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Einspringen für den Staat

Von Levin Wotke

Politik
Levin Wotke (2), Jasmin Ziegler (2)

Die Caritas sammelt seit Ende Juni für obdachlose Flüchtlinge in Traiskirchen. Ein Lokalaugenschein.


Traiskirchen. Vor einem unscheinbaren Gebäude in der Traiskirchner Otto-Glöckel-Straße versammelt sich Samstag Mittag eine Menschentraube. An dem Haus mit ausgeblichener Fassade weisen lediglich zwei Schilder auf einen türkischen Supermarkt und ein islamisches Kulturzentrum hin. Neben dem Haus versperrt ein breites Metalltor den Weg zur Einfahrt. Nach zweimaligem Klopfen öffnet Ali Al-Muslim, ein junger Mann mit Kinnbart, T-Shirt und roter Baseballkappe, lächelnd das Tor. Dahinter liegt ein kleiner Hinterhof, der fast zur Gänze von einem weitläufigen Plastikzelt eingenommen wird.

Hier sitzen eine Handvoll junge Männer, schauen auf ihre Handys und öffnen Neuankömmlingen die Tür. Im Zelt selbst herrscht Betriebsamkeit zwischen hohen Stapeln von Kartonkisten und zahllosen Kleidungsstücken. Seit Juni organisiert die Caritas hier Sammelaktionen für Flüchtlinge des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen. Etwa 30 Freiwillige haben sich an diesem Samstag um die Mittagszeit im Zelt eingefunden. Sie stehen an Bierbänken, falten T-Shirts, sortieren Hygieneartikel und verpacken sie in Papiersäcke für Männer, Frauen oder Babys.

Dann werden die gefüllten Kisten gestapelt. "Tetris ist ein Dreck dagegen", sagt einer der Freiwilligen keuchend und meint das Videospiel mit ähnlicher Aufgabe. Ali, der uns die Tür geöffnet hat, ist selbst Flüchtling und unterstützt die Caritas bei ihrer Arbeit. Der junge Iraker ist seit fünf Monaten in Traiskirchen. Weil seine Mutter Schiitin ist, musste er flüchten. Nach einer Flucht per Anhalter und zu Fuß durch die Türkei, Griechenland, Serbien und Mazedonien kam er im März in Traiskirchen an. Und weil er seinen Transfer in eine Grundversorgungseinrichtung verpasst hat, schläft er nun im Freien. Zurück ins Erstaufnahmezentrum darf er nicht, sagt er.

Freiwillige packen mit an

Gisela Titelbach stapelt ebenfalls freiwillig und ehrenamtlich Kisten im Zelt im Hinterhof. Die junge Frau ist bereits zum zweiten Mal für die Caritas-Aktion (sie nennt sich "Caritas Omni.Bus") im Einsatz. Sie tut dies, obwohl sie eigentlich findet, dass die Verantwortung dafür beim Staat liege. Dass er dieser nur ungenügend nachkomme, "sollten aber nicht die betroffenen Menschen ausbaden müssen", findet Gisela. Da packt sie lieber selber mit an.

Um 16 Uhr beginnt die Ausgabe der Hilfsmittel. Helfer tragen die Kartons aus dem Hinterhof hinaus einmal um die Straßenecke. Von hier sieht man das Gelände des Erstaufnahmezentrums, vor dem dutzende Zelte auf der Wiese stehen. Vor dem Eingang steht ein weißer Kastenwagen der Caritas, vor dem die Ausgabe stattfindet. Mittlerweile hat sich eine 20 Meter lange Schlange gebildet.

In den Tagen zuvor hatten Mitarbeiter der Caritas eine begrenzte Anzahl blauer Tickets an obdachlose Flüchtlinge ausgeteilt. Mit diesen können sie am nächsten Tag Hilfsmittel abholen. Die Ausgabe erfolgt hektisch. Ali hat nun die Rolle des Dolmetschers für Arabisch ins Englische. Die Freiwilligen nehmen blaue Tickets entgegen, im Gegenzug verteilen sie die Hilfspakete. Die Flüchtlinge wiederum stehen mit suchendem Blick vor ihnen und versuchen, zu erklären, was sie benötigen. Auf der anderen Straßenseite sitzen am Gehsteig jene, die entweder keine Tickets mehr bekommen haben oder deren Angehörige gerade bei der Ausgabe sind. Ein Mann kommt mit einem weißen Papiersack mit der Aufschrift "Für Babys" zu seiner Frau und einem Kind im Kinderwagen. Immerhin Windeln, Feuchttücher, Sonnencreme haben sie jetzt - die einfachsten Hygieneartikel sind offensichtlich Mangelware.

Ministerium kalmiert

"Die Situation in der Erstaufnahmestelle ist in Wirklichkeit eine humanitäre Tragödie", sagt Caritas Geschäftsführer Klaus Schwertner. Der Kastenwagen steht seit Juni in Traiskirchen. Laut Schwertner helfen täglich Tag 30 bis 50 Ehrenamtliche vor Ort, um Hilfsmittel zu sortieren und auszuteilen; zusätzlich setzt die Caritas auf Sachspenden und Geldspenden. "Man hat das Gefühl, die Bevölkerung muss einspringen, wo der Staat versagt", sagt Schwertner. Aus dem Innenministerium klingt das so: "Grundsätzlich sind die Menschen versorgt und das, was es an Bedürfnissen gibt, wird staatlich organisiert abgedeckt", sagt der Sprecher des Ministeriums, Karl-Heinz Grundböck. Warum sich dann Personen für hygienische Grundversorgung anstellen? "Ich habe andere Rückmeldungen", erwidert Grundböck.

Gegen 18 Uhr ist die Aktion für heute vorbei, die Freiwilligen bauen ab, gehen zurück zum Sammelplatz. Ali sitzt mit anderen Flüchtlingen im Zelt auf Bänken, sie scherzen mit den Helfern. Nächste Woche werden sie wieder hier sein: Österreicher wie Flüchtlinge. Sobald wird sich die Situation wohl nicht ändern.

Omni.Bus

Die Caritas sucht freiwillige Helfer zum Sortieren von Sachspenden in Traiskirchen. Anmeldungen hier: https://doodle.com/giwxdhuwpaynu6df