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Streiten statt Raunzen

Von Christian Rösner und Ina Weber

Politik
Das Leitungsteam der Wienwoche: Radostina Patulova und Can Gülcü.
© Wienwoche

Wienwoche soll Wiener aus der Wohlfühlzone locken.


Wien. Die Wienwoche startet am 18. September. Die beiden Leiter Radostina Patulova und Can Gülcü über "Tschuschenfragen" und "Migrant Mainstreaming".

"Wiener Zeitung": Der Slogan für das Festival lautet "Harmonija naja ..." - wie harmonisch beurteilen Sie derzeit die Situation in Wien?Radostina Patulova: Die Konfliktfähigkeit der Wiener ist gar nicht so schlecht. Manchmal bleibt es aber beim Raunzen stehen, wo es wichtig wäre, den Streit auch auszutragen. Leider stehen wir in der Stadt noch ein wenig in der paternalistischen Tradition der Nachkriegszeit. Die Obrigkeit entscheidet und lässt wenig Raum für Beteiligung zu. Und die meisten Menschen nehmen sich den Raum auch nicht.

Can Gülcü: Die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation - wie vergangenen Mittwoch am Westbahnhof, wo die Bevölkerung die Erstversorgung für tausende aus Budapest kommende Flüchtlinge organisierte - zeigt, dass sich engagierte Bürger zunehmend als Gegengewicht zum Staat etablieren.

Das Sujet-Bild des Programmheftes zeigt einen kaputten Autodrom-Scooter. Ist Integration gescheitert?Gülcü: Intern nennen wir solche Fragen "Tschuschenfragen". Die kriegen wir andauernd gestellt. So im Sinne von "die geben zwar eine halbe Million Steuergeld aus dem Kulturbudget aus, aber für Fragen über Kultur sind sie dann zu sehr Ausländer". Das ist halt die hässliche Fratze des Migrant Mainstreaming. Leute glauben, man habe den Job, weil man Ausländer ist. Und worüber soll denn ein Ausländer sonst reden als über "Ausländerzeug"? Etwa über Kultur? Dieses Einbetonieren einer zugeschriebenen Identität bewirkt, dass wir nicht zu unserer eigenen Arbeit Stellung beziehen können, ohne dass vorab alle anderen Fragen beantwortet sind, bei denen man sich als Ausländer selbstverständlich auskennen muss.

Patulova: Uns fragt man halt nach Integration. Markus Hinterhäuser fragt man gewöhnlich nach Theater, Nicolaus Schafhausen nach bildender Kunst. Und wenn sie nach Integration gefragt werden, dann danach, wie sie die kulturfremden ausländischen Unterschichten aus der städtischen Peripherie in ihre Institutionen und Veranstaltungen zu holen gedenken.

Gülcü: Es ist tatsächlich interessant, dass bei Ihrer Frage nach dem Scooter-Sujet dasselbe passiert wie bei vielen brenzligen Themen. Alles Mögliche wird an der Frage der Migration aufgehängt: Wie gut sind unsere Schulen, wie sicher unsere Pensionen, wie gerecht die Arbeitsverhältnisse? Egal welches Problem dieser Welt, irgendwie sind Migranten dafür mitverantwortlich. Sogar der Scooter mit Totalschaden soll ein Sinnbild dafür sein.

Patulova: Zurück zu Wienwoche. Das Thema Migration haben wir ja letztes Jahr eingehend behandelt. Das heurige Motto "Harmonija, na ja" haben wir gewählt, weil wir den Eindruck haben, dass Debatten über solche gesellschaftlichen Fragen nicht immer im Konsens gelingen können. Wir finden, dass Auseinandersetzungen, Konflikte oder Störungen enorm viel konstruktives Potenzial haben.

Und wie steht es mit der Kulturpolitik in Wien, ist sie gescheitert?Patulova: Viele Kulturarbeiter, Initiativen und auch wir mit unserer Arbeit zeigen im Kleinen und Großen vor, wie Kultur zugänglicher für alle in Wien lebenden Menschen gemacht werden kann. Das betrifft eine möglichst transparente Ausschreibungspraxis bei Förderungen genauso wie faire Bezahlungsmodelle für Künstler oder die Arbeitsweise mit Menschen, die bis jetzt wenig Zugang zu etablierten Kulturinstitutionen hatten.

Gülcü: Nicht von ungefähr sprechen die designierten Leiter von Wien Museum, Festwochen oder Volkstheater von den Strategien, die Wienwoche und andere seit vielen Jahren anwenden: in die Stadt, auch in die Peripherie hinausgehen, neue Akteure in aktiven Rollen in die Institutionen holen, ein heterogenes Publikum mit Geschichten erreichen, die sie auch etwas angehen, neue künstlerische Formate, Bilder und Sprachen dafür entwickeln. Nur: Die Arbeit muss man auch machen.

Patulova: Wer bis jetzt nicht ins Theater gegangen ist, wird nicht zum Theaterbesucher, nur weil dort ein paar Mal im Jahr Veranstaltungen "für spezielle Bedürfnisse" mit Geschichten über Armut oder Migration erzählt werden. Das scheitert schon vorher an den Kartenpreisen.

Ist Wienwoche nicht wieder eine Veranstaltung mehr, die Gleiches mit Gleichem verbindet - und es damit wieder von Ungleichem trennt?Gülcü: Die Zeiten, als sich die ganze Familie am Hauptabend vor der einen Sendung versammelt hat, sind vorbei. Die Sehnsucht nach der Wiederkehr dieser gesellschaftlichen Einheit ist Teil des Harmonie-Bedürfnisses, das wir mit "Harmonija, naja" in Frage stellen. Diese Art von Harmonie ist nämlich nur zum Preis von Gleichmacherei zu bekommen. Außerdem sind wir ein Festival, das Projekte produziert und keine Veranstaltung. Heuer sind es 17 an der Zahl, alle mit unterschiedlichen Ausgangspositionen, Formaten und Zielen.

Patulova: Dabei wollen die Projekte auch jeweils ein bestimmtes Publikum erreichen. Dem Vernetzungstreffen "Ziviler Ungehorsam?" geht es zum Beispiel darum, AkteurInnen in der Asylpolitik in ihrer ganzen zivilgesellschaftlichen Breite zusammen zu bringen: von der ÖVP-Bürgermeisterin aus Vorarlberg bis zur queer-feministischen No-Border-Aktivistin aus Wien. Im Projekt "Gemma Richard?" hingegen sprechen die Jugendlichen aus dem Richard-Wagner-Park mit ihren Botschaften über Einschränkungen ihres Alltags zunächst die AnrainerInnen an - und dann erst die weitere Öffentlichkeit.

Gülcü: Trotz dieser Unterschiedlichkeit in den Zugängen gelingt uns bei vielen Veranstaltungen eine Durchmischung von Publikum, um die uns manche etabliertere Kultureinrichtung in Wien beneidet. Überdies involvieren wir auch scheinbar sehr entfernte Publikumsgruppen; über Wienwoche wird ja nicht nur im liberalen Medienmainstream berichtet, sondern auch im Boulevard. Womöglich entwickelt sich ja auch heuer das eine oder andere Projekt in diese Richtung.