Zum Hauptinhalt springen

Heimat als Höchststrafe für Dschihadisten

Von Clemens Neuhold

Politik
Ramzan Kadyrow: Heim zu diesem Mann?

Was passiert mit verurteilten Tschetschenen, die vor dem Krieg nach Österreich flüchteten, um IS-Krieger zu werden?


Wien. Fünf Jahre. Die Höchststrafe für einen Austro-Dschihadisten. Der Verurteilte, der 30-jährige Magomed Z., soll sich laut Richter 2013 einem Vorläufer der Terrororganisation IS angeschlossen haben. Dann kehrte er zurück nach Österreich, um seine Sehschwäche zu behandeln. Es klickten die Handschellen.

Wie berichtet, geht die heimische Justiz härter als andere EU-Länder gegen Gotteskrieger vor. Für eine Verurteilung nach Terrorparagrafen 278 kann es bereits genügen, dem IS auf Facebook zu huldigen oder sich auf den Weg ins Kampfgebiet zu machen. Alleine heuer wurden 17 Personen verurteilt. 21 weitere Personen klagte die Staatsanwaltschaft an.

Dschihadist sitzt nicht anders in Haft als ein Tourist

Die Prozesswelle rollt und auffällig viele Tschetschenen landen in den heimischen Gefängnissen. Sie stellen die größte Gruppe der rund 200 Austro-Dschihadisten und der bald 40 Gotteskrieger hinter rot-weiß-roten Gittern. Meist sind es Asylwerber, die Anfang der 2000er vor dem "eigenen" Krieg in der Heimat flüchteten - um sich später einem "fremden" Terror-Krieg in Nordsyrien anzuschließen. Viele Leser der "Wiener Zeitung" stellten nun die Frage, warum die Dschihadisten nicht abgeschoben werden und ihre Strafe in der Heimat verbüßen, anstatt in Österreich die Gefängnisse zu belegen. Das koste ja auch Steuergeld.

Josef Schmoll vom Justizministerium sagt zur "Wiener Zeitung": "Wenn das Delikt in Österreich begangen wird, ist die Strafe in Österreich zu verbüßen." Das sei in ganz Europa Usus. Ein österreichischer Tourist, der in Griechenland eine Bank überfällt, würde auch dort ins Gefängnis kommen.

Pro Jahr werden 130 Menschen in die Gefängnisse ihrer Heimat überstellt, allerdings auf eigenen Wunsch und erst nach Verbüßen der halben Strafe. Es handelt sich meist um rumänische, ungarische oder kosovarische Straftäter, die in Österreich keine sozialen Bindungen haben und deswegen noch als Häftlinge in die Nähe ihrer Verwandten wollen.

Wenn Schutzsuchendezur Gefahr werden

Für die Fremdenpolizei ist es theoretisch unerheblich, ob die Häftlinge ihre Strafe schon abgebüßt haben. Nicht einmal eine Verurteilung führt zwingend dazu, Flüchtlingen ihren Asylstatus wegzunehmen. Laut Paragraf 6 und 7 des Asylgesetzes kann jemand sein Asyl verlieren, wenn er "eine Gefahr für die Republik Österreich darstellt" oder er "wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist".

Ein Sprecher des Innenministeriums sagt zur "Wiener Zeitung": "Natürlich ist die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein schweres Verbrechen. Außerdem kann sie eine Gefahr für die Republik darstellen. Deswegen wird in jedem Fall die Asyl-Aberkennung geprüft."

Seit Jahresbeginn haben die Fremdenbehörden 171 Verfahren eingeleitet. 84 Personen haben ihr Asyl bereits verloren. Zehn klagten dagegen.

Dschihadist nebenEinbrecher

Fast 60 Verfahren richten sich gegen Tschetschenen. "Darunter sind auch Dschihadisten, statistisch sind diese jedoch nicht einzeln erfasst." Das heißt, es können auch andere Verurteilte darunter sein, wie Angehörige der sogenannten Goldenberg-Bande. Die auf Facebook gut vernetzte Jugendbande hat sich um einen harten Kern an Tschetschenen gebildet, der später auch Supermärkte mit Waffen ausraubte.

Wer sein Asyl verliert, kann abgeschoben werden. Wie viele der 850 Personen, die heuer bereits gehen mussten, ehemalige Flüchtlinge sind, weist die Statistik nicht aus. Ihre Strafe müssen sie wie erwähnt jedenfalls zuerst in Österreich absitzen. Vor tschetschenischen Gefängnissen müssen sie sich also nicht fürchten.

Allerdings lassen die Behörden beim Abschieben selbst für potenzielle IS-Kopfabschneider Gnade walten, wenn ihnen daheim Folter oder Tod drohen. "Nach Syrien gibt es keinerlei Rückführungen", sagt der Sprecher des Ministeriums. Bei Gebieten wie Afghanistan oder Tschetschenien komme es auf den Einzelfall an. 2013 hat das Ministerium Beamte auf eine "Fact Finding Mission" nach Tschetschenien geschickt. Fazit des Berichts: "Sozioökonomisch ist eine vorsichtig positive Entwicklung zu verzeichnen."

SchwarzesInfo-Loch

2013 kehrten 630 Personen freiwillig nach Tschetschenien zurück. Damit waren sie die größte Gruppe der Rückkehrer. Hunderte weitere folgten 2014. Doch noch immer überwiegt die Zahl jener, die weggehen. Rund 1500 Tschetschenen stellten 2014 einen Asylantrag in Österreich, doch nur noch ein Viertel darf bleiben. "Auch wenn sie abgenommen haben - es gibt nach wir vor Fälle, in denen tatsächlich von Schutzbedürftigkeit auszugehen ist", heißt es aus dem Innenministerium. Bei den Rückkehrern in die Heimat handelt es sich nicht selten um ältere Verwandte, die als Touristen kommen und Asyl anmelden, im Wissen, dass sie bald wieder gehen müssen.

Die Menschenrechtslage im Reich des Putin-Statthalters Ramzan Kadyrow ist mehr als unübersichtlich. Menschenrechtsaktivisten werden in der russischen Teilrepublik bedroht, eine der letzten verbliebenen Büros wurde im Juni von Maskierten verwüstet.

Die Angst, vom Flughafen in Moskau weg verhaftet zu werden, geht unter Austro-Tschetschenen noch immer um. "Die Steckbriefe gibt es sicher noch", sagt einer, der seit über zehn Jahren in Österreich lebt. "Die vergessen niemanden, der gegen russische Soldaten gekämpft hat." 2012 wurde ein Asylwerber trotz Warnung seiner Betreuer abgeschoben und landete für 15 Jahre in einer russischen Strafkolonie.

Islamisten erwartet eine besonders harte Hand. Der einst von arabischen Wahhabiten ins Land getragene Islamismus hat den tschetschenischen Nationalismus als Widerstandsform gegen die Russen und ihren Statthalter Kadyrow längst abgelöst. Ziel ist ein Kaukasus-Emirat. Immer wieder kommt es zu Attentaten wie zuletzt in der Hauptstadt Grozny. Kadyrow macht daheim Jagd auf die Islamisten, die er "Teufel" nennt. So wird Heimat zur Höchststrafe für Dschihadisten.