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Asylquartiere werden Bundessache

Von Jan Michael Marchart

Politik

Kanzler und Vizekanzler wollen Länder per Verfassungsänderung zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen.


Wien. Während Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) im überfüllten Erstaufnahmezentrum einen Aufnahmestopp erteilte, präsentierten Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ihr Programm "zur Minimierung" des Problems bei der Flüchtlingsunterbringung. "Lösen wird schwierig", sagte Mitterlehner. Beide betonten am Freitag, dass Zusammenarbeit in dieser Sache wichtig ist. Alleine könne man nichts gewinnen.

Der Bund pocht demnach auf mehr Kompetenzen auf Länder- beziehungsweise Bezirks- und Gemeindeebene. Dafür soll eine Verfassungsänderung her, damit der Bund künftig selbst Asylquartiere errichten kann, wenn die Länder bei der Unterbringung säumig bleiben. Das betrifft ausschließlich Liegenschaften, die im Einflussbereich des Bundes stehen. Eine Unterbringungsquote von ein bis zwei Prozent pro Einwohnerzahl auf die Gemeinden (ab 2000 Einwohnern) soll dafür heruntergebrochen werden. Das würde bedeuten, dass auf diese Weise 83.000 bis 166.000 Plätze geschaffen werden können. Der zuletzt eher passive Bund nimmt das Problem mit den Asylquartieren in Österreich nun selbst in die Hand. Eine Hürde für die Regierung könnte noch sein, dass etwa die Hälfte der Gemeinden in Österreich (etwa 1160 Anm.) unter 2000 Einwohnern haben und aus der Regelung fallen.

Bereits ab Oktober soll das Gesetz gelten. Für den Initiativantrag brauchen SPÖ und ÖVP eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat - also die Grünen oder die Freiheitlichen, die aber bereits abgewunken haben. Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig signalisierte Verhandlungsbereitschaft, "wenn ein sinnvolles Gesetz zur menschenwürdigen Versorgung von Schutzsuchenden vorgelegt wird. Den Vorschlag werden wir uns diesbezüglich genau ansehen". Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun pflichtete bei und führte auf Twitter aus: "Endlich will die Regierung Verantwortung übernehmen." Die FPÖ wiederum will bei der "Entmündigung" von Ländern und Gemeinden nicht mitmachen, wie Heinz-Christian Strache bekannt gab. Er forderte einmal mehr Grenzkontrollen und "konsequente Abschiebungen".

Faymann: "Schwerer Eingriff"

Aber ist eine Verfassungsänderung bis Oktober möglich? Verfassungsjurist Heinz Mayer: "Die Entscheidung hängt von den Parteien ab. Die Regelung des Benzinpreises in den 90er Jahren hat man innerhalb weniger Tage verfassungsrechtlich geändert. Wenn man will, geht das ganz schnell."

Faymann räumte indes einen "schweren Eingriff" in die Verfassung ein, da für Widmungen und baubehördliche Verfahren derzeit Gemeinde oder Bundesland zuständig sind. Den Eingriff kritisierte etwa Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ). In den Ländern soll es für die Verfassungsänderung aber nach den Worten Faymanns eine "gewisse Grundbereitschaft" geben.

Laut Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) war die Entscheidung des Bundes erwartbar. "Wir haben immer an die Gemeinden appelliert, sich diesem Thema selbständig anzunehmen und das Heft in der Hand zu behalten. Das ist nicht passiert", sagte Kaiser. Durch den Eingriff des Bundes würde sich die Unterbringung in den Gemeinden in einer anderen Größe bewegen als bisher. In Kärnten würde man 20 bis 50 Personen gleichzeitig unterbringen. "Die Priorität des Bundes ist sicher höher." Kaiser glaubt, dass die Stimmung in den Gemeinden schlechter werden könnte, als sie das ohnehin schon ist.

Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) pflichtet Kaiser bei und fordert eine "gute Informationsarbeit in Richtung der betroffenen Gemeinden". Die Bürgermeister dürften nicht entmündigt werden. Gemeinde-Quoten sieht er als "Richtsätze", bestehende Integrationsaufgaben müssen berücksichtigt werden.

Auch eine Befristung der neuen Verfassungsnovelle ist bei Ländern wie Regierung Thema. Faymann spricht von drei bis vier, Mitterlehner von zehn Jahren. Das Thema werde Österreich schließlich noch länger beschäftigen, sagte Mitterlehner. Kärntens Landeshauptmann Kaiser hält etwa ein Jahr für adäquat, da man sonst keinen Druck mehr auf die EU ausüben könne. Offenbar befürchtet er, dass man in Brüssel zum Schluss kommt, dass Österreich wieder über Aufnahme-Kapazitäten verfügt. Dieser Punkt wird also noch zu klären sein.

Die Regierung möchte den Ländern mit einer Frist signalisieren, dass man sie nicht dauerhaft überstimmen wolle. "Wir tragen das Problem nicht zu jedem Bürgermeister", versichert Vizekanzler Mitterlehner. Nur dorthin, meint er, wo die Quote nicht erfüllt werde. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer zeigt sich "vorsichtig optimistisch", was die Regierungspläne betrifft. Österreich müsse sich aber endlich Gehör auf EU-Ebene verschaffen. "Es kann nicht sein, dass die Lasten der humanitären Hilfe auf wenige europäische Länder verteilt werden, während Nachbarländer, verglichen zu uns, nur einen winzigen Bruchteil aufnehmen." Niessl fordert zudem die Anerkennung des Westbalkan als sichere Drittstaaten, "damit von dort keine Arbeitsflüchtlinge kommen und Kriegsflüchtlinge entsprechend Platz haben". Er ist auch für Rückführungen von Personen ohne Asylstatus. Das wäre in den vergangenen Jahren zu selten passiert und wäre Grund dafür, "dass viele nach Österreich wollen."

Nun höherer Tagsatz

Eher skeptisch zeigte sich auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), der bei allfälligen Maßnahmen auf ein Einvernehmen mit den Ländern und Gemeinden pocht. Den Entwurf erst einmal abwarten will das Land Salzburg. In Vorarlberg begrüßt man den eingeschlagenen Weg. Das Durchgriffsrecht für Widmungen hat man Vorarlberg mit einer Änderung des Baugesetzes im Landtag schon vorweggenommen.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Pröll waren von dem Paket angetan. Besonders wichtig sei Häupl die angekündigte Erhöhung des Tagsatzes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ab heute stehen diesen 95 (statt bisher 77) Euro pro Tag zur Verfügung. Mit mehr Geld könne man die Sache besser organisieren, meinte Häupl. Die jährlichen Mehrkosten dafür werden von der Regierung mit 32 Millionen Euro beziffert.

Abseits der Länder begrüßte neben Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer auch die zuständige Innenministerin Johanne Mikl-Leitner (ÖVP) die Maßnahmen. Sie seien "der Schlüssel zur nachhaltigen Lösung unserer Herausforderungen", so die Ministerin. Vorrang habe die Entlastung Traiskirchens. Etwa durch die direkte Übernahme von Flüchtlingen durch NGOs. "Oberste Priorität" dabei hätten obdachlose Frauen und Kinder. Für diese sollen künftig 100 Zimmer mit insgesamt 300 Plätzen in der dortigen Sicherheitsakademie auf dem Areal des Erstaufnahmezentrums zur Verfügung stehen, aus der Polizeischüler ausgezogen sind.

Faymann und Mitterlehner kündigten zudem die Einrichtung einer Asyl-"Taskforce" an. Diese wird von beiden geführt. Weitere Mitglieder sind Innenministerin Mikl-Leitner, Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ), Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) sowie Josef Ostermayer (SPÖ), "Verfassungsminister" im Kanzleramt. Die Taskforce soll die Innenministern unterstützen und jede Woche nach dem Ministerrat tagen, allenfalls unter Beiziehung von Experten.

Die Regierung betonte einmal mehr, dass es eine "gemeinsame europäische Linie" brauche - mit einheitlichen Positionen zu Grenzschutz, Entwicklungsprogrammen in den Herkunftsländern und der Aufteilung von Asylwerbern auf die Mitgliedstaaten. Faymann und Mitterlehner sagten auch, nicht glauben, das Problem nun hierzulande gelöst zu haben. Letztlich wiesen sie auch darauf hin, dass die Länder Anstrengungen unternommen hätten, gereicht habe es aber nicht. Von den bis Ende Juli vereinbarten 6500 Plätzen stünden nur 3400 zur Verfügung.