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Aufschrei der schweigenden Mehrheit

Von Katrin Pointner und Susanne Veil

Politik

Der politische Druck auf die Bundesregierung wurde auch von der Zivilgesellschaft und den Hilfsorganisationen erzeugt.


Wien. "Die schweigende Mehrheit sagt Ja". Seit vergangenem Sonntag halten Aktivisten und Künstler eine Mahnwache vor der Wiener Staatsoper ab, um auf die Missstände in Traiskirchen aufmerksam zu machen. Zudem versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einer Demonstration vor dem Aufnahmelager.

Amnesty International (AI) kündigte indes für die nächste Woche eine Überprüfung des überfüllten Asylzentrums an. Die Künstlerinitiative "IG Autoren" befinden in einer Aussendung die Situation in Traiskirchen für "unerträglich". Der Druck der Öffentlichkeit auf die Politik, endlich tätig zu werden, stieg in der vergangenen Woche enorm an.

Nun kommt die Regierung in die Gänge. Doch warum erst jetzt? Die Dramatik der Lage sei schon seit Monaten bekannt gewesen, sagt Michael Genner, Obmann von "Asyl in Not". Trotzdem haben sich Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) erst jetzt eingeschaltet. Bei einer Pressekonferenz am Freitag gaben sie bekannt, eine Verfassungsänderung in die Wege zu leiten, die die Kompetenzen in der Frage der Flüchtlingsunterbringung in die Hände des Bundes legen soll. Länder und Gemeinden würde es dann schwerer fallen, sich bei der Bereitstellung von Quartieren querzulegen. Zusätzlich wurde die Erhöhung des Betreuungsgeldes für jugendliche Flüchtlinge verkündet, von bisher 77 Euro auf 95 Euro.

Als "längst überfällig" bezeichnet Alexander Pollak, Sprecher von "SOS Mitmensch", die neuerlichen Schritte der Regierung beim Asylthema. Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Auch die Organisationen "Asyl in Not" und "Asylkoordination" hätten sich bereits viel früher eine Intervention seitens der Bundesregierung gewünscht.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist aber getan, sind sich die Vertreter der österreichischen NGOs (Nichtregierungs-Organisationen) einig. Skepsis sei dennoch angebracht, solange noch keine konkreten Maßnahmen seitens des Bundes ergriffen würden.

"Ein Verdienst der Zivilgesellschaft"

Als Ursache für den plötzlichen Stimmungswandel in der Regierung benennt SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak das Engagement der Zivilgesellschaft und der Hilfsorganisationen, die in den letzten Wochen den politischen Druck durch diverse Aktionen erhöht hätten. "Der Aufschrei der schweigenden Mehrheit" war, laut Asyl-in-Not-Obmann Genner ausschlaggebend für den Richtungswechsel der Politik in der Flüchtlingsfrage: Mehr Geld für Flüchtlinge. Menschenwürdige Unterbringung. Dies sei ein Verdienst der Zivilgesellschaft, ist sich Genner sicher.

Amnesty-Sprecher Heinz Patzelt befürwortet das starke Engagement der Bevölkerung, verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass die Einhaltung der Menschenrechte in einer funktionierenden Demokratie wie Österreich selbstverständlich sein sollte.

Warum die jetzt ergriffenen Maßnahmen nicht bereits viel früher zur Anwendung kamen, darüber existieren unterschiedliche Ansichten. Dass die Regierung, allen voran Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), eine "Eskalationsstrategie" verfolge, kann sich Herbert Langthaler, Mitarbeiter der Asylkoordination, durchaus vorstellen.

Für Genner ist die Situation eindeutig: "Die Lage sollte eskalieren". Mikl-Leitner habe demnach absichtlich eine Eskalation herbeigeführt, um Österreich als Zufluchtsort für Flüchtlinge weniger attraktiv zu machen. Die dramatischen Zustände in Traiskirchen seien nicht aufgrund mangelnder Fähigkeiten der Politik entstanden. Eine Eskalation sei gewollt, sagt der Asyl-in Not-Obmann. "Die Probleme könnten innerhalb eines Tages gelöst werden." Doch der politische Wille fehle, so Genner. Das "politische Hick-Hack" verärgert auch Langthaler, dessen Organisation "Asylkoordination" neben vielen anderen bereits seit Monaten für ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingsfrage plädiert.

Maßnahmen "besserspät als nie"

Bei der Diakonie ist man nicht bereit, die politische Motivation hinter der Zuspitzung der Lage zu kommentieren. In jedem Fall sei man froh, dass sich etwas bewege, so der Geschäftsführer des Diakonie Flüchtlingsdienstes, Christoph Riedl. Die am Freitag verkündeten Maßnahmen bezeichnet er als "möglicherweise nicht ausreichend". Einige Vorschläge seien von NGOs bereits vor Monaten in die Debatte eingebracht worden. Doch auch hier zeigt er sich pragmatisch: "Besser spät als nie." Dass sich die Regierung gerade jetzt bewege, dafür sei nach Riedls Einschätzung vor allem die Ankündigung von Amnesty International ausschlaggebend. Die Lage in Traiskirchen werde nun über die Grenzen Österreichs hinaus diskutiert, und somit seien die Regierungsparteien zum Handeln gezwungen. Am Donnerstag hatte Amnesty laut Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt vom Innenministerium die Erlaubnis erhalten, die Zustände in der Erstaufnahmestelle aus menschenrechtlicher Sicht zu überprüfen. In der Folge war nicht nur vom "Standard", sondern auch vom deutschen Wochenmagazin "Spiegel" über die geplante Überprüfung Traiskirchens durch ein Team der Menschenrechtsorganisation berichtet worden. Der genaue Termin für die Begehung stand Freitagnachmittag noch nicht fest.

Durch die sofortigen Maßnahmen verspricht sich Riedl eine "erste Entlastung" der Lage. Auch Caritas-Generalsekretär Alexander Bodmann bewertet die Regierungsinitiative positiv: "Endlich wird politische Verantwortung übernommen." Bodmann wünscht sich aber auch, dass mittelfristig Maßnahmen ergriffen werden. Hier fehle noch immer ein Plan. Dazu werde eine "intensive Diskussion zwischen Ländern, Gemeinden und NGOs" gebraucht. Hier kann es nicht nur um die Unterbringung gehen, sondern es seien ebenfalls Intergrationsmaßnahmen vonnöten.

"Asyl ist einMenschenrecht"

Insgesamt begrüßen die österreichischen NGOs den Vorschlag der Innenministerin, die Betreuung der Asylwerber an Hilfsorganisationen zu übergeben. Es sei jedoch eine politische Aufgabe, diese Menschen adäquat zu versorgen. Caritas-Generalsekretär Bodmann stellt klar: "Asyl ist ein Menschenrecht."

Die Politik sieht er in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieses Recht eingehalten wird. NGOs aber sind natürlich dazu bereit, unterstützend einzugreifen, "wenn man uns nur lässt".