Zum Hauptinhalt springen

Wie ein Tunnel Brunnen versiegen lässt

Von Matthias Winterer

Politik

Ein Gutachten legt nahe, dass die Asfinag beim Ausbau der S10 eine Grundwassersenkung in Kauf nahm.


Linz. Wo noch vor wenigen Jahren Wasser über die Steine des Bachbettes sprudelte, Sumpfdotterblumen auf saftigen Feuchtwiesen blühten und die Felder der Bauern ertragreiche Ernten abwarfen, herrscht nun Trockenheit und Dürre. Der Grund dafür ist nicht die anhaltende Hitzewelle, sondern der Bau eines weitläufigen Straßenprojekts. Aber beginnen wir von vorne.

In Oberösterreich wird die neue Trasse der Schnellstraße S10 bis zur Grenze nach Tschechien gezogen. Das vierspurige Asphaltband läuft beinahe eben durch die hügelige Gegend des Mühlviertels. Tunnel werden gegraben, Unterflurtrassen in die Landschaft geschlagen, riesige Erdmassen bewegt. Die Bauarbeiten laufen auf Hochtouren. Ende des Jahres soll eröffnet werden.

Doch während die Politik die neue Schnellstraße feiert, wird ein gravierendes ökologisches Problem immer eklatanter. Denn den Bewohnern der Ortschaften über dem längsten Tunnel des Straßenprojekts geht allmählich das Grundwasser aus.

Lecker Wassersack

Als der Boden unter den Sprengarbeiten bebte, fielen den Bauern erstmals ihre trockenen Brunnen auf. "Der Bach führt nur noch nach Regenfällen und zur Schneeschmelze Wasser, die Bäume um den Bachlauf verlieren schon im Juli Blätter", sagt ein ansässiger Landwirt. "Der Zusammenhang mit den Bauarbeiten ist offensichtlich."

Tatsächlich dürfte es durch den Bau des Tunnels zwischen den Gemeinden Unterweitersdorf und Neumarkt zu einer sogenannten Grundwasserabsenkung gekommen sein. "Ein Tunnel kann den Effekt einer riesigen Drainage haben", erklärt Thomas Ertl vom Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz der Universität für Bodenkultur Wien. Besonders bei gespannten Grundwasserverhältnissen wie im betroffenen Gebiet ist der Vortrieb eines Tunnels problematisch. "Das unterirdische Grundwasser wird wie ein Sack voll Wasser angestochen und sackt ab." In der Folge versiegen Brunnen, Bäche trocknen aus. Diese ersten Konsequenzen einer Grundwasserabsenkung sind allerdings nicht die einzigen. Flora und Fauna betroffener Gebiete ändern sich oft grundlegend, Feuchtbiotope versanden, ganze Wälder können absterben. Vor allem tief wurzelnde Pflanzen nutzen das Grundwasser und werden von einer Absenkung stark beeinträchtigt.

Folgen waren absehbar

Auch bei der Infrastrukturgesellschaft Asfinag, die das Projekt umsetzt, hat man das Problem bereits erkannt. "Der Oberlauf eines Baches und einige Brunnen sind versiegt", sagt Franz Sempelmann, stellvertretender Projektleiter des Abschnitts. In den Ortschaften Loibersdorf, Gauschitzberg und Pfaffendorf sind, laut Anrainer, insgesamt 50 Brunnen betroffen. Doch die Senkung des Grundwassers kam keinesfalls überraschend. Man kannte das Risiko.

Bereits 2009 wurde in einem, vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie beauftragten Gutachten auf die möglichen Folgen des Tunnelbaus hingewiesen. "Da die Grundwasserabsenkung ohne Maßnahmen sich somit quantitativ massiv während der Vortriebsphase auf alle Brunnen und Quellen sowie wahrscheinlich auch auf die Oberflächengewässer auswirken wird und diese Auswirkungen auch während einer ersten Betriebsphase bis fünf Jahre weiter bestehen bleiben, sind entsprechende Maßnahmen unbedingt notwendig", heißt es darin. Die Asfinag hätte die Grundwasser führenden Klüfte im Tunnelbereich also ausreichend abdichten müssen. "Die vorgeschriebenen baulichen Maßnahmen wurden selbstverständlich ergriffen", sagt Sempelmann. Trotzdem liegen Brunnen und Bäche nun trocken. Ob tatsächlich die richtigen Vorkehrungen getroffen wurden, kann erst nach der endgültigen Fertigstellung des Tunnels überprüft werden, erklärt Rosemarie Friesenecker von der Abteilung Anlagen-, Umwelt- und Wasserrecht der oberösterreichischen Landesregierung.

Schadensbegrenzung

Die Asfinag will nun abwarten und die Wasserstände kontrollieren. Sollten sie nach fünf Jahren nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau steigen, müssen bauliche Maßnahmen gesetzt werden. "Anrainer mit trockenen Brunnen werden finanziell entschädigt", sagt Sempelmann. Wie hoch die Chancen für eine natürliche Erholung der Pegel sind, kann derzeit aber nicht abgeschätzt werden. Auch die Frage, ob ein derartiger Eingriff in das Ökosystem überhaupt reversibel ist, muss unbeantwortet bleiben. Momentan blühen - trotz warnender Gutachten - jedenfalls keine Sumpfdotterblumen.