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Samariter für den Augenblick

Von Walter Hämmerle

Politik

Analyse: Vermag die Welle an Hilfsbereitschaft die politische Stimmung im Land zu verändern?


Mit der veröffentlichten Meinung ist es vergleichsweise einfach. Man muss sie nicht suchen, sie liegt quasi offen für alle, die wissen wollen, was gerade gesagt, geschrieben und geschrien wird. Die unveröffentlichte öffentliche Meinung ist eine weitaus härtere Nuss. Umso mehr, wenn intime Emotionen im Spiel sind. Intim sind nicht nur Gefühle wie Liebe und Zuneigung, sondern auch Abneigung, vage Sorgen und, ja auch, offene Ablehnung. Und weil es in der Politik eben nicht nur - und wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie - um rationale Lösungen für rationale Probleme geht, sondern vor allem um Gefühle, geben Wahlergebnisse eine ziemlich verlässliche Momentaufnahme über den Gefühlshaushalt einer Gesellschaft wider.

Daraus ergeben sich zwei Fragen: Erstens, wie steht es um den Gefühlszustand der Republik, nachdem seit Wochen die Flüchtlingskrise das Land in Atem hält und eine erstaunliche Welle an Hilfsbereitschaft ausgelöst hat? Und, zweitens, welche Folgen wird diese für viele überraschende Entwicklung auf die Wahlen in Oberösterreich (27. September) und in Wien (11. Oktober) haben?

Alles läuft für die FPÖ . . .

Bis vor kurzem war die Stimmungslage im Land eindeutig, nämlich Wasser auf die Mühlen der FPÖ, der mit Abstand stärksten Oppositionspartei. "Das Flüchtlingsthema spielt dabei eine wichtige Rolle, ist dafür aber nicht allein ausschlaggebend", erklärt der Wiener Meinungsforscher Peter Hajek (Unique research). Was die FPÖ in Umfragen und Ergebnissen - im Bund momentan Platz eins, im Burgenland und der Steiermark je ein Plus von 10 Prozentpunkten - nach oben treibe, sei der Eindruck eines umfassenden Politikversagens. Hajek: "Seit 2006 regieren nun SPÖ und ÖVP, jetzt haben wir 2015 - und noch immer ist nichts von den großen Reformen zu sehen, die angeblich nur eine große Koalition zustande bringt."

Enttäuschung und Unzufriedenheit mit den Regierenden ist allerdings keine österreichische Besonderheit. Was die heimische Situation so besonders macht, ist, dass der Löwenanteil der Proteststimmen nur auf das Konto der FPÖ gebucht wird. Die übrigen Oppositionsparteien Grüne und Neos - das geschrumpfte Team Stronach hat als Alternative bereits abgedankt - werden dagegen von enttäuschten Wählern kaum als Protestoption wahrgenommen. "Die Grünen sind diesen Wählern zu links, die Neos irgendwie zu intellektuell", formuliert es Meinungsforscher Hajek.

. . . doch Stimmung dreht sich

Doch auch politische Stimmungen sind Veränderungen unterworfen. Das gilt auch für so emotionale Themen wie die Flüchtlingskrise (die, trotz faktischer Unterschiede, in den Augen der meisten mit dem Schlagwort Ausländer verschwimmt), die Meinungen polarisieren: Zwischen denjenigen, die angesichts der Entwicklung Unbehagen fühlen und sich Sorgen machen, und all jenen, die finden, dass man in einer solchen Situation vor allem helfen müsse.

"Bis vor zwei Wochen hatte das Unbehagen in Umfragen die Oberhand", sagt Hajek, "jetzt hat sich die Stimmung zugunsten der Solidarität gedreht." Der Medien-Boulevard ist da in aller Regel ein verlässlicher Maßstab. Wer Geld damit verdient, dass er stimmungstechnisch im Mainstream liegt, achtet penibel darauf, nicht an Volkesseele vorbei zu schreiben. Es sei denn natürlich, es sprechen übergeordnete Interessen oft monetärer Natur dagegen.

Ob dieser Stimmungswandel bis zu den Wahlen anhält, ist offen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein aufsehenerregendes Zeichen der Solidarität mehr oder weniger spurlos verpufft. Am 23. Jänner 1993 demonstrierten 250.000 Bürger mit einem Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren "Österreich zuerst". 18 Monate später, bei den Nationalratswahlen 1994, fuhr die FPÖ einmal mehr ein imposantes Plus ein, für SPÖ und ÖVP setzte es Prügel. Das ist es wohl auch, was Politologe Thomas Hofer meint, wenn er gegenüber der Austria Presse Agentur den "Hype" und die "Euphorie" über die plötzliche Hilfsbereitschaft der Österreicher als zwar verständlich, aber möglicherweise "verfrüht" bezeichnet.

Dass sich Wiens Bürgermeister und SPÖ-Spitzenkandidat Michael Häupl trotzdem recht offensiv auf die Seite der Helfer stellt, könnte sich auch wahltaktisch als richtig erweisen. "Häupl wird niemanden überzeugen, der das Thema gänzlich anders sieht, aber er könnte - auch mithilfe des aktuellen medialen Rückenwinds - noch Unentschlossene mobilisieren, ihr Kreuz bei der SPÖ zu machen", analysiert Hajek.

Das Problem dabei ist: Um diese Gruppe der Unentschlossenen werben etliche anderen Parteien auch, während die FPÖ bei den Bedenkenträgern über eine politische Monopolstellung verfügt.