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Schulstart für Flüchtlingskinder

Von Jan Michael Marchart und Levin Wotke

Politik

Nicht alle Bundesländer sind auf das bevorstehende Unterrichtsjahr vorbereitet.


Wien. Am 7. September öffnen wieder die Schulen im Osten Österreichs. Im Westen dann eine Woche später. Unter den jungen Menschen werden auch einige sein, die eine tausende Kilometer lange Odyssee hinter sich gebracht haben, um aus den Kriegsgebieten Syrien, Afghanistan oder dem Irak im Österreich Schutz zu finden. Mit oder ohne Familie.

Jedes Kind hierzulande ist ab sechs Jahren unterrichtspflichtig. Damit auch Flüchtlingskinder. Wie viele sich derzeit in Österreich aufhalten, ist unklar. Nach den Zahlen der Volksanwaltschaft sind 3000 unbegleitete Minderjährige in der Grundversorgung. Laut Innenministerium ist Bildung Ländersache. Im Bildungsministerium gab dazu es keine Stellungnahme. Sind die Länder auf dieses Schuljahr vorbereitet?

Zuletzt hat sich die Hauptstadt bereit erklärt, weitere 150 unbegleitete Minderjährige aus Traiskirchen aufzunehmen. Für die Versorgung muss es demnach einen konkreten Plan geben. Ein Anruf beim Stadtschulrat für Wien: Sprecher Matthias Meissner blickt der Aufgabe positiv entgegen. Seinen Angaben zufolge erwartet die Hauptstadt nach derzeitigem Stand um die 300 Flüchtlingskinder, die einen Schulplatz brauchen und auch bekommen. "Die Zahl kann aber noch steigen", sagt Meissner. "Aber wir bewegen uns hier im Promillebereich, wenn man bedenkt, dass Wien 220.000 Schüler ausbildet und wir am Ende eines Schuljahres in der Regel bis zu 3000 neue haben."

In Wien werden die jungen Menschen auf mehrere Schulen verteilt und kommen in Stammklassen. Eigene Deutsch-Klassen, wie sie Außenminister Sebastian Kurz forderte, seien kein Thema. Um die Sprachbarriere zu überwinden, werden die Kinder die sogenannten "Neu in Wien"-Kurse absolvieren.

Ursprünglich waren diese Kurse für "Quereinsteiger" gedacht, die ohne Sprachkenntnisse und oft auch mitten im Schuljahr nach Österreich kamen. In dieser Zeit besuchten die als außerordentliche Schüler geführten Kinder nicht oder zumindest einen großen Teil der Zeit nicht den regulären Unterricht. Dieses Modell soll nun auf Flüchtlinge und Asylwerber umgelegt werden.

Schulübergreifende Kurse in Niederösterreich setzt

Die Kinder bleiben zwar organisatorisch ihren Stammklassen und -schulen zugeordnet, werden aber schulübergreifend für die Kurse in Gruppen zusammengefasst. Dort erhalten sie auch jahrgangsübergreifend an bis zu fünf Tagen pro Woche Deutsch-Unterricht. "Wie viele Tage es sein werden und wie lang die Gruppe besucht wird, kann je nach Kind unterschiedlich sein", sagt Meissner.

Im Regelfall sind die Kinder am Anfang fast ausschließlich in der Deutsch-Gruppe, später immer seltener. Anschließend kehren sie in ihre Stammklassen zurück. Das kann durchaus auch unter dem Schuljahr sein, je nachdem, wie schnell das Kind dem Unterricht folgen kann. Außerdem sollen die Kinder lernen, wie sie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen sollen. In Niederösterreich heißt es seitens einer Sprecherin des Landeschulrates, dass es noch "relativ lange" bis zum Schulbeginn "hin ist" (dieser ist am 7. September Anm.), und man noch keine genaue Auskunft darüber geben kann, wie viele Flüchtlingskinder ab Herbst eingeschult werden. Kommende Woche Dienstag soll aber die Landesregierung zusammentreffen und sich genau diesem Thema widmen.

Für Oberösterreich spricht das Sozialressort der dortigen Landesregierung von 755 Schulpflichtigen zwischen sechs und 15 Jahren, die "ganz normal" die Schule besuchen. Unterstützt werden die Jugendlichen mit Deutschkursen aus dem Ort. Die Anmeldung übernimmt eine NGO. Ob Begleitlehrer oder zusätzliches Unterrichtsmaterial eingesetzt wird, blieb unbeantwortet. Beim Landeschulrat Oberösterreich war am Freitag niemand erreichbar.

Wie viele Flüchtlingskinder in Kärnten im Herbst zur Schule gehen, ist offen, wie "ORF Kärnten" recherchierte. Die Zuteilung an die Schulen passiert erst, wenn alle erforderlichen Daten von den Quartiergebern an die jeweiligen Gemeinden gelangt sind.

Auch ohne Asylstatus hätten alle Flüchtlingskinder Anspruch auf Schulbildung, sagte Gerhild Hubmann, Abteilungsleiterin der Schulabteilung in der Landesregierung zu "ORF Kärnten". Selbst wenn sie vorübergehend in Österreich seien, hätten sie ein Anrecht darauf, in die Schule zu gehen und werden als außerordentliche Schüler aufgenommen, aber nicht beurteilt.

Die Einschulung von einem Verteilerquartier aus sei nicht gerade einfach, da es ein ständiges Kommen und Gehen gebe. Kinder aus einem solchen Quartier werden erst dann einer Schule zugewiesen, wenn sie wo fix unteruntergebracht wurden. Hubmann spricht auch die Sprachbarriere an. Sie ist dafür, die Kinder aufzuteilen. Sie rechnet damit, dass deswegen nur zwei bis drei Kinder in eine Klasse kommen werden. "In ganz Kärnten haben wir 55 bis 60 Zusatz-Sprachpädagogen eingesetzt, die mit diesen Kindern Kurse durchführen", wird Hubmann zitiert. Auch an den Nachmittagen werden laut der Leiterin der Schulabteilung Sprachkurse in speziellen Einrichtungen organisiert.

Für die Sprachförderungen der jungen Flüchtlinge setzt sich auch das Sozialprojekt "talentify" ein. Um das Erlernen der deutschen Sprache und die Integration zu erleichtern, vernetzt das Projekt jugendliche Flüchtlinge mit freiwilligen Schülern im Alter von 14 bis 19 Jahren aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Die Menschen hinter diesem Projekt arbeiten ehrenamtlich. Die ersten Lernhilfestunden starten im September im öffentlichen Raum in Wien 20. Den Jugendlichen stehen vor Ort geschulte Sozialpädagogen zur Seite, die sie betreuen und mit ihnen Erfahrungen austauschen (mehr Information zu diesem Projekt finden Sie unter der Adresse im Kasten am Ende der Seite).

Debatte um Dublin-Klage kein "Zwist"

Nach der Androhung der beiden ÖVP-Minister Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Brandstetter, gegen die EU-Verordnung Dublin III klagen zu wollen, rudern die Innenministerin und der Justizminister wieder zurück. "Eine Klage wird nicht notwendig sein", sagte Brandstetter dem "Kurier". "Das letzte Wort hat der Bundeskanzler (Werner Faymann, Anm.)", sagte Mikl-Leitner im Ö1-"Mittagsjournal" am Freitag.

"Es gibt eine Chance" und "bevor es hier kein Urteil gibt, gibt es auch keine Klarheit", erklärte Mikl-Leitner. Es gehe im ersten Schritt darum, "geschlossen" von der EU-Kommission eine Verbesserung zu fordern. Erst wenn zwei Monate nichts passiert, könne man klagen.

So weit wird es aber nach Ansicht Brandstetters gar nicht kommen, denn die Brüsseler Behörde sei nicht untätig. "Sie bemüht sich jetzt schon." Nachsatz: "Wir wollen Kooperation, nicht Konfrontation", so der Justizminister. Es werde keinen Ministerratsvortrag mit einer Klagsdrohung geben: "Inhaltlich kann es nur die Aufforderung an die EU-Kommission sein, die Bemühungen für eine faire Verteilung der Flüchtlinge zu verstärken. Wir wollen klarmachen: Brüssel, wir haben ein Problem", so Brandstetter. An der fairen Aufteilung von Flüchtlingen in Europa müsse schnell gearbeitet werden, sagte Mikl-Leitner. Deshalb wolle sie "alle Mittel ausschöpfen, die zu einer Entlastung Österreichs führen."

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte den Erfolg einer Klage bereits bezweifelt und von einer "Illusion" gesprochen. Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) erklärte, dass es keinen "Zwist" in der Regierung deswegen gebe. Man stehe hinter dem Innenministerium. Realistische Erfolgsaussichten habe die mögliche Klage aber nicht.