden Familien werden diesen Sommer wieder im WUK für zwei Wochen tanzen und spielen. Von ehrenamtlichen Helfern begleitet, geht das integrative Ferienprojekt in die dritte Runde. Einige der Kinder sind heuer bereits zum dritten Mal dabei. Natürlich gebe es unter den Teilnehmenden auch einen Wechsel, so Susanne Sulig, schließlich sind manche Kinder einfach nicht mehr da, weil sie kein Asyl bekommen haben. Umso schöner ist es, wenn Teilnehmer im nächsten Jahr wieder kommen. Die Umgangssprache ist Deutsch, Tanzen braucht aber ohnehin nicht viele Worte, weiß die Kultur- und Sozialanthropologin. Die Idee hat sie vor zwei Jahren aus der Schweiz mitgebracht. Für das TheaterFlucht braucht sie auch diesen Sommer wieder viele helfende Hände: Tanz- und Theaterpädagogen, Freiwillige, die die Kinder morgens abholen und abends wieder ins "Freunde schützen Haus" bringen. Selbst wer mit Kindern nichts am Hut hat, wird gebraucht, schließlich muss irgendjemand dafür sorgen, dass 30-40 hungrige Mäuler verköstigt werden. Integration funktioniert hier ganz praktisch und nebenbei. Am schnellsten sieht man das an der Sprache. So weiß Sulig von Kindern zu berichten, die am Anfang kaum ein Wort Deutsch konnten und nach zwei Wochen bereits einige Sätze verstanden.

Spezis fürs Museum

Die gemeinnützige Aktion Hunger auf Kunst und Kultur vermittelt da, wo Kulturinstitutionen und Sozialeinrichtungen aneinander vorbei arbeiten. Kulturpässe erlauben Menschen, die in Wien unter der Armutsgrenze leben, den freien Eintritt ins Museum. Gerade weil das Kulturangebot in Wien so groß ist, entsteht aber leicht ein undurchdringlicher Dschungel an Informationen. Was dagegen helfen soll, ist das von der Aktion vermittelte Projekt "Kulturbuddy" der Caritas. Denn mitgenommen werden, ist einfacher, als alleine losgehen. Gefragt sind Menschen, die ihr Interesse fürs Museum, die Oper oder das Fußballstadion gerne teilen möchten. Die "Buddies", also Spezis, werden in Informationsveranstaltungen und Workshops vorbereitet und dann einer Sozialeinrichtung zugeteilt, bei der sie Gruppen für Unternehmungen bilden. Für etwa ein Jahr sind solche Kulturpartnerschaften gedacht. Denn ein richtiger Buddy wird man nicht von heute auf morgen.

Dolmetscherin Anahita Tasharofi und Fotograf Sammy Zayed hatten genug Geschichten von jungen Menschen auf der Flucht gehört. 2013 gründeten sie die Initiative "Flucht nach vorn". Sie richtet sich an Jugendliche, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten und nun in betreuten Wohngemeinschaften, wie zum Beispiel der Caritas, leben. Ein Programm vom Fotokurs über Gitarrenstunden bis Apfelstrudel backen wird angeboten. Es werden Wände bunt angemalt und Partys geschmissen. Wer etwas gut kann, vom Häkeln oder Beatboxen, ist eingeladen, sein Wissen herzugeben und so zu vervielfachen.

Die Vielfalt der Nachbarschaft

Kunst ist ein Menschenrecht! Das fordern die Macher der Brunnenpassage. Sie stört, dass Menschen mit geringeren Bildungschancen, niedrigerem Einkommen und Migranten im Kulturbetrieb unterrepräsentiert sind. Seit 2007 wird zu kostenlosen Veranstaltungen in den KunstSozialRaum geladen. In der ehemaligen Markthalle am Yppenplatz findet damit ein Kulturprogramm statt, dass es sich zum Anspruch gemacht hat, der Vielfalt des Grätzels drumherum in nichts nachzustehen. Jeder soll Zugang zu den Ausdrucksmöglichkeiten bekommen, die die Kunst bietet. Diese Möglichkeiten sind groß, vom DJane-Workshop (für Frauen ab 16) über die Erzählsession (jeder kann spontan eine Geschichte erzählen) bis zum Tanzkaraoke (Tanzvideo nachtanzen). Und nebenbei lernt man im allgemeinen Miteinander vielleicht gerade seine Nachbarn kennen.

Und das ist schließlich der Punkt bei solchen Kultur-Initiativen: Erst durch das Kennenlernen wird aus dem Flüchtling aus den Katastrophenmeldungen auch tatsächlich ein "lieber Mitmensch". Was zeigt das uns Slacktivisten? Den Daumen hoch recken ist gut, aber manchmal braucht es auch den Rest der Hand, um mit anzupacken, damit die analoge Welt auch nur halb so regenbogenfarben wird wie unsere Facebook-Profile.

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Kama
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